Kinder fragen, die taz antwortet: Warum zählen Franzosen so komisch?
Wir wollen von Kindern wissen, welche Fragen sie beschäftigen. Jede Woche beantworten wir eine. Diese Frage kommt von Philipp, 8 Jahre alt.
Danke und merci für deine Neugier, denn warum nur heißt es im Französischen „soixante-dix“ für die Zahl 70, also 60+10. Und 4 x 20 ist en français „quatre-vingts“ – und „quatre-vingt-dix“, 4 x 20 + 10 ist gleich 90? Spoiler, so viel verrate ich schon mal: Es hat mit der Zwanzigerzahlenidee, dem sogenannten Vigesimalsystem zu tun … Aber der Reihe nach, lieber Philipp.
Französisch ist eine sogenannte romanische und sehr alte Sprache – entwickelt hat sie sich aus dem antiken Latein. Aber das französische Zahlensystem mischt 2 Arten – bis heute. Da ist einmal das Dezimalsystem der Römer, nach dem wir auch in allen deutschsprachigen Ländern zählen und das weltweit die meisten nutzen. In dem Wort steckt das lateinische „decem“ für die 10.
Forschende sehen bei diesem System einen Zusammenhang mit den je 5 Fingern unserer 2 Hände. Als Zähl- und Rechenhilfe heißt das dann Fingerrechnen. Der deutsche Wissenschaftler Harald Haarmann hat etwa herausgefunden, dass es auf dem Globus kleine Sprachgruppen gibt, in denen die 5 mit „Hand“ bezeichnet wird und die 10 mit „zwei Hände“. Doch zurück zu den französischen Zahlen!
Sie fußen auf dem Dezimalsystem plus dem Vigesimalsystem. Wer hat sich bloß diese verrückte Mischung von Zählweisen ausgedacht, hat die etwa der Druide Miraculix im Dorf von Asterix und Obelix in seinem Kessel zusammengebraut?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Nein, Asterix’ keltischen Verwandten, die von den alten Römern Gallier genannt wurden, lebten um 50 vor Christus. Laut dem Mathematikhistoriker Karl Menninger kamen erst die Normannen auf die neue Zählweise. Die lebten viel später, im Mittelalter ab 911 nach Christus, in der Gegend, die in Frankreich heute Normandie heißt. Das Vigesimalsystem (da steckt das lateinische Wort „vicesimus“, der „Zwanzigste“ drin) baut auf der Zahl 20 auf; man zählt in 20er-Schritten. Vermutet wird, dass damals Menschen zum Zählen und Rechnen auch ihre Zehen verwendet oder einfach die Hände nach der ersten 10 umgedreht haben.
Jetzt haben wir noch gar nicht von Claude Favre de Vaugelas und Gilles Ménage erzählt, lieber Philipp. Die beiden Forscher haben im 17. Jahrhundert dafür gesorgt, dass in Frankreich bis 60 mit dem Dezimalsystem gezählt wird, für die 70, 80 und 90 aber das Vigesimalsystem geblieben ist. In Belgien und der französischsprachigen Schweiz heißt es aber meist septante, huitante, nonante!
Leser*innenkommentare
Suryo
Wer französische Zahlen für irre hält, sollte sich mal die dänischen angucken.
90: halvfems = eine halbe 20 weniger als fünf 20
Herbert Eisenbeiß
Richtig, gut erklärt.
Übrigens hat auch Deutsch in Sachen Zahlen eine Schrulle, nämlich 21. Ein und Zwanzig, oder 121 - Hundert Ein und Zwanzig.
Nur die Deutschen zählen bei Zahlwörtern so verdreht im Kopf, auf Englisch ist es ganz einfach twenty one, also Zwanzig Eins. Hundert Zwanzig Eins usw.
Suryo
@Herbert Eisenbeiß Zum einen gab es das im englischen früher auch, zum anderen ist oder war es auch in anderen germanischen Sprachen so, z.B. im niederländischen oder Norwegischen. Nur das auf 20er-Schritten basierende Dänisch ist anders.
Janix
@Herbert Eisenbeiß Wenn Sie älteres Englisch lesen, werden Sie auch auf one-and-twenty stoßen. Sprachen ändern sich zuweilen.
Willi Müller alias Jupp Schmitz
Merci beaucoup und Dankeschön, Harriet Wolff.
Schlüssig erklärt!🙂
Meine Herzallerliebste ist Französin und wir leben seit 12 Jahren im Elsass.
Wenn ich von der Arbeit aus der Schweiz nach Hause komme und mal gewollt, mal ungewollt ein nonantecinque einfließen lasse, kriege ich Schimpfe:
Nous sommes en France quand même...
Janix
@Willi Müller alias Jupp Schmitz Das ließe sich sprachlich beim Elsass so oder so sehen, zumindest historisch - Elsässisch verstehen Deutsche und Franzosen beide nicht, das ist auch eine Art von Fairness. Aber es wäre dezimal, so mein Eindruck.
Lowandorder
Schön.
Fünf-Finger findet sich von den Griechen bis heute in der Rhetorik.
Ein guter Vortrag geht in fünf Schritten
Jeder Fünfsatz enthält die Phasen: Einleitung, Hauptteil und Schluss. Diese lassen sich mit Hilfe der fünf Finger der Hand einprägsam beschreiben: Der Daumen steht für die Einleitung, für den situativen Einstieg. Die mittleren Finger symbolisieren drei argumentative Schritte.
zb
www.albertthiele.de/fuenfsatztechnik/
& Elsaß und französisch zählen
Du stehst zB in (la) Hohwald in der Post!
Und die Damenwelt vor dir ist am ratschen:
Klar - tiefstes alemannisch!
& Däh gehts ans Zahlen und die Briefmarken =>
Französischen „soixante-dix“ für die Zahl 70, also 60+10. Und 4 x 20 ist en français „quatre-vingts“ – und „quatre-vingt-dix“, 4 x 20 + 10 ist gleich 90? „
Tomi Ungerer hat Wesentliches dazu gesagt
de.wikipedia.org/wiki/Tomi_Ungerer