piwik no script img

„Gertraudenhain“ in Berlin-MitteÄsthetik einer neuen Ökologie

Am Berliner Spittelmarkt hat der Künstler Christof Zwiener einen „Tiny Forest“ angelegt: eine wachsende Skulptur, die das Mikroklima verbessern soll.

Dem Verkehr und der massiven Bebauung etwas entgegensetzen soll der „Getraudenhain“ am Spittelmarkt Foto: Christof Zwiener

Wenn der Künstler Christof Zwiener von „Waldgesellschaften“ spricht, sind zwei Ideen gemeint: ein diverses ökologisches System und eine Gruppe von Menschen, die dazu beiträgt, dass so ein System in Miniaturform in der Stadt Wurzeln schlagen kann.

In der Ökologie beschreibt der Begriff das Konzept eines klar abgrenzbaren Waldtyps, der durch seine Artenkombination geprägt ist. Die bisher kleinste Waldgesellschaft – etwa in der Größe eines Fußballfelds – entwickelte ab den 1970er Jahren der japanische Ökologe Akira Miyawaki mit dem „Tiny Forest“.

Die Idee der „Miyawaki-Methode“: Pflanzt man unterschiedliche heimische Baumarten verdichtet aneinander, wachsen sie zehnmal schneller als in einem natürlichen Wald. Der „Tiny Forest“ ist bereits nach drei Jahren autark, nach etwa 20 Jahren bietet er ein ebenso stabiles und resilientes Ökossystem wie ein 200 Jahre alter Forst. Auf Städte übertragen verbessert das ursprüngliche Aufforstungskonzept das Mikroklima, ist kostengünstiger und weniger pflegeintensiv als andere grüne Infrastrukturen.

An diese Methode knüpft Christof Zwiener mit dem „Gertraudenhain“ am Spittelmarkt an. Er ist eines von drei zur Realisierung entlang der Leipziger Straße empfohlenen Siegerentwürfen im Rahmen von „KIS – Kunst im Stadtraum“ des Bezirksamts Mitte und hat im März bereits den Auftakt gemacht. Im Sommer folgt „Diadéo trésor“ von Kandis Friesen und im März 2025 „rüber machen“ der Künstlerinnengruppe msk7.

Einstmals belebte Gegend

An der 1,5 Kilometer langen Leipziger Straße leben rund 6.500 Menschen. Im Zweiten Weltkrieg fast vollkommen zerstört, wurde das Gebiet in den 1960er bis 1970er Jahren neu bebaut. Vom einstmals belebten Spittelmarkt mit seinen Wohn- und Geschäftshäusern, ist kaum mehr als ein Stück Straßengrün geblieben. Leicht unterhalb der stark befahrenen Magistrale gelegen, laden dennoch Sitzbänke am Kupfergraben zum Verweilen ein.

Das Projekt

Christof Zwiener: „Gertraudenhain“, Spittelmarkt, im Rahmen von „KIS – Kunst im Stadtraum“ an der Leipziger Straße, Kontakt: info@gertraudenhain.de

An diesem Ort, der durch Luft- und Lärmverschmutzung besonders belastet ist, erweitert Zwiener, der Interdisziplinäre Bildhauerei in Braunschweig studiert hat, das ursprünglich nicht zur Nutzung für den Menschen gedachte Konzept „Tiny Forest“ zu einer begehbaren skulputuralen Intervention: „Ich möchte etwas tun, das dem Asphalt, dem Verkehr und der massiven Bebauung etwas entgegensetzt. Es geht um eine Struktur, die Menschen, die Nachbarschaft einbindet“.

Dem war in Zusammenarbeit mit dem Fachverband MIYA forest e.V. eine Bodenanalyse vorausgegangen, Probegrabungen in tieferen Erdschichten führten unter anderem Schutt, einen Kohlenkeller und eine mechanische Rechenmaschine zutage, gemeinsam mit den Delphin-Werkstätten – einem Garten- und Landschaftsbaubetrieb für Menschen mit Beeinträchtigung – wurde Erde abgetragen. Zuletzt pflanzte Zwiener in einer waldpädagogischen Aktion mit der benachbarten Fröbel-Kita „Schatzinsel“ und An­woh­ne­r*in­nen 450 Bäumchen. Backsteine aus den Grabungen werden für einen Weg verwendet, der das kreisrunde Wäldchen durchquert.

Austausch zu Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit

„Es wäre wünschenswert, wenn neben den An­woh­ne­r*in­nen auch die Eltern der Kinder mit einsteigen würden, um gemeinsam Zukunft gestalten“, so Zwiener. Der „Gertraudenhain“ soll so auch zum Austausch über Fragen der Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit, zum Verhältnis von Kunst und Kultur im Bezug auf Stadt und deren Produktion anregen.

Damit stellt er auch eine Ästhetik der Ökologie zur Debatte, die als Thema in der Stadtplanung immer noch nur am Rande geführt wird. Dabei geht es hier auch um die Gestaltung von Räumen, in denen Gesellschaft passiert. Der Klimakatastrophe zum Trotz, verliert Berlin laut dem letzten großen BUND-Baumschutzbericht von 2019 in jedem Jahr durchschnittlich 1.108 Stadtbäume, weil mehr Bäume gefällt als (erfolgreich) neu gepflanzt wurden. Tendenz weiterhin negativ. Und Bauprojekten von Investoren, die an den Bedürfnissen der Stadt vorbei planen, wird immer noch allzu oft der Vorrang gegenüber dem Schutz der Stadtnatur gegeben.

Städte sind ein wichtiges Zukunftslabor für mehr Klima- und Umweltgerechtigkeit. Letzterer hat sich Berlin übrigens in einem Pilotprojekt als erste Stadt in Deutschland angenommen. Benötigt wird dafür Engagement, denn nicht nur soziale, auch ökologische Innovationen kommen meist von unten. Klimagerechter Städtebau wird so im besten Sinne populär und sozial wirksam, um als Gesellschaft eine Ökologie der Verantwortung, ein ethisches Konzept einer umweltfreundlichen Stadt zu formulieren.

Die Laufzeit des Projekts „Gertraudenhain“ als erster geplanter Tiny Forest im öffentlichen Raum Berlins ist indessen auf Ende 2025 begrenzt. Und der Senat hat bereits Pläne für eine Neugestaltung des Spittelmarkts. So stellte sich zur Eröffnung auch die Frage, ob dann alles wieder herausgerissen werden muss. Die Leiterin des Programms „Kunst im Stadtraum“ Judith Laub beim Bezirksamt Mitte meinte dazu: „Als das Projekt ausgewählt wurde, war ja allen klar, dass das nichts Temporäres ist.“ Für Christof Zwiener geht es deshalb auch um das Engagement einzelner. „Wenn es gut läuft, kann es darüber hinaus bleiben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Bitte auf die 10-fache Größe erweitern und es hätte einen Hauch von Effekt auf die lokale Fauna. Immerhin ein richtiger Schritt.

  • Sowas ähnliches gab es schon vor Jahrzehnten in Stuttgart: eine Fläche der Verbuschung na einer viel befahrenen Straße, entstanden durch einen Zaun aus Metall, den dort bewusst ein Künstler hinstellte. Das galt dann als Installation.

    Nach 20+ Jahren war da auch schon ordentlich was gestanden - dann kam das Gartenbauamt und machte daraus zum Ärger des Künstlers wieder eine Wiese.