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Versorgung Gazas aus der LuftKläglicher Offenbarungseid

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Es müsste nicht nötig sein, Lebensmittel für Gaza aus der Luft abzuwerfen. Dass es so ist, verdeutlicht Israels Scheitern.

Ein freudiger Anblick, leider: Hilfslieferungen segeln auf den Gazastreifen herab Foto: Kosay Al Nemer/Reuters

E ssenspakete per Fallschirm – die neueste Variante der humanitären Hilfe für Gaza offenbart ein Scheitern. Hilfsgüter aus der Luft sind die teuerste und ineffizienteste Form: Man kann nicht kontrollieren, ob und wo die Güter landen, wer sie entgegennimmt und was mit ihnen geschieht.

Normalerweise macht man so etwas nur, wo Menschen von der Außenwelt komplett abgeschnitten sind, etwa unter Belagerung oder wegen einer Naturkatastrophe. Nichts davon ist in Gaza der Fall. Der Norden des Gaza­streifens steht unter Kontrolle der israelischen Armee. Nur wenige Kilometer entfernt, auf israelischem Staatsgebiet, gibt es alle Güter des Überlebens in Hülle und Fülle.

Dass nun Drittländer dort Nahrung aus der Luft abwerfen, hat ausschließlich einen politischen Grund: Israel riegelt ein israelisch kontrolliertes Gebiet samt seiner Bevölkerung komplett von jeder Versorgung ab. Die Grenzübergänge aus Israel in den nördlichen Gazastreifen sind dicht. Der Seeweg ist gesperrt.

Die humanitäre Hilfe aus Ägypten ist ein bürokratischer Hürdenlauf: Güter werden erst quer durch die gesamte Sinai-Halbinsel gefahren, dann an einem ägyptisch-israelischen Grenzübergang kontrolliert, dann nach Rafah gebracht, im Niemandsland an der Grenze abgeladen, von palästinensischen Fahrern wieder aufgeladen und dann ohne jeden Schutz weitertransportiert. Schon unmittelbar hinter der Grenze im südlichen Gazastreifen ist die Not so immens, dass die weiter entfernten Gebiete im nördlichen Gaza­streifen nur selten erreicht werden.

Kein Wunder, dass fast nichts durchkommt, während sich auf der ägyptischen Seite der Grenze die Lastwagen zu Hunderten stauen. Und viele medizinische Güter oder auch Mittel zur Trinkwasseraufbereitung werden von Israel gar nicht durchgelassen. Was durchkommt, genügt nicht ansatzweise für zwei Millionen Menschen ohne Wasser und Strom, ohne Essen und Trinken, ohne Medikamente und Sicherheit in Trümmerbergen voller Leichen oder Zeltlagern, wo das Recht des Stärkeren herrscht. Massenaufläufe traumatisierter und verzweifelter Menschen, sobald ein Transport am Horizont auftaucht, sind wenig verwunderlich. Und dann eröffnet Israels Armee auf solche Menschen auch noch das Feuer.

Vier Monate nachdem Israel in den Gazastreifen einmarschierte, ist dieser Zustand nicht mehr mit dem Hamas-Massaker zu rechtfertigen

Vier Monate nachdem Israel in den Gazastreifen einmarschiert war, ist dieser unerträgliche Zustand nicht mit dem völkermörderischen Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 zu rechtfertigen. Man kann nicht monatelang zwei Millionen Menschen beherrschen, ihnen alle Lebensgrundlagen nehmen und zugleich jede Verantwortung für ihr Leben von sich weisen. Entweder ist das beabsichtigt, dann ist der Völkermordvorwurf gegen Israel nicht von der Hand zu weisen. Oder es ist nicht beabsichtigt, dann haben Israel und seine internationalen Verbündeten versagt.

Langfristig braucht der Gazastreifen eine internationale Verwaltung. Kurzfristig braucht die humanitäre Hilfe internationalen Geleitschutz und Schutzzonen für die Bevölkerung. Dies wäre eigentlich die Aufgabe der Vereinten Nationen. Auch dies will Israel nicht und führt gegen UN-Instanzen eine Kampagne der Verunglimpfung. Vielleicht sollten die US-Flugzeuge über Gaza nicht nur Fallschirme mit Care-Paketen abwerfen, sondern US-Fallschirmspringer zur Besetzung des Gebiets und zum Schutz seiner Menschen. Wenn erst Hunderttausende Palästinenser verhungert sind, ist es zu spät.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.