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Kinder mit Down­syndrom vor 5.000 JahrenBesonders prachtvolle Bestattung?

Laut einer Studie haben manche Kinder mit Trisomie 21 vor Tausenden Jahren ein besonderes Begräbnis bekommen. Was sagt das über Inklusion damals?

Bei Menschen mit Trisomie 21 liegt das Chromosom 21 nicht doppelt, sondern dreifach vor Foto: Astier/BSIP/imago

Wie gingen prähistorische Gesellschaften mit Menschen mit Downsyndrom um? Heute werden Menschen mit Trisomie 21 durchschnittlich sechzig Jahren alt. Dass ihre Lebenserwartung steigt, hat viel mit besserer medizinischer Versorgung zu tun. Vor Tausenden Jahren von Jahren war das anders, Kinder mit Trisomie 21 starben meist vor oder kurz nach der Geburt. In einer in Nature Communications veröffentlichten Studie fragte sich ein internationales Forscherteam, wie Kinder mit Downsyndrom damals bestattet wurden.

Die Studie

Zunächst standen die Forscher vor der Herausforderung, Skelette von Menschen mit Downsyndrom zu identifizieren. Dafür analysierten sie die DNA-Daten von knapp 10.000 Skeletten aus der Vor- und Frühgeschichte und suchten nach Proben, in denen Chromosomen besonders häufig auftraten.

In sechs Fällen entdeckten sie eine Häufung von Chromosom 21, ein eindeutiges Indiz für das Downsyndrom. In einem Fall war Chromosom 18 gehäuft, das Edwards-Syndrom. Dies ist der erste prähistorische Nachweis dieses Syndroms. Das älteste der Skelette stammt von vor knapp 5.000 Jahren aus dem heutigen Bulgarien, gleich drei Fälle konnten einem Fundort in Spanien von vor gut 2.500 Jahren zugeordnet werden. Alle Kinder starben noch im Mutterleib oder maximal 16 Monate nach der Geburt.

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Die Forschenden betrachteten auch die Bestattungsweise. Insbesondere die Funde aus Spanien waren hier von Interesse. Die eisenzeitlichen Leichname in der Region wurden in der Regel verbrannt. Die einzigen Skelettfunde waren die Leichname von Dutzenden von Kindern.

Die Forscher entdeckten, dass ausgerechnet eines der Babys mit Downsyndrom besonders prachtvoll bestattet wurde. Um den Leichnam herum lagen Bronzeringe, eine Muschel und vollständige Überreste von drei Schafen. Auch bei dem Fund in Griechenland entdeckten die Forscher ein fein gearbeitetes Halsband.

Die anderen Babys mit Downsyndrom wurden so bestattet, wie es in der jeweiligen Epoche und Region üblich war. Die Forschenden vermuten daher, dass die Babys mit Downsyndrom als regulärer oder vielleicht sogar herausgehobener Teil der Gesellschaft angesehen wurden. Allerdings ist die Fallzahl, auf der diese Annahme beruht, sehr gering.

Was bringt’s?

In den vergangenen Jahrzehnten wurde nur eine Handvoll prähistorischer Fälle von Downsyndrom entdeckt. Nun sind sechs weitere Fälle hinzugekommen. Es bleiben aber offene Fragen: Deuten die zum Teil prachtvollen Bestattungen wirklich darauf hin, dass die Gesellschaften wertschätzend mit behinderten Menschen umgingen? Teilweise starben die Babys noch im Mutterleib, zu diesem Zeitpunkt waren äußerliche Besonderheiten nicht unbedingt erkennbar. Die Forschenden hoffen daher, dass in den kommenden Jahren noch mehr Skelette genetisch analysiert werden.

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4 Kommentare

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  • Wie gesagt: Graebers Buch ist so oder so sehr lesenswert. Er sieht die auffällige Häufung besonders geschmückter Gräber für Auffällige, scheinbar Deformierte als Zeichen eines Quasi-Königtums für besondere Zeiten, das die organisierte Anarchie ansonsten unterbrechen kann - der "Andere" als Inspirations-Reserve für Krisen. Sehr verkürzt.

  • "Die Forscher entdeckten, dass ausgerechnet eines der Babys mit Downsyndrom besonders prachtvoll bestattet wurde. Um den Leichnam herum lagen Bronzeringe, eine Muschel und vollständige Überreste von drei Schafen. Auch bei dem Fund in Griechenland entdeckten die Forscher ein fein gearbeitetes Halsband.

    Die anderen Babys mit Downsyndrom wurden so bestattet, wie es in der jeweiligen Epoche und Region üblich war. Die Forschenden vermuten daher, dass die Babys mit Downsyndrom als regulärer oder vielleicht sogar herausgehobener Teil der Gesellschaft angesehen wurden. Allerdings ist die Fallzahl, auf der diese Annahme beruht, sehr gering."

    Sehr steile Schlussfolgerung. Wenigstens wird die sehr schwache Quellenlage in einem Nebensatz erwähnt, was die These quasi entwertet.

    Eventuell ist es plausibler anzunehmen, dass das opulent bestattete Kind das einer besonderen, wohlhabenden Familie war und die ganze Geschichte nichts mit Trisomie 21 zu tun hat. Was man aber aus diesen Funden ablesen kann, ist, dass die Menschen auch vor 5000 Jahren ihre beeinträchtigt geborenen Kinder geliebt und ihnen ein angemessenes Begräbnis gegeben haben.

  • Lesetipp: das letzte Buch von David Graeber lesen. Das beantwortet auch diese Frage in ein paar Nebenpunkten mit einer Vermutung.

  • "Laut einer Studie haben manche Kinder mit Trisomie 21 vor Tausenden Jahren ein besonderes Begräbnis bekommen. Was sagt das über Inklusion damals?"



    Nach meinem Logikverständnis: nichts. Von 'manchen' Kindern auf alle rückzuschlussfolgern, ist keine gute Idee. Zumal wenn sonstige Begleitumstände völlig unbekannt sind.