Hass auf Grünen-Politiker*innen: Wer tut sich das noch an?

Der Rechtsruck schreckt Grünen-Mitglieder davon ab, zu Kommunalwahlen anzutreten. Unerwartet füllen sich jetzt viele Listen aber doch.

grünes Licht liegt auf einem Tisch, darüber ein Mikrofon, im Hintergrund Stühle

Die Arbeit in den Kommunen ist für die Demokratie wichtig, doch viele Plätze bleiben leer Foto: Michael Danner

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?

Am Ende ging bei Martin Zimmermann alles ganz schnell. An einem Mittwoch im Februar reichte der 37-Jährige seinen Mitgliedsantrag bei den Grünen ein. Zwei Tage später traf sich sein Kreisverband, um die Listen für die Kommunalwahl zu beschließen, und da machte der Neue Ernst: Er kandidiert sowohl für den Kreistag als auch für die Stadtverordnetenversammlung von Ruhland, einer Kleinstadt im Süden Brandenburgs, in der die AfD schon bei der letzten Bundestagswahl mit 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft wurde.

„Jetzt erst recht“, sagt der IT-Fachmann, der 2019 aus Dresden dorthin gezogen ist. „Die ganze Region wandelt sich, der Rechtsextremismus ist im Alltag immer mehr verankert. Dagegen möchte ich zumindest alternative Ideen einbringen.“ Der Gedanke sei über die letzten Jahre in ihm gereift. Die Demos gegen rechts, die es zu Jahresbeginn auch in seinem Landkreis gab, waren „dann noch mal ein Wachrüttler“. Ob er keine Angst vor Konsequenzen der Kandidatur hat? „Bislang nicht“, sagt Zimmermann. „Das mag daran liegen, dass ich frisch dabei bin. Bisher wurde ich hier nicht angefeindet.“

Kein Einzelfall – und doch nicht typisch. In 9 von 16 Bundesländern werden in diesem Jahr neue Kreistage und Gemeindevertretungen gewählt. Die Vorbereitungen darauf gestalten sich vor allem bei den Grünen zweischneidig: Einerseits mobilisiert der Kampf gegen rechts neue Kandidat*innen. Parallel gibt es aber auch einen gegenläufigen Trend, der weit ernüchternder ist.

Schon seit Jahren bereitet den Parteien die Suche nach Ehrenamtlichen für die Gremien vielerorts Probleme. Die Arbeit in den Kommunen ist für die Demokratie wichtig, dort fallen zentrale Entscheidungen und dort begegnen die Menschen der Politik in ihrem Alltag. Die Aufgaben sind aber komplex, kosten Zeit und werden nicht immer gedankt: Laut einer Erhebung des Bundeskriminalamts aus dem Frühjahr 2023 haben 38 Prozent der Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen im vorangegangenen halben Jahr Anfeindungen erlebt. Seitdem ist das politische Klima noch rauer geworden.

Das bekommen Ver­tre­te­r*in­nen aller demokratischen Parteien zu spüren. Die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Kirchberg bei Zwickau, Dorothee Obst von den Freien Wählern, fand eines Morgens im Februar einen Misthaufen vor ihrer Garageneinfahrt, inklusive Botschaft: Sie solle eine Resolution der rechtslastigen Bauernvereinigung „Land schafft Verbindung“ unterzeichnen. Auch die Bürgermeisterin von Zossen in Brandenburg, Wiebke Sahin-Schwarzweller von der FDP, berichtet von Anfeindungen. „Oft fühlen wir uns von der ‚großen‘ Politik und von der Rechtsprechung bei unserer Arbeit im Stich gelassen“, sagt sie.

Besonders viel Hass im Osten

Die Folgen, die das in diesem Wahljahr für die Suche nach Ehrenamtlichen hat, werden je nach Partei unterschiedlich wahrgenommen. „Wir spüren keine Veränderung zu den vergangenen Jahren“, sagt eine Sprecherin der CDU Brandenburg. Dagegen berichtete die Vorsitzende der SPD Sachsen, Kathrin Michel, gerade neue Interessenten würden sich wegen der Bedrohungslage inzwischen sehr genau überlegen, ob sie für Ämter kandidieren. „Viele haben Familie und keiner will, dass die Kinder in der Schule angefeindet werden, nur weil man selbst in der Öffentlichkeit steht.“

Noch mehr als allen anderen demokratischen Parteien schlägt aktuell aber den Grünen der Hass entgegen. Entsprechend viele Berichte sind von ihnen über die Auswirkung auf die Suche nach Kan­di­da­t*in­nen zu hören.

„In den Orten im Landkreis, wo wir sehr viel Gegenwind bekommen, konnten wir zum Teil nicht mal mehr die überzeugen, die bisher immer kandidiert hatten“, sagt Paul-Philipp Neumann, Vorsitzender des Kreisverbands Oberspreewald-Lausitz, dem der Neuling Zimmermann gerade beigetreten ist.

Ähnliches ist auch aus anderen, vor allem ostdeutschen Landesverbänden zu hören. Die Angst vor Anfeindungen, Ausgrenzung oder gar Angriffen ist ein großes Hemmnis. Ganz besonders gilt das für Mitglieder auf dem Land, die „verbale und persönliche Angriffe noch unmittelbarer“ erlebten, wie es aus dem sächsischen Landesverband heißt.

Katharina Horn ist Mitglied der Bürgerschaft von Greifswald und Landesvorsitzende der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern. Sie berichtet: „Manche Mitglieder sagen: ‚Bei uns im Dorf darf niemand erfahren, dass ich bei den Grünen bin. Sonst kann ich hier nicht mehr leben.‘ Die würden sich gerne einbringen, wollen aber nicht mit Namen und Foto auf unseren Websites erscheinen. Die sprechen wir natürlich gar nicht erst für eine Kandidatur an.“

Seit Januar gibt es einen Gegentrend

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Dazu kommt: Wo die AfD schon bei den letzten Kommunalwahlen stark abgeschnitten hat, sind viele bisherige Man­dats­trä­ge­r*in­nen mittlerweile abgekämpft. Der Ton in den Gremien sei aggressiver geworden, heißt es vielerorts, und die Brandmauer zur AfD zum Teil gefallen. „Die Kooperation unter den demokratischen Parteien wird schwieriger. Das kostet unseren Leuten Kraft und führt dazu, dass manche nicht mehr kandidieren“, sagt Katharina Horn.

Schließlich gibt es noch einen Faktor, den nur die wenigsten grünen Funk­tio­nä­r*in­nen von sich aus erwähnen: Frust über den grünen Kurs in der Bundesregierung. In Lokalzeitungen fanden sich zuletzt Berichte über Kommunalpolitiker*innen, die aus Protest gegen die Berliner Politik aus ihrer Partei ausgetreten sind – wahlweise wegen zu viel oder zu wenig Kompromissen in der Asylpolitik, zu wenig Klimaschutz oder zu viel Waffenlieferungen an die Ukraine. Schließlich hat auch die Kürzung von Agrarsubventionen die Grünen ein paar Landwirte in Gemeinderäten gekostet.

Unterm Strich stehen also verschärfte Bedingungen – und das nicht ausschließlich in Ostdeutschland. Keine außergewöhnlichen Probleme melden zwar die Grünen-Landesverbände in Hamburg und Rheinland-Pfalz. Aber selbst im grünen Kernland Baden-Württemberg gestaltete sich die Listenaufstellung laut einer Parteisprecherin gerade im direkten Vergleich zur Wahl 2019 noch bis zum Jahreswechsel „herausfordernd“.

Seit Januar gibt es aber eben auch den Gegentrend. Die Enthüllungen über Deportationspläne der AfD und Demos gegen rechts haben den Grünen bundesweit nicht nur tausende Neueintritte beschert. „Dadurch hat auch die Gewinnung von Kandidierenden nochmals einen Schub bekommen“, sagt die Sprecherin aus Baden-Württemberg. Angriffe auf die Partei wie beim Politischen Aschermittwoch in Biberach hätten die Mitglieder zwar beunruhigt, aber auch zu einer „Jetzt-erst-recht“-Haltung geführt.

Manche Listen sind so lang wie noch nie

Jetzt erst recht: Telefoniert man sich durch Grünen-Verbände, hört man diese Formulierung immer wieder. Dass sich Menschen selbst in Kleinstädten zu Kundgebungen versammelten, habe viele zu einer Kandidatur ermutigt. Länderübergreifend zeigt die Demokratiebewegung Wirkung. In Südbrandenburg etwa blieb Martin Zimmermann nicht der einzige neue Kandidat. Die grüne Liste für den Kreistag Oberspreewald-Lausitz ist mit 36 Be­wer­be­r*in­nen so lang wie nie zuvor.

Welcher der beiden Trends überwiegt aber zahlenmäßig? Schwer zu sagen. Die Wahlen finden dezentral statt, die Listenaufstellung ist noch nicht überall abgeschlossen und die meisten Informationen beruhen auf Angaben der Partei selbst – die ein Interesse an positiven Schlagzeilen hat. In der Summe scheinen die Grünen aber nicht schlechter aufgestellt zu sein als bei den vorangegangenen Wahlen.

In Thüringen und Sachsen-Anhalt rechnet man inzwischen damit, das Personalniveau der letzten Jahre halten zu können. Das heißt allerdings auch, dass das Mitgliederwachstum der letzten Jahre nicht zu größerem Engagement geführt hat. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist dagegen von mehr Kan­di­da­t*in­nen die Rede. Baden-Württemberg ist nach der Trendwende der letzten Wochen sogar wieder zuversichtlich, das selbst gesteckte Ziel von 50 neuen Listen zu erreichen.

Jetzt erst recht!

Im Südwesten trägt sogar der Kreisverband Wangen zum Wachstum bei. Für Grüne ist die Gegend im Vergleich zu manch anderen Regionen eigentlich eine heile Welt. Die AfD spielt in den kommunalen Gremien bisher keine große Rolle. Ein grünes Parteibuch musste man bislang auch nicht verschweigen.

Anfang März kam der Kreisverband aber überregional in die Schlagzeilen. Im kleinen Ort Amtzell, wo die Grünen erstmals eine Wahlliste eingereicht haben, schlug ein Mann einen der Kandidierenden vor dessen Haus nieder. Dem Opfer zufolge hatte der Täter ihn zuvor wegen seines Engagements beleidigt.

Drei Wochen später erzählt der Kreisvorsitzende Klaus Häring-Becker, die Tat habe ihm neben allem anderen eine Menge Arbeit eingebrockt. Schon zuvor hatten die Grünen hier einen Workshop veranstaltet, bei dem ein Referent des Bundesvorstands den Mitgliedern beibrachte, wie sie in brenzligen Situationen deeskalieren können. Nach der Tat habe er viele Gespräche zur Sicherheit im Wahlkampf geführt. Dem Prügelopfer und den anderen Be­wer­be­r*in­nen habe er versichert, sie könnten ihre Kandidatur jederzeit zurückziehen.

„Er hat aber gesagt, er zieht nicht zurück, weil das sonst eine Kapitulation wäre“, sagt Häring-Becker. Auch sonst habe sich niemand im Kreisverband von den Wahllisten streichen lassen. Jetzt erst recht: Diese Stimmung spüre man auch bei den Allgäuer Grünen.

Eine erste Sicherheitsmaßnahme hat der Kreisverband für den Wahlkampf dennoch beschlossen. Früher schmückten sie hier ihre Stände immer mit Maßkrügen, in denen sich grüne Windräder drehten. In Süddeutschland weiß man aber: Die schweren Biergläser eignen sich auch als schädelbrechende Waffen. Jetzt sind die Krüge gestrichen.

Mitarbeit: Sabine am Orde und Anna Lehmann

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