Judentum in Schleswig-Holstein: Ein Indiz, kein Beweis

Ein Archivfund belegt, dass jüdische Händler schon im 15. Jahrhundert im Norden waren. Ein Zeugnis für früheres jüdisches Leben dort ist er nicht.

Eine Hand in weißem Handschuh zeigt auf eine alte Urkunde

In dieser 600 Jahre alten Urkunde ist von „christlichen oder jüdischen Geldverleihern“ die Rede​ Foto: Birgitta von Gyldenfeldt/dpa

RENDSBURG taz | Geld und Liebe, vereint in einer Urkunde mit acht Siegeln: Auf dem handschriftlichen Dokument gelobt ein Burgmann namens Heine Schack aus Lauenburg seiner Tochter, dem Knappen Hartwig von Plessen „Mitgift und Brautschatz in Höhe von 230 Mark Pfennige“ zu zahlen. Am 1. Februar 1424 datierte der Burgmann das rechteckige Schriftstück, es ist damit genau 600 Jahre ist alt.

Zu einer „kleinen Sensation“ – wie der Leiter des Landesarchivs, Rainer Hering, es nannte – wird das Dokument durch die „Schadensklausel“, in der von christlichen oder jüdischen Geldverleihern die Rede ist, bei denen das Geld aufgenommen werden könnte. Jüdische Geldverleiher, die bereits vor 600 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Schleswig-Holsteins tätig waren: Das widerspricht dem bisherigen Forschungsstand, der jüdisches Leben erst seit gut 400 Jahren, also dem späten 16. Jahrhundert nachweist.

Kurz danach, am Anfang des 17. Jahrhunderts, hieß der dänische König Christian IV. jüdische Familien und Angehörige anderer Minderheiten offiziell willkommen – ein europaweit ungewöhnliches Projekt, mit dem der Dänenherrscher die auf dem platten Land gegründeten „Toleranzstädte“ Glückstadt und später Friedrichstadt beleben wollte. Muss die Geschichte nun neu geschrieben oder zumindest um 200 Jahre in die Vergangenheit verlängert werden?

Kein Beweis für dauerhafte Ansiedlung

„Eher nein“, sagt Mirjam Gläser vom Jüdischen Museum Rendsburg, wo die Geschichte des Judentums im Land dokumentiert ist. „Das Dokument ist schon eine kleine Sensation, aber daraus lässt sich nicht ableiten, dass es so viel früher jüdische Ansiedlungen gab.“ Eine gesicherte Quellenlage, die auch über die rechtliche Stellung von Jüdinnen und Juden in Holstein Auskunft gibt, finde sich erst seit Ende des 16. Jahrhunderts. Gläser vermutet daher, dass Geldverleiher und möglicherweise andere Händler im Herzogtum Lauenburg zwar ihre Dienste anboten, aber nicht am Ort lebten: „Die Mobilität ist nicht zu unterschätzen.“

Damit bestehe auch kein Anlass, die Dauerausstellung des Museums zu ändern, die 400 Jahre jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein beschreibt: „Ein einzelner Aktenfund ersetzt keine profunde Forschung“, sagt Gläser. „Es ist ein Indiz dafür, dass es einzelne Jüdinnen und Juden gab, aber kein Beweis für eine dauerhafte Ansiedlung.“ Um die zu belegen, brauche es Forschung – „die wir nicht leisten können“, bedauert Gläser.

Tatsächlich gab es nicht viel, was jüdische Familien in den rückständigen und landwirtschaftlich geprägten Norden hätte ziehen können. Eine Broschüre der Friedrich-Ebert-Stiftung über jüdisches Leben in Mecklenburg-Vorpommern erinnert an ein Dekret Kaiser Konstantins aus dem Jahr 321, das eine jüdische Gemeinde in Köln belegt. Weitere bedeutende jüdische Gemeinden entstanden entlang der Handelsrouten an Rhein, Main, Mosel, Neckar und Donau.

Für Mecklenburg-Vorpommern wird erstmals im Jahr 1266 ein Anwohner jüdischen Glaubens in Wismar erwähnt, „Landesherrscher Heinrich der Pilger wie auch sein Sohn, Heinrich II., mussten diese in Wismar ansässigen Juden aber mehr als einmal gegen Übergriffe der Bürgerschaft verteidigen“, heißt es in der Broschüre. 1325 wurden Juden in Krakow beschuldigt, eine Kirche aufgebrochen und die Abendmahls-Oblaten gestohlen zu haben – der Fall endete mit Folter und Hinrichtung der Beschuldigten.

Im heutigen Schleswig-Holstein gab es erst Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts erste jüdische Zuzüge, doch gut aufgenommen wurden sie nicht, heißt es auf der Homepage der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: „Die Kreuzzugspogrome und die noch grausamere Verfolgung während der Zeit der Pest waren vorbei. Die Vorurteile gegen Juden aus diesen Zeiten als angebliche Hostienschänder, Ritualmörder und Brunnenvergifter waren jedoch nicht ausgeräumt. Auch im inzwischen protestantischen Norden galten noch die päpstlichen Berufsverbote, auch dort war ihr Leben durch strikte Auflagen eingeschränkt.“ In Kiel etwa versuchten die Landesherren „gezielt, Juden aus der Stadt herauszuhalten“.

Bei Onlinerecherche gefunden

Erst durch die Toleranzstädte Christians IV. öffneten sich die Tore für jüdische Siedler, nicht nur aus dem Umland, sondern aus ganz Europa: So siedelten sich Sepharden von der Iberischen Halbinsel in Glückstadt an der Elbe an, mit der der König Hamburg Konkurrenz machen wollte. In Friedrichstadt, benannt nach dem Gottorfer Herzog Friedrich III., siedelten neben Jü­d*in­nen niederländische Religionsflüchtlinge wie Mennoniten oder Remonstranten.

Auch wenn die Urkunde aus dem Landesarchiv in Schleswig die Geschichte des Judentums in Schleswig-Holstein nicht neu sei, zeige sie, wie sich die Digitalisierung auswirkt: So fand Archivleiter Hering den Text durch eine Onlinerecherche in den Beständen. Dies zeige, wie wichtig es sei, Dokumente zu digitalisieren und immer mal wieder andere Fragestellungen in der Onlinesuche anzuwenden, sagte er bei einer Pressekonferenz.

Auch Gläser berichtet von Vorteilen der Digitalisierung: Für die Ausstellung „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“, die Anfang März starten soll, ging Museumsleiter Jonas Kuhn auf weltweite Suche in den elek­tronischen Archiven und fand neues Material über den Kieler Juden und Hoflieferanten Michael Lask im Leo Baeck Instituts in Jerusalem.

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