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Koalitionsstreit in der AmpelScholz drängt sich ans Steuer

Der Kanzler sucht Bürgernähe, um Führungsstärke zu zeigen. In Sindelfingen sprach er ein Machtwort zum Taurus und äußerte sich zu Julian Assange.

Olaf Scholz am Montag bei seinem Besuch der Gottlieb-Daimler-Schule in Sindelfingen Foto: Heiko Becker/reuters

Berlin taz | Am Montag hat sich Olaf Scholz einer Diskussion mit Schülern in Sindelfingen gestellt – und damit für Schlagzeilen gesorgt. In der Fragerunde an einem beruflichen Schulzentrum in der unweit der Landeshauptstadt Stuttgart gelegenen Stadt, die für ihr Mercedes-Benz-Werk bekannt ist, bekräftigte der Bundeskanzler sein „Nein“ zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das“, sprach er ein Machtwort, und wies die Kri­ti­ke­r:in­nen auch in der eigenen Koalition damit in die Schranken. Den innenpolitischen Streit über Taurus bezeichnete er gegenüber den Schülerinnen und Schülern als „merkwürdige Debatte über einzelne Waffensysteme“.

Olaf Scholz sucht derzeit die Nähe zu Bürgerinnen und Bürgern, um seine Politik zu erklären. Er nutzt die Gelegenheit aber auch, um gezielte Botschaften zu senden und Führungsstärke zu demonstrieren. Beim Besuch der Mercedes-Teststrecke in Sindelfingen wollte er sich deshalb partout nicht von einer Ingenieurin kutschieren lassen, sondern setzte sich spontan selbst hinters Lenkrad. „Ich möchte selbst fahren“, sagte er. Mercedes-Chef Ola Källenius nahm derweil auf der Rückbank Platz.

Letzte Woche hatte Scholz auf einer Konferenz mit Chefredaktionen in den Räumen der Nachrichtenagentur dpa bereits Akzente gesetzt. Seine Weigerung, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern, begründete er damit, dass Deutschland sich nicht selbst an diesem Krieg beteiligen dürfe. In Sindelfingen bekräftigte er diese Haltung noch einmal – und demonstrierte Stärke.

Das Risiko, Kriegspartei zu werden

„Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland“, sagte Scholz wörtlich. Es könne nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenke, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann – „und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das völlig ausgeschlossen.“

Grüne und FDP hatten Scholz dafür scharf kritisiert. „Niemand, der Taurus für die Ukraine fordert, will, dass Deutschland zur Kriegspartei wird“, sagte etwa Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen. Die Vorsitzende des Bundestag-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), warf Scholz vor, er würde ein fragwürdiges Argument vorschieben. Die Behauptung, es müssten Bundeswehrsoldaten in die Ukraine, um diese Waffe vorzubereiten, sei falsch.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bekräftige am Montag noch einmal ihre Haltung, die Lieferung aller zur Verfügung stehenden militärischen Mittel für die Ukraine zu prüfen. „Wir werden alles tun, damit die Ukraine ihr Land … verteidigen und damit schützen kann“, sagte sie bei einem Besuch in Montenegro.

Scholz zweifelt an Auslieferung von Assange

In Sindelfingen sprach sich Scholz auch gegen eine Auslieferung von Julian Assange an die USA aus. „Ich bin der Meinung, dass es schon gut wäre, wenn die britischen Gerichte ihm den notwendigen Schutz gewähren, weil er ja doch mit Verfolgung in den USA rechnen muss, angesichts der Tatsache, dass er amerikanische Staatsgeheimnisse verraten hat“, sagte der Bundeskanzler. Er gehe davon aus, dass Assanges Chancen, in Großbritannien zu bleiben, gewachsen seien. „Denn die Vertreter der Vereinigten Staaten konnten den britischen Richtern in der letzten Verhandlung nicht zusichern, dass sich die mögliche Bestrafung in einem aus der Sicht Großbritanniens vertretbaren Rahmen bewegt“, sagte Scholz.

Die US-Regierung will dem Australier in den USA wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Ihm drohen bis zu 175 Jahre Haft. Washington wirft ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assange sieht sich hingegen wegen seiner journalistischen Tätigkeit strafrechtlich verfolgt und wehrt sich in Großbritannien juristisch gegen seine Auslieferung an die USA.

Zu dem abgehörten Gespräch von hochrangigen Bundeswehr-Offizieren über Taurus äußerte Scholz sich in Sindelfingen nicht. Am Freitag hatte Russland ein mitgeschnittenes Gespräch veröffentlicht, in dem hohe Luftwaffen-Offiziere verschiedene Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus erörterten, falls dieser doch an die Ukraine geliefert würde. Scholz wurde von den Schülerinnen und Schülern in der Runde aber auch nicht danach gefragt. Es war aber eben auch keine Pressekonferenz.

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16 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Scholz im Original

    1..""Die Ukraine soll zum ""JETZIGEN ZEITPUNKT"" weiterhin keine "Taurus"-Marschflugkörper von Deutschland erhalten."""

    2.."""Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein", sagte Scholz bei der dpa-Chefredaktionskonferenz. Deshalb stehe dies nicht als Handlungsoption als ""NÄCHTES"" auf der Tagesordnung.

    www.tagesschau.de/...s-ukraine-102.html

    Definitiv: Scholz hat den Einsatz von Taurus NICHT in Stein gemeisselt ausgeschlossen. Er hat jetzt einen Fausfand in der Hand - um was gegenüber der Russischen Förderation zu erreichen?

    Darüber hinaus existieren viele (VIELE) praktische Wege damit die Ukraine den Taurus im Sinne aller Beteiligten einsetzen kann - ohne momentanen die ernst zu nehmenden Bedenken des Bundeskanzlers zu tangieren.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      "Definitiv: Scholz hat den Einsatz von Taurus NICHT in Stein gemeisselt ausgeschlossen. "



      Danke, dass sie darauf hinweisen.



      Was ich mich interessieren würde (ich weiß es tatsächlich nicht): Gibt es in anderen Unterstützerländern der Ukraine, also z.B. GB, Kanada, Tschechien, eigentlich auch im Zwei-Monats-Takt hysterische öffentliche Diskussionen über irgendein spezifisches Waffensystem, oder ist das "typisch deutsch"?

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Barbara Falk:

        Na klar ist das ""typisch deutsch"" - gefangen in dem Konflikt als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches - dem größten Verbrecherregime welches jemals existierte - hin zum Widererlangen eines staatlichen Selbstbewußtseins welches sich derzeit trainiert, mit militärischen Exporten zusammen mit europäischen Partnern den brutalen imperialistischen Überfall Russlands einzudimmen & abzustellen. Doch die Schatten der Vergangenheit hängen noch tief - man will absoölut nichts falsch machen -- und schon garnicht den Ukrainekonflikt weiter aufheizen.

        Tschechien ist da selbstbewußter -- - durch eigene Erfahrung -- durch den russischen Überfall 1968 - an dem auch der 2. deutsche Staat namens DDR teilnahm.

        Das zeigt wie kompliziert deutsche Geschichte ist und das Handeln aktuell im Wesentlichen bestimmt.

  • Mit einem Leopard kann man auch über die Grenze schießen und über die Grenze fahren und die Soldaten werden dazu in Deutschland ausgebildet. Die Ukraine ist ein souveräner Staat und wenn dieser Waffen kauft, kann er diese einsetzen. Wie diese Waffen eingesetzt werden, dafür kann Deutschland nicht verantwortlich gemacht werden. Ansonsten dürfen wir auch keine Pistolen mehr verkaufen. Die Logik von Scholz ist nicht schlüssig. Er sagt nicht die Wahrheit.

  • Das Problem sind nicht fehlende Machtworte, das Problem ist fehlendes Charisma.

    Und sein trotziges "Nein" zur Taurus-Lieferung lässt ihn nicht kraftvoller wirken, sondern genau als der ängstliche, taktierende Bürokrat, der er ist.

  • Lächerliche Begründung von Scholz. Der Taurus ist keine Wunderwaffe aber eine effektive und nötige Ergänzung, die auch der Realität Rechnung trägt dass UK und Frankreich nicht unbegrenzt Stormshadow und Scalp liegen können.

    Als ob Putin eskalieren würde, der droht bei jedem Pups mit der Bombe und die deutschen Hühner rennen jedesmal brav im Kreis. Dieser Krieg ist konventionell und es ist schlimm genug dass wir ohne die Amis komplett im Regen stehen würden, weil der Pazifismus jahrelang en vogue war.

  • Erleichterung ob des klaren Meinst zu Taurus.

  • Endlich! Wenn das so weiter geht, wäre die SPD wieder wählbar.

  • „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das“

    Endlich Mal eine klare Ansage; diese ganze Diskussion um Taurus ist ja wirklich etwas realitätsfremd. Es ist absurd, dass man so viel über ein Waffensystem liefern, dass nicht kriegsentscheidend ist, jedoch enormes Eskalationspotential bietet. Wäre Taurus kriegsentscheidend sähe die Situation anders aus. Inzwischen sollte eigentlich auch jeder verstanden habe, dass ohne Einbindung von deutschen Soldaten es auch nicht möglich ist den Gebrauch der Ukraine von Taurus zu überwachen.

    Gut finde ich auch, dass Scholz sich bzgl Assange äußerst. Ich empfinde seinen rationalen Politikansatz angenehm in Zeiten in denen immer mehr Politiker (egal welche Parteien) einen populistischen Ansatz verfolgen (nicht nur bzgl Krieg in Ukraine).



    Gerne auch in Zukunft öfter öffentlich für kompetente, verantwortungsvolle und antipopulistische Politik eintreten, Herr Bundeskanzler!



    Es gibt noch genügend "altmodische" Bürger, die das auch an der Wahlurne honorieren würden.

    • @Alexander Schulz:

      Genau, klare Aussage. Hat er nicht etwas ähnliches gesagt, als es um grundsätzliche Waffenlieferungen an die Ukraine ging? Wie oft hat er schon seine klaren Aussagen ändern müssen?

  • "Deshalb gilt das." (Scholz) - Hoffentlich auch morgen und übermorgen noch.

    "Niemand der Taurus für die Ukraine fordert, will, dass Deutschland zur Kriegspartei wird." (Göring-Eckardt) - Ja, Raser wollen auch keinen Unfall bauen, Böllerfreunde niemanden verletzen und Freier ohne Kondom niemanden infizieren ...

    • @Kohlrabi:

      Dem kann ich nur zustimmen. Leider liegt in den meisten politischen Debatten heutzutage auf der guten Intention der Akteure und nicht auf dem potentiellen Ergebniss.

  • Glaubwürdiger wäre die Äußerung von Scholz gewesen, hätte er nicht lediglich für eine Nichtauslieferung an die USA plädiert, sondern gleichzeitig auch für eine Freilassung von Julian Assange.

  • Ja, Scholz hat ein Machtwort gesprochen, und was fuer eines: es ist das Machtwort eines Angsthasen. Wenn Putin den Krieg gegen die Ukraine gewinnen sollte und Trump amerikanischer Präsident werden sollte, kann Deutschland, gar die Nato, sich dann einen Kansler Scholz noch leisten?

  • Läutet der Kanzler in Sachen Führungsstärke eine Trendwende ein?



    Wie wäres es denn jetzt in Sachen Lieferkettengesetz und Plastikmüll und z.B. Mindestlohnerhöhung?????

  • Ok 175 Jahre Knast für die Veröffentlichung von unethischen US Einsätzen. Geht eindeutig zu weit. Aber Taurus nicht liefern, sage ich immer wieder, ist typisch "Valium" - Scholz.