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Christopher Street Day in BerlinEin Regenbogen ohne Braun

Am internationalen Tag gegen Queerfeindlichkeit lädt der CSD zur Kundgebung gegen rechts. Die CSD-Vorstände über zunehmenden Hass gegen Queere.

„Rechtsextreme Parteien sind eine existenzielle Bedrohung für queere Menschen“ Foto: Fabian Sommer/dpa
Interview von Lilly Schröder

taz: Das Motto des diesjährigen CSD lautet „Nur gemeinsam stark – Für Demokratie und Vielfalt“. Wie kam es dazu?

Marcel Voges: Die Themen, die der queeren Community gerade besonders unter den Nägeln brennen, sind das Erstarken rechtsextremer Parteien und der Zusammenhalt in der queeren Community. Für queere Menschen stellt es eine existenzielle Bedrohung dar, wenn rechtsextreme Parteien an Bedeutung gewinnen. Wo das hinführen kann, hat Deutschlands Vergangenheit gezeigt, in der queere Menschen bereits verfolgt und ermordet wurden. Deshalb wollen wir beim diesjährigen CSD ein Zeichen für unsere Demokratie und Vielfalt setzen.

Stella Spoon: Mit unserem Motto wollen wir deutlich machen, dass beim CSD zu demonstrieren nicht nur bedeutet, für die LSBTI-Community zu demonstrieren, sondern auch für die Demokratie. Egal ob cis, hetero, schwul, lesbisch oder trans, wir müssen uns zusammensetzen und uns fragen: Was bedeutet Demokratie für uns und in was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Das Problem mit rechtsextremen Parteien ist, dass sie sehr gut organisiert, strukturiert und finanziert sind. Das ist die queere Community noch nicht. Anstatt gemeinsam gegen Rechts aufzutreten, haben wir viele Konflikte untereinander.

Was sind das für Konflikte?

Privat
Im Interview: Marcel Voges

Vogesist seit September 2023 im Vorstand des Berliner CSD e. V. Er ist für den Schwerpunkt Sport zuständig und leitet die politische Kampagne 2024.

Voges: Es gibt Generationenkonflikte. Vor allem lesbische und schwule Teile der Community kämpfen schon sehr lange für die Rechte queerer Menschen. Mittlerweile trauen sich immer mehr Gruppen, sich zu outen und sichtbar zu sein, etwa nicht-binäre oder trans-Menschen. Dabei tut sich ein Konflikt von Räumen auf. Ich erlebe das zum Beispiel in unserem queeren Sportverein, Vorspiel Berlin. Im letzten Jahr haben wir darüber diskutiert, ob wir unseren Namen ändern von „Sportverein für Schwule und Lesben“ zu „queerer Sportverein Berlin“. Viele der älteren Generation konnten sich mit dem Begriff queer nicht identifizieren, für die Jungen hingegen ist das der selbstverständliche Oberbegriff für uns alle. Teile der Community haben das Gefühl, nur noch ein Buchstabe in einem Buchstabensalat zu sein. Das müssen wir auflösen.

Privat
Im Interview: Stella Spoon

Spoon ist seit 2022 im Vorstand des Berliner CSD e. V. und für den Pride Month und das Thema TIN (trans*, inter* und nicht-binäre Menschen) zuständig.

Wie kann das gehen?

Voges: Der Schlüssel liegt darin, dass die junge Generation die Leistungen der älteren Generation für die Community anerkennen muss und diese wiederum, dass es neue Gruppen gibt, denen ein Raum gegeben werden muss. Dazu müssen wir alte Konflikte, die emotional geworden sind, auflösen und mehr darauf achten, einander wieder ehrlich zuzuhören. Wenn wir nicht einmal intern zusammenstehen, wie wollen wir dann kommende Abwehrkämpfe nach außen führen?

Welche Kämpfe sind das?

Voges: Ich nehme eine viel stärkere Verrohung und schlechtere Stimmung gegen queere Menschen wahr. Gerade in den sozialen Medien gibt es zunehmend Zustimmung für queerfeindliche Angriffe, etwa wenn queere Menschen als Straf­tä­te­r*in­nen dargestellt werden. Und wir wissen alle, aus Worten können schnell Taten werden. Die Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen steigt stetig. Das hat sehr reale Auswirkungen auf unser Verhalten. Mein Ex-Freund und ich haben uns häufig überlegt, ob wir händchenhaltend durch die Stadt laufen und uns in der U-Bahn einen Kuss geben oder nicht. Das heißt nicht immer, dass es eine reale Bedrohung gibt, aber es schwingt immer im Hinterkopf mit.

Kann noch von Berlin als ­Regenbogenhauptstadt gesprochen werden?

Spoon: Ja, Berlin ist eine „Regenbogenhauptstadt“, aber nur, weil wir queere Menschen für uns selbst queere Räume schaffen. Sie ist es nicht, weil die Stadt, unser Regierender Bürgermeister oder die Strukturen funktionieren.

Voges: Ich bin mit dem Begriff Regenbogenhauptstadt immer etwas vorsichtig, vor allem weil sich die Situation für queere Menschen verschlechtert hat. Gleichzeitig gibt es in Berlin queere Strukturen, Auffangnetzwerke und Anlaufstellen, die dafür sorgen, dass man sich sicherer fühlt.

Welche zum Beispiel?

Voges: Zum Beispiel gibt es bei der Polizei eine LSBTI-Beauftragte und die Straftaten gegen queere Menschen werden getrackt. Das ist selten im Vergleich zu anderen Bundesländern. In Ostdeutschland zum Beispiel, gerade in ländlichen Bereichen, gibt es solche Strukturen nicht. Wenn da rechtsextreme Parteien erstarken und Stimmung gegen queere Menschen machen, sind sie großen Gefahren ausgesetzt. In diesem Jahr wird in drei ostdeutschen Bundesländern gewählt, deshalb legen wir im Pride Month einen Fokus auf das Thema Ostdeutschland und wollen queeren Menschen von vor Ort einen Raum geben.

Der Pride Month findet in diesem Jahr zum dritten Mal statt. Wie läuft er ab?

Spoon: Mit einer Demonstration können wir nicht die Welt verändern, aber unser Ziel ist es, einen Prozess anzustoßen. Deshalb veranstalten wir seit einigen Jahren auch den Pride Month als Netzwerksveranstaltung für die Community. Dazu bieten wir einen Monat lang kostenlose Workshops und Panels an, zu denen Politiker*innen, Ak­ti­vis­t*in­nen und Ex­per­t*in­nen eingeladen sind. Themen sind in diesem Jahr unter anderem queer sein im Alter, Sport, Islam, Ostdeutschland sowie eine feministische Perspektive auf TIN (trans, inter und nicht-binäre Menschen). Auch am CSD selbst gibt es ein politisches Programm auf der Bühne und auf den Trucks.

In den vergangenen Jahren wurden Vorwürfe laut, dass der CSD zu unpolitisch und zu feierlastig geworden sei

Voges: Es heißt immer, der CSD werde zu groß und würde verwässern. Ich glaube aber, dass die Größe unsere Stärke sein kann. Wir müssen uns nur fragen, wie wir die Demonstration mit einer politischen Durchsetzungsstrategie verknüpfen können. Deshalb wollen wir in diesem Jahr stärkeren Druck auf politische Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen ausüben, um unsere Forderungen durchzusetzen.

Welche sind das?

Voges: Aktuelle Themen sind die Bekämpfung von Hass­kriminalität, Diskriminierung von trans-Menschen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, aber auch die bessere Aus­stattung queerer Strukturen und die Aufnahme queerer Menschen ins Grundgesetz. Welche Forderungen wir in diesem Jahr ins Schaufenster stellen, wird zurzeit noch heiß im CSD-­Forum debattiert. Aber eins steht fest: Wenn der ­Regierende Bürgermeister nicht einmal einen Plan ent­wickelt, wie er unsere Forderungen um­setzen kann, dann kann so ein Bürgermeister auch mal vom CSD ausgeladen werden.

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