Ukrainische Sängerin Mariana Sadovska: Singen gegen die Angst
Zwischen Avantgarde und Folkmusik: Die ukrainische Sängerin Mariana Sadovska geht bei ihrer Suche nach dem Ursprung ukrainischer Musik eigene Wege.
Es beginnt mit zarten Geigenklängen, fast zeitlupenartigen Schlägen auf die Snaredrum und einem langsamen Arpeggio mit der akustischen Gitarre. In bedächtigem Tempo leiten Sängerin Mariana Sadovska und Schlagzeuger Max Andrzejewski das Stück „Meine Rose (Mittsommernacht)“ ein – es ist ein rituelles altes Lied über das Leben auf dem Dorf, in der Natur.
Irgendwann schwingt sich die todtraurig klingende Stimme Sadovskas immer mehr auf, nach einem ruhigen Spannungsmoment kommt ein Chor hinzu.
Die Intonation wird zackiger, es kommt Schwung in das Stück, ehe Streichinstrument und Schlagzeug fast freejazzig das Finale einläuten. Dieses schwermütige Lied mit all seinem Pathos ist eines der ergreifendsten Stücke auf dem neuen Album der ukrainischen Musikerin und Komponistin Mariana Sadovska. „Songs of Wounding“ heißt das Werk, darauf hat Sadovska mit dem Berliner (Jazz-)Musiker Andrzejewski und dem Gesangstrio Kurbasy aus Lviv ukrainische Volkslieder neu eingespielt – mit Elementen aus Avantgarde und Neuer Musik.
Die Dörfer bereist
Sadovska, die ebenfalls aus Lviv stammt und dort Klavier studierte, ist seit vielen Jahren eine der bekanntesten Folk-/Global-Pop-Musikerinnen aus der Ukraine. Seit mehr als 20 Jahren lebt sie in Köln. Für traditionelle ukrainische Songs und Gesänge der Vergangenheit hat sie sich schon früh interessiert. Seit sie 18 ist, hat sie die Dörfer ihres Heimatlands bereist, um nach ihnen zu forschen und Feldaufnahmen zu machen. Sie debütierte 2001 mit dem Album „Songs I learned in Ukraine“, auf dem tiefmelancholische Klavier- und Akkordeonstücke versammelt sind.
Mariana Sadovska/Max Andrzejewski/Elisa Erkelenz/Tino Kurbasy: „Songs of Wounding“ (Pantopia Music)
Die musikalische Ausgrabungsarbeit ist ihr ein politisches Anliegen – Russland hat das eigenständige Lied- und Kulturgut der Ukraine vor und nach der Sowjetzeit immer zu unterdrücken versucht. In einem Interview sagte Sadovska einmal: „Es geht um unsere tragische Geschichte, in der die Ukraine einen Nachbarn hat, der seit Jahren versucht, unsere Kultur zu vernichten.“
Mit ihrer Musik kämpft sie gegen diesen Vernichtungswillen an, nach dem 24. Februar 2022 hat sie sich auch mal als Teil eines „musikalischen Bataillons“ bezeichnet. Sie hilft den ukrainischen Streitkräften aber auch ganz konkret und praktisch, indem sie Spenden für Militärausrüstung sammelt (auf ihrer Website findet sich das Spendenkonto).
Klagelieder gegen den russischen Angriff
Das Projekt „Songs of Wounding“ begann aber bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Sadovska und Andrzejewski haben die Stücke 2021 im Rahmen der Konzertreihe „Outernational“ in Berlin erstmals neu interpretiert. Die Musik wurde dann zum Großteil bei den Leipziger Jazztagen 2023 aufgenommen. Viele Songs erinnern an Klagelieder, etwa „Nachtigall“ und „Der Wind weht aus den Bergen“, bei denen der Gesang im Vordergrund steht.
Mit Klageliedern und ihren verschiedenen Funktionen hat sich Sadovska auch ethnografisch auseinandergesetzt. Sie erklärt auf der Projektwebsite etwa, dass diese Lieder nicht nur dazu da seien, den Schmerz herauszulassen, sondern in der griechischen Tradition auch, um das Böse von sich fernzuhalten.
Singen gegen die Angst. Neben den melancholischen Songs finden sich auf dem Album auch dynamischere Stücke in hohem Tempo wie etwa „Felsen“, das vom Verlust der Jugend handelt. Den Refrain trägt Sadovska mit viel Verve und voller Stimme vor, im Verlauf des Songs geht sie zum Flehen, fast zum Schreien über. Zum Abschluss hört man frei improvisierte Sounds des Schlagzeugs und der Streicher.
Die Singtradition der Wagenhändler
Aus welchen Kontexten die Songs stammen, verraten manchmal schon die Titel. Das getragene „Chumaky“ spielt etwa auf „Chumaks“ an, so hießen Wagenhändler in der Ukraine im Mittelalter. Wagenhändler sollen auf meist nächtlichen Reisen in der Ukraine einst eine eigene Singtradition begründet haben. An einem Stück ist – Überraschung – die Berliner Noise-Musikerin Marta Zapparoli beteiligt, die für krachige Tape-Loops und elektronische Experimente bekannt ist. „Marta“ ist entsprechend ein kleiner Ausreißer auf dem Album, plötzlich sind da dronig-doomige Töne zu vernehmen.
Besonders an dem Album ist insgesamt die Verbindung aus traditionellem Volkslied und Avantgarde/Freier Musik. So entstehen Brüche innerhalb der Songs, etwa wenn hymnische und harmonische Passagen übergehen in chaotisch-nervöse Töne der Rhythmussektion. Damit gelingen Sadovska und ihren Mitmusiker:innen überraschende Interpretationen. Ursprünglichkeit und Tiefe gehen den Songs keineswegs verloren – ganz im Gegenteil, sie gewinnen durch diese Neubearbeitungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!