Reeder-Einstieg in den Hamburger Hafen: In fünf Jahren droht die Kündigung
Peter Tschentscher (SPD) wirbt um Zustimmung für den MSC-Deal. An der Beteuerung, die Beschäftigten hätten nichts zu befürchten, wachsen die Zweifel.
Tags zuvor war bekannt geworden, dass besonders der wichtige Containerumschlag im vergangenen Jahr bei nur noch 7,7 Millionen Standardcontainern (TEU) lag und damit um satte 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen war.
Doch Rettung ist nach Ansicht des Bürgermeisters in Sicht – in Form einer „strategischen Partnerschaft mit MSC“: Derlei Kooperationen, wobei sich Reedereien bei lokalen, öffentlichen Hafenbetreibern einkaufen, seien „international etabliert“, gar „unternehmerisch sinnvoll“ – und in Anbetracht schrumpfender Umschlagszahlen ganz besonders dringlich. Die liegen jetzt wieder auf dem Stand von 2009, dem Jahr der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise.
Ob das aber tatsächlich ein Befreiungsschlag wird, dem die Bürgerschaft zustimmen muss, bezweifelten die Oppositionsparteien CDU und Linke gleichermaßen. „Wir haben in Hamburg nur schlechte Erfahrungen mit Privatisierungen gemacht – und da kommen Sie auf die Idee, mit Privatisierung auf die Krise des Hafens zu antworten“, schimpfte der hafenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Norbert Hackbusch.
Der Investor soll's richten
Wie der Senat gemeinsam mit der Schweizer Reederei MSC im vergangenen September bekannt gab, soll der größte Hafenbetrieb, die Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA), künftig von beiden nahezu gleichberechtigt geleitet werden. Seit einer ersten Teilprivatisierung 2007 unter dem damaligen CDU-geführten Senat hält die Stadt noch rund 69 Prozent der Anteile. Der Rest in Streubesitz. Künftig soll MSC 49,9 Prozent der Anteile erhalten, die Stadt also rund 19 Prozent ihrer Anteile privatisieren.
Man wolle dann gemeinsam „erhebliche finanzielle Mittel“ aufwenden, um den Hafen zu modernisieren, sagte Tschentscher am Mittwoch. Hamburger Ziel der Kooperation sei es, den Hafen damit zu einem Knotenpunkt des weltweiten MSC-Schifffahrtsnetzes zu machen.
Schließlich verfüge MSC über mehrere Hundert Containerschiffe und jährlich transportiert die Reederei eigenen Angaben zufolge rund 23 Millionen Standardcontainer über die Ozeane. MSC versprach, bald pro Jahr mindestens eine Millionen TEU in Hamburg umzuschlagen, außerdem werde die Deutschlandzentrale des Konzerns nach Hamburg verlegt.
Seither beteuern SPD und Grüne, dass die Hafenarbeiter:innen von dieser Kooperation mit MSC nichts zu befürchten hätten. Vielmehr ist es laut Tschentscher so, dass den Beschäftigten eine „neue Perspektive“ eröffnet würde, die Arbeitsplätze sichern werde. Schon unmittelbar nach der Ankündigung im September hinterfragten Beschäftigte wie Gewerkschafter:innen diese Erzählung und demonstrierten mehrfach gegen das Vorhaben.
Norbert Hackbusch (Linke) zur Regierungserklärung
Und in den vergangenen Wochen wurden die Zweifel größer, nachdem der Senat erstmals etwas umfassender über seine ausgehandelten Pläne in einer Mitteilung an die Parlamentarier:innen Auskunft gab. Derzufolge nämlich sind Änderungen „nicht vor Ablauf von fünf Jahren“ möglich.
Anschließend allerdings, so befürchtet es in der Bürgerschaft die Linke, könnte es düster werden: betriebsbedingte Kündigungen, Tätigkeitsverlagerungen zu externen Dienstleistern, gar der Ausstieg aus dem für Beschäftigte vergleichsweise guten Hafentarif.
SPD wie Grüne hielten am Mittwoch dagegen, dass an der bislang weitgehenden betrieblichen Mitbestimmung auch danach nicht gerüttelt werde: Im HHLA-Aufsichtsrat werde die Arbeitnehmervertretung doch weiterhin über die Hälfte der Sitze verfügen.
Allein: Dieser Rat ist künftig nicht mehr die allerhöchste Instanz. Im Zuge der Kooperation will der Senat gemeinsam mit MSC eine Holding-Gesellschaft gründen, in der die Partner ihre Interessen koordinieren. „In der künftigen gemeinsamen Beteiligungsgesellschaft wird es dann keine betriebliche Mitbestimmung geben“, warnte Hackbusch. „Die Rechte der Beschäftigten bleiben unabhängig von der übergeordneten Holding unangetastet“, betonte hingegen Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen.
Ehe die Bürgerschaft frühestens im Mai über den Plan abstimmt, sollen in den kommenden Wochen Expert:innenanhörungen in den zuständigen Ausschüssen stattfinden. Dass die Kritik an seinem Vorhaben unangebracht sei, machte Tschentscher schon am Mittwoch zum Abschluss seiner Rede deutlich: Die Abgeordneten sollten bitte nicht denjenigen folgen, die „ihre eigenen oder Einzelinteressen im Blick haben“. Ob er damit die Beschäftigten meinte, ließ er allerdings offen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wirtschaft aber für junge Menschen
Das Problem mit den Boomer-Ökonomen
Koalitionsverhandlungen in Thüringen
Die Brombeer-Ernte ist gefährdet
Ex-Chefinnen der Grünen Jugend
„Wir dachten, wir könnten zu gesellschaftlichem Druck beitragen“
Wagenknechts Koalitionsspiele
Tritt Brandenburg jetzt aus der Nato aus?
Demografie
Es wird Zeit, reichen Rentner-Boomern ins Gewissen zu reden
Streit in der Ampel
Kritik an Lindners Gegengipfel zur Wirtschaftslage