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Gedenkkonkurrenz in LübeckDas kannst du besser!

Alexander Diehl
Kommentar von Alexander Diehl

Vor 30 Jahren brannte es in Lübecks Synagoge, Anfang 1996 fielen zehn Menschen einem Anschlag zum Opfer. Beides zu würdigen, gelang jetzt nur so lala.

30 Jahre später: Demonstration zum Gedenken an den Synagogen-Brandanschlag in Lübeck Foto: Markus Scholz/dpa

S ie meinen es alle nur gut, das setzen wir selbstverständlich voraus: Diejenigen, die am späten Montagnachmittag in Lübeck eines 30 Jahre zurückliegenden Brandanschlags gedenken wollten. Aber auch jene, die in der kleinen Spielstätte des Lübecker Theaters vorab Einblick anboten in ein demnächst dort zur Premiere kommendes Stück Dokumentartheater – über einen anderen weit über die Stadtgrenzen hinaus zur Kenntnis genommenen Anschlag.

Exakt 30 Jahre war es am Montag her, dass die Hansestadt zum Schauplatz wurde für ein höchst unwillkommenes erstes Mal: Was dort in der Nacht zum 25. März 1994 passierte, war nicht weniger als der erste Brandanschlag auf eine Synagoge in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Um kurz nach zwei Uhr morgens warfen die Täter mehrere Brandsätze durch ein Seitenfenster in das Gebäude, Wand- und Deckenverkleidung fingen Feuer, der Vorraum der Synagoge wurde zerstört. Menschen kommen wie durch ein Wunder nicht zu Schaden.

Es kam zu einer beeindruckenden Solidarisierung durch die Stadtgesellschaft. Mit Hochdruck, heißt es gerne, sei damals nach den Tätern gefahndet worden, die Bundesanwaltschaft hatte das Verfahren übernommen – immerhin ging es um den guten Ruf einer erklärten Exportnation, die zudem ein halbes Jahrzehnt lang, seit der Wiedervereinigung, ganz schön viele schlechte Nachrichten produziert hatte.

Dringend tatverdächtig waren bald vier junge Männer; Stephan W., Boris H.-M., Nico T. und Dirk B., alle zwischen 19 und 24 Jahre alt, erhielten im April 1995 Freiheitsstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren. Nicht viel später, Anfang Mai, kam es zu einem neuerlichen Anschlag auf die Synagoge, der aber längst nicht dieselben Wellen schlug.

Zehn Todesopfer, keine Verurteilung

Denn die richtige Delle zog sich Lübecks Ruf in der großen weiten Welt noch etwas später zu: Anfang 1996, in der Nacht zum 18. Januar, brannte in der Hafenstraße ein Haus für Asylbewerber:innen, drei Erwachsene sowie sieben Kinder und Jugendliche kamen zu Tode. Von der Tat, aber mehr noch davon, wie anders gelagert hier gefahndet wurde, wer verdächtigt und wer partout nicht; welche Indizien zur Kenntnis genommen wurden und welche beinahe aggressiv ignoriert: Davon handelt demnächst am Theater Lübeck das Dokumentarstück „Hafenstraße“, Regie: Malte Schmidt, Premiere ist am 5. April.

Feiertagsbedingt eine Woche früher boten die Ma­che­r:in­nen, ebenfalls am Montag, nun eine Art öffentlicher Probe an; „Kostprobe“ heißt das niedrigschwellige, nämlich kostenlos zu besuchende Format. Eine gute halbe Stunde lang konnten Interessierte einen Auszug aus dem Stück sehen, erkennbar noch in progress. Zudem beantworteten Regisseur Schmidt und Dramaturg Oliver Held Fragen des reichlich erschienenen Publikums.

Von der klaffenden Wunde in der Stadt war die Rede und einem anhaltenden Interesse. Und davon, dass Lübeck heute längst kein so berüchtigter Name ist wie Rostock-Lichtenhagen oder Mölln. Dabei sind die Zutaten reichlich skandalös: Zehn Menschen kamen ums Leben, verurteilt wurde niemand. Mit Safwan E. stand lange ein Bewohner der Unterkunft im Zentrum der Ermittlungen, belastet von einem einzigen Zeugen, der selbst Verbindungen ins Nazi-Milieu gehabt haben soll – nicht erst nach der Aufdeckung der NSU-Morde stellen sich da doch reichlich Fragen. Eine Online-Petition an den Kieler Landtag mit der Forderung, in der Sache einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, läuft derzeit.

Vor dem Holstentor und später vor der Synagoge sprachen am Montag unter anderem Ver­tre­te­r:in­nen der Stadt und der Lübecker jüdischen Gemeinde. Anzunehmen, dass man­che:n der da Zuhörenden und Blumen Niederlegenden auch die „Kostprobe“ interessiert hätte – und viele im Theatersaal das Synagogen-Gedenken.

Über die unterbliebene Abstimmung der Termine mit den mutmaßlich so sehr sich überschneidenden Zielgrupppen zu murren, mag als Luxusproblem erscheinen, angesichts echten Terrors und realer rassistischer Übergriffe. Ärgerlich war sie trotzdem.

Lübeck, das kannst du doch besser!

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Alexander Diehl
Redakteur taz nord
Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.
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