„Ehrenmord“-Prozess in Bremen: „Der Getöteten ein Gesicht geben“

Vor dem Landgericht Bremen wird der Mord eines Bruders an seiner Schwester verhandelt. Der Angeklagte will „aus Ehre“ gehandelt haben.

Der Treppenaufgang zum Landgericht Bremen; dort findet aktuell ein Femizid- Prozess gegen einen Mann statt, der angibt seine Schwester getötet zu haben, um seine Ehre wiederherzustellen

Vorm Landgericht Bremen wird der Mord an einer Frau durch ihren Bruder verhandelt. Der Angeklagte wollte seine „Ehre“ herstellen Foto: Sina Schuldt/dpa

BREMEN taz | Der Bildschirm im Gerichtssaals im Landgericht Bremen zeigt ­Ilham A., ein blaues Kopftuch umfasst ihr Gesicht. Das Portraitfoto ist schlecht beleuchtet, es ist kaum zu erkennen, wie A. auf dem Bild aussieht, ob sie lächelt. Einige Frauen im Zuschauerraum schluchzen; es sind gemeinsame Schwestern der Ermordeten und des Angeklagten.

„Ich möchte der Getöteten ein Gesicht geben“, erklärt Richterin Gesa Kasper ihre Entscheidung, das Foto zu zeigen. „Bei einem Mordprozess steht natürlich immer der Angeklagte im Zentrum“, sagt sie. „Wir werden Herrn A. im Laufe der Verhandlung kennenlernen. Die Getötete können wir aber nicht mehr kennenlernen.“

Kasper führt in den kommenden Wochen bis voraussichtlich Ende Mai den Vorsitz im Verfahren zu einem sogenannten Ehrenmord. Mohammed A. ist angeklagt, seine Schwester in ihrer Wohnung in Bremen-Walle erstochen zu haben. A. bestreitet die Täterschaft nicht, er hatte sich unmittelbar nach der Tat bei der Polizei gestellt und den Mord damit begründet, seine Ehre wiederherstellen zu müssen. Ein feministisches Bündnis hatte bereits im Dezember gegen die Tat als „Ehrenmord“ protestiert. Es handele sich um einen Femizid, die Bezeichnung Ehrenmord verschleiere die ­misogyne Dimension.

Am 9. Dezember, dem 23. Geburtstag von Ilham A., klingelte laut Staatsanwaltschaft spät abends der Angeklagte an der Wohnungstür und wurde hereingelassen. Mehrfach habe er daraufhin in ihrem Schlafzimmer mit einem Küchenmesser „in Tötungsabsicht und unter erheblichem Kraftaufwand“, so die Staatsanwältin, auf den Oberkörper seiner Schwester eingestochen. Lebenswichtige Organe, das Herz, die Lunge, die Leber wurden verletzt. Ilham A. starb noch am Tatort.

Planvolles Vorgehen

Offenbar direkt im Anschluss rief Mohammed A. die Polizei. Im Gerichtssaal wird die Aufzeichnung des Notrufs abgespielt: „Ich habe gerade eben meine Schwester umgebracht“, sagt A. dort. Die Tat scheint nicht im Affekt geschehen, sondern geplant gewesen zu sein: Gegenüber der Polizistin, die ihm die Handschellen anlegte, gab A. am Tatort an, er habe die Tasche für das Gefängnis bereits gepackt. In seiner Wohnung werden Briefe an seine weiteren Schwestern und seine Verlobte gefunden.

„Ich kann ohne Zukunft weiterleben, nicht aber ohne Ehre“, liest die Richterin daraus vor; seine Schwester habe „versucht zu leben wie eine Schlampe“. Bei seinen übrigen Schwestern und seiner Verlobten entschuldigt er sich dafür, „dass ich euch jetzt alleine lasse“. Gegenüber einem bisher im Prozess nicht näher definierten Adressaten brüstet er sich: „Ich war auch ein Mann gewesen, wie du.“

Während an der Täterschaft angesichts des Geständnisses wenig Zweifel besteht und das Motiv zwar unscharf bleibt, aber doch angerissen wird, deutet A.s Verteidiger an, dass er den geistigen Zustand des Angeklagten zur Tatzeit thematisieren will. Er selbst habe A. am Morgen nach der Tat in besonderer Verfassung erlebt. A. selbst gab bei seiner Vernehmung kurz nach Mitternacht an, Alkohol, Kokain und Cannabis konsumiert zu haben. Der durchgeführte Alkoholtest ergab allerdings einen Promillewert von 0,0.

Die drei Polizist*innen, die am Einsatzort mit A. Kontakt hatten und vor dem Landgericht als Zeu­g*in­nen befragt werden, beschreiben den Angeklagten bei seiner Festnahme als ausgesprochen ruhig und gefasst. „Er war die Ruhe selbst. Ich habe Menschen erlebt, die bei Kleinigkeiten viel aufgeregter waren“, erklärt eine Polizistin im Zeugenstand. „Falls Sie das Licht suchen, der Lichtschalter ist rechts“, habe A. bei seiner Abführung durch den Hausflur kurz nach der Tat gesagt, erinnert sich ein anderer Polizist. „Für mich war das ein seltsamer Gedanke, dass man das in der Situation so sagt.“

Während der Tat waren noch eine weitere Schwester, deren zwei Kinder sowie ein männlicher Bekannter in der Wohnung. Kinder und Schwester waren nach Eintreffen der Polizei aus ihren Zimmern gekommen; die Kinder weinten, die Schwester habe „zunehmend hysterisch“ gewirkt und offenbar einen Streit mit dem Angeklagten begonnen, sagten die Po­li­zis­t*in­nen aus. Die Schwester wird bei der nächsten Sitzung des Gerichts Anfang Mai als Zeugin geladen.

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