ARD-Zweiteiler „Lost in Fuseta“: Kein schnöder Donnerstagskrimi
Ein komplexer Stoff, der in die Kolonialzeit weist. Und dann macht es auch noch Spaß, Kommissar Leander Lost bei den Ermittlungen zuzusehen.
Wie lässt sich das Innenleben eines Menschen visualisieren, der mit dem Asperger-Symdrom, einer Autismusvariante, lebt? Zum Beispiel so: Leander Lost ist ein deutscher Europol-Kommissar, den es nach Fuseta, ein Städtchen an der Küste der Algarve im Süden Portugals, verschlagen hat. Im nahegelegene Faro ist er Teil eines kleines Kommissariats. Lost besitzt ein fotografisches Gedächtnis und verfügt über eine blitzschnelle Kombinationsgabe. Das nutzt er bei erkennungsdienstlichen Arbeiten, aber auch für private Zwecke: Zwischentöne menschlicher Kommunikation muss Lost halt genauso so „lesen“ lernen wie Ironie, Empathie und die Liebe. Denn Lost will Vater werden – allein die Szenen rund um dieses Problem lohnen den Film.
Auf seine Fähigkeiten greift Lost zurück, wenn er einem Gegenüber mit einer Floskel antworten will. Zu sehen ist dann, wie er kurz innehält und im Geiste rasend schnell Seite um Seite eines Buches scannt, das er einmal gelesen, nicht mehr vergessen kann. Die Seiten rattern nur so durchs Bild, bis Lost eine Zeile mit einem Spruch herauszoomt, der immer irgendwie fehl am Platze scheint: „Sie haben sich aber gar nicht verändert!“ Das ist visuell gut gemacht und auch amüsant.
Leander Lost ist Hauptheld von „Lost in Fuseta“, einer Reihe von Kriminalromanen, die von Holger Karsten Schmidt unter dem Pseudonym Gil Ribeiro bereits seit 2017 veröffentlicht werden. Im September 2022 wurde ein erster Zweiteiler mit Jan Krauter in der Titelrolle des Kommissars mit Asperger in der ARD gesendet. Und nun kommt ein neuer Zweiteiler daher. Wer die Bücher kennt, wie der Autor dieser Kolumne, wird in Jan Krauter eine kongeniale Besetzung erkennen. Es macht Spaß, ihm zuzusehen, eben weil er anders als seine – neurotypischen – Kolleg:innen ist. Genau das wird öfter thematisiert. Etwa dann, wenn Lost darauf beharrt, ein Mensch mit Mängeln zu sein und ein Kollege erwidert, dass Lost eine Bereicherung darstellt.
Zum Plot: Zuerst verschwindet Teresa, eine Kollegin von Lost. Zur selben Zeit reist ein Mann namens Ricardo Torres ins Land; ein junger, auffallend nervöser Mann. Die beiden kommen aus Angola – das war mal portugiesische Kolonie. Torres gerät schnell ins Visier der Ermittler, er hält sich in der Wohnung von Teresas Nachbarn Pedro Lino auf – und der benimmt sich seltsam. Was die Kommissare da noch nicht wissen: Frau und Tochter von Pedro sind entführt worden. Puh, man muss echt aufpassen, das hier ist kein schnöder Donnerstagskrimi. Denn ein weiterer Handlungsstrang kommt hinzu, als eine Journalistin aus Angola eintrifft. Sie plant bei einer Rede im portugiesischen Parlament einen Skandal aufzudecken. Ein Attentat soll sie aus dem Weg räumen. Es beginnt ein wahres Katz-und-Maus-Spiel – mit echt spannendem Finale.
„Lost in Fuseta – Ein Krimi aus Portugal: Spur der Schatten“, zwei Teile in der ARD-Mediathek
Das alles ist professionell in Szene gesetzt, die Charaktere sind gut gezeichnet (nicht nur Lost). Dem komplexen Stoff kommt es zupass, dass drei Stunden zur Verfügung stehen. Und geradezu innovativ ist der Erzählstrang, der in die unrühmliche Kolonialzeit weist und auf einen Geheimbund – „Schatten“ genannt –, der dafür sorgt, dass sich ehemalige portugiesische Eliten aus der Kolonialzeit weiter an Angola (etwa an Geldern aus der Entwicklungshilfe) bereichern können. Man stelle sich so eine Geschichte auf die deutsche Kolonialzeit gemünzt beim „Tatort“ vor.
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