EM-Trikot wird Verkaufsschlager: Pink wie Profis
Das Genöle als Reaktion auf das pinke Trikot hat der DFB clever in die Präsentations-Kampagne eingespeist. Alles gut ist damit aber noch lange nicht.
M anchmal fühlt man sich in Deutschland ein bisschen wie Jonas Kahnwald, der sich in der Netflix-Serie „Dark“ plötzlich in den 1980er-Jahren wiederfindet. Das ist der Fall, wenn jemand aktuell von Integration oder Leitkultur anfängt. Oder wenn mal wieder eine Diskussion über ein vermeintlich politisches Statement ausbricht. Die einen stellen sich dann bedingungslos dahinter und überhöhen seine Bedeutung maßlos. Die anderen erkennen darin den Untergang ihres Abendlandes. Aktuell darf man sich angesichts der schon tagelangen Aufregung über das neue, pinkfarbene Deutschlandtrikot fühlen wie der ungläubig aus dem gelben Regenmantel dreinblickende Jonas Kahnwald in einer vergangenen Zeit, in der Twix noch Raider hieß und die Welt auch sonst in Ordnung war.
Bereits am Donnerstag hatten der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und Adidas das pink-lila EM-Auswärtstrikot der Männer gemeinsam mit dem klassisch weiß gehaltenen Heimtrikot vorgestellt. Während zentrale DFB-Protagonisten die passenden Zitate lieferten – „eine mutige Entscheidung“ (Trainer Julian Nagelsmann) und „sehr cool!“ beziehungsweise „mal etwas anderes und wirklich außergewöhnlich“ (Florian Wirtz, DFB-Hoffnungsträger) –, rasteten die üblichen Internetrambos auf Social Media aus: „Team Woke“, „Ihr seid nicht Deutschland!“, „Den Mädels stehts echt gut“ beziehungsweise „Nein einfach nein“. Der DFB dagegen, so heißt es in einer Mitteilung, will das neue Auswärtstrikot als Statement für „die neue Generation deutscher Fußballfans und die Vielfalt des Landes“ verstanden wissen.
Ein bisschen Neid dürfte dahinter stecken, wenn der Ex-DFB-Manager Oliver Bierhoff bei Welt TV verrät, dass hinter der Farbwahl ja eigentlich ein „kommerzieller Gedanke“ stecke, also das profane Ziel, „die Trikots zu verkaufen“ und „den Nerv der Kids“ zu treffen – hatte Bierhoff doch mit seiner emotionslosen und von oben diktierten Erzählung von der „Mannschaft“ diesen Nerv einst überhaupt nicht getroffen. Das Shirt legt dabei den besten Verkaufsstart für ein deutsches Auswärtstrikot jemals hin, wie Hersteller „Adidas“ auf Anfrage dem Sport- Informations-Dienstes mitteilte.
Dass die Agentur Jung von Matt dieses Mal ganze Arbeit geleistet hat, zeigen auch die vielen positiven Reaktionen auf zwei Videoclips, die die Kampagne rund um die Vorstellung der neuen Trikots begleiten. Darin kommen neben Wirtz auch Ilkay Gündoğan, Thomas Müller und sogar der gute alte Rudi Völler vor. Rapper Rin und das Model Lena Gercke sind als Extras auch noch dabei.
Aufregung als Teil der Strategie
Während das erste der zugegebenermaßen gelungenen Videos ironisch mit der bekannten Frage spielt, was typisch deutsch sei, wurde das zweite ein paar Tage später veröffentlicht. Es ist konzipiert als Antwort auf die erwartbare Häme. Denn dieses Mal sind eben wirklich Profis am Werk, die in ihrer Werbekampagne die Reaktionen von Anfang an mit einkalkuliert und ein Antwortvideo gedreht haben, bevor es überhaupt etwas gab, worauf sie antworten konnten. Die erwartbare Aufregung ist also Teil der Strategie. „Ist das ein Frauentrikot?“, wird da aus dem Off gefragt. „Ich weiß nicht, sieht für mich noch nicht nach acht EM-Titeln aus“, antwortet Nationalspielerin Jule Brand mit Verweis auf die zahlreicheren EM-Erfolge der DFB-Frauen.
Während die Marketingstrategie des DFB dieses Mal also ausnahmsweise aufgeht, stellt sich nur noch die Frage, inwiefern ein pinkes Fußballtrikot im Jahr 2024 als politisches Statement gelesen werden kann. Das bringt uns zu „Dark“ zurück. Einerseits sind pinke Fußballtrikots für Männer wirklich nichts Neues (Palermo, Miami). Andererseits galten pinkfarbene Shirts für Männer vielleicht in den 80ern noch als mutig. Heutzutage spielt der Film Barbie über 1 Milliarde Dollar ein, was ihn zum ertragreichsten Film des vergangenen Jahres macht und mehr Mainstream als Pink sind vielleicht nur noch die Farben Rot und Grün.
Ein politisches Statement, wenn es wirklich darum geht, hätte der DFB 2022 bei der WM der Männer im autokratisch und homophob geführten Land Katar geben können. Stattdessen hat der Verband die übliche Pride-Binde im vorauseilenden Gehorsam vor dem Turnier durch eine eigenartige, nichtssagende One-Love-Binde ersetzt. Und hat seinen Kapitän diese dann nicht tragen lassen, weil er vor dem den Gastgebern freundlich gesinnten Weltverband Fifa eingeknickt ist.
Politische Statements haben einen Preis, den man zu zahlen bereit sein muss. Pinke Trikots kosten den DFB nichts. Die Fans kosten sie im offiziellen DFB-Shop stolze 100 Euro.
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