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Kinotipp der WocheUnvorstellbare Freiräume

Subkultur in Zeiten der Mauer: „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989“ prämierte 2015 auf der Berlinale. Nun läuft die 80er-Doku im Sputnik.

Mark Reeder und Muriel Gray vor dem SO 36 in West-Berlin, 1983 Foto: Interzone Pictures

Per Kartengrafik und Auto verschlägt es einen jungen Mann Ende der 1970er Jahre aus Manchester nach Westberlin. Kopfüber stürzt er sich in einer Mischung aus historischem Filmmaterial und stilbewusstem Reenactment in eine Stadt, die es nicht mehr gibt und die dem späteren Musiker und Labelbetreiber Mark Reeder den Atem verschlägt.

Nachdem „B-Movie. Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989“ von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange vor knapp zehn Jahren im Panorama der Berlinale Premiere feierte, wurde der Film schnell zum Publikumshit und ist das bis heute geblieben. Aktuell zeigt das Sputnik Kino den Film erneut.

Auf Reeders Spuren, der sich und seine Lebensgeschichte in jenen Jahren in dem Film mehr oder weniger selbst spielt, tauchen wir ab in die Westberliner Hausbesetzerszene, in Nachtclubs und Konzerte. Die Kunst von „B-Movie“ besteht darin, das Schwelgende von Reeders Kommentar nicht unter Materialmassen zu begraben, sondern auch in diesen das ­Verspielte und Experimentelle zu würdigen. Auf der Tonspur berichten Protago­nist_innen der West-Berliner-Musikszene wie Annette Humpe oder Blixa Bargeld.

Auch die Wurzeln der Filmemacher liegen in der Musikszene. Jörg A. Hoppe beginnt mit einem kleinen, unabhängigen Kassetten- und VHS-Label, bevor er über den Offenen Kanal zum Fernsehen kommt. Klaus Maeck beginnt mit einem Punk-Plattenladen und dreht dann ­Super-8-Filme. 1984 ist er einer der Ko-Regisseure des Gegenkultur-Filmklassikers „Decoder“. Von den drei Regisseuren hat nur Heiko Lange eine leidlich gradlinige Filmlaufbahn.

Auch wenn der Film etwas von „Opa erzähl uns von damals“ für all diejenigen hat, die keine Opas haben, die ihnen von damals erzählen können, bleibt „B-Movie“ weitgehend nostalgiefrei. Stattdessen arbeitet der Film eher die von heute aus unvorstellbaren Freiräume heraus, die die Inselstadt gerade für junge Menschen und das Kulturleben hatte. Schon die Bilder der Stadt mit ihren unzähligen Baulücken und den Häusern, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend unberührt geblieben sind, unterstreichen den Unterschied zu heute.

Zehn Jahre nach seiner Premiere wirkt der Film wie ein Prequel zur Arte-Serie „Capital B“, die zeigt, wie die Politik der Berliner CDU und SPD sich in den Jahrzehnten nach dem Fall der Mauer konsequent jeder realitäts- und zukunftstauglichen Stadtplanung verweigert hat.

„B-Movie“ zeigt aber auch, dass die Subkultur schon am Kriseln war, bevor die Mauer fiel. Ende der 1980er Jahre kommt allmählich Katerstimmung auf und die Musikszene driftete in Professionalität und Aufgeben auseinander, der Drogenkonsum stieg. Kurz darauf verlagerte sich die Musik in Richtung elektronische Musik. „B-Movie“ ist eine vergnügliche Sammlung von Geschichten einer Stadt, in der man das heutige Berlin kaum wiedererkennt.

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1 Kommentar

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  • Ein wirklich cooler Film.



    Er hat mir einiges mir bis dato unbekanntes über die Kultur Westdeutschlands vermittelt (ja, so wie der Westler die Geschichte der DDR sich erfahrbar machen sollte, muss sich der Ostler mit der westdeútschen Geschichte befasen. Nur gemeinsam fallen Mauern.)