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Hanau und das StaatsversagenDeutsche Aufklärung

Doris Akrap
Kommentar von Doris Akrap

Bald jährt sich der Anschlag von Hanau. Noch immer haben sich Politik und Polizei nicht zu ihren Fehlern bekannt. Wie zwingt man sie dazu?

Mehr tut die Politik nicht: Mit bedröppelter Miene vor Gräbern stehen – aber nur wenn Fotojournalisten dabei sind Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

S tellen Sie sich vor, ein Rechtsextremer hat in einer Bar ihren Sohn, Bruder, Neffen oder Onkel ermordet und Sie müssen selbst herausfinden, wie das passieren konnte. Sie tun das, weil es sonst niemand tut, und sie finden heraus, dass es gravierende Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Tat vielleicht nicht verhindert, aber zumindest hätte unterbrochen werden können.

Sie finden unter anderem heraus, dass der Täter mehrfach psychisch auffällig war, und fragen sich, warum er trotzdem einen Waffenschein hatte. Sie finden heraus, dass der Notausgang der Bar verschlossen war, weil ein Polizist das angeordnet hatte, damit bei polizeilichen Razzien niemand abhauen könnte.

Sie finden heraus, dass ihr Sohn, Bruder, Neffe oder Onkel möglicherweise überlebt hätte, wenn er durch diese Tür vor dem Attentäter hätte fliehen können. Sie finden heraus, warum der Notruf ihres Sohns, Bruders, Neffen oder Onkels, der den Attentäter mit seinem Autor verfolgte, stellte und von ihm erschossen wurde, niemanden erreichte: Das zweite Telefon in der Notrufzentrale war nicht besetzt.

Jahrelang müssen Sie darum kämpfen, dass endlich ein Untersuchungsausschuss im Landtag eingesetzt wird. Im Abschlussbericht steht dann, dass die Stadt im Falle des verschlossenen Notausgangs ihrer Fürsorgepflicht nicht nachgekommen sei.

Konsequenzen die wehtun

Sie müssen nun aber feststellen, dass sich kein Politiker bei Ihnen oder in der Öffentlichkeit meldet und zugibt, dass Fehler gemacht wurden. Sie müssen feststellen, dass niemand Verantwortung übernimmt und Sie um Entschuldigung bittet. Niemand wird für die Fehler zur Rechenschaft gezogen.

Stattdessen kriegen Sie eine Einladung von Ihrem Bürgermeister, der Sie dazu einlädt, gemeinsam mit ihm am Todestag Ihres Sohns, Bruders, Neffen oder Onkels an dessen Grab in Stille zu trauern. Und das, obwohl Sie dem Bürgermeister klipp und klar gesagt haben, dass Sie an diesem Tag gerne alleine und nicht im Beisein von Politikern sein wollen.

Wenn Sie zusätzlich dann noch erfahren, dass die Stadt das Denkmal für Ihren ermordeten Sohn, Bruder, Neffen oder Onkel nicht mehr wie geplant auf dem zentralen Marktplatz bauen will, sondern abseits, und dass Sie bei der Gedenkfeier am Jahrestag dieses Mal nicht reden dürfen: Als wie ernsthaft würden Sie dann die Absichtserklärungen der Politiker einschätzen, alles zu tun, dass sich so etwas nicht noch mal wiederholt?

Würde Ihr Vertrauensverhältnis in diesen Staat ins Wanken geraten? Würden Sie denken, dass deutsche Aufklärung für deutsche Politiker da endet, wo sie Konsequenzen ziehen müssten? Konsequenzen, die wehtun, weil sie gegen den eigenen Apparat ermitteln müssten?

Würden Sie denken, dass das aber ganz schön krass ist, weil in deutschen Behörden möglicherweise immer noch rechte Netzwerke bestehen? Und ist die Sache mit dem rechten Terrornetzwerk NSU nicht ebenfalls noch unaufgeklärt?

Würden Sie denken, deutsche Aufklärung bestehe darin, mit bedröppelter Miene den Kopf über den Gräbern der Opfer hängen zu lassen, das aber auch nur in Anwesenheit von Fotojournalisten?

Würden Sie denken, dass der OB längst hätte sagen müssen: Sorry, blöde Idee; wir stellen uns vors Rathaus und überlassen euch Angehörigen an diesem Tag den Friedhof.

Selbst wenn es all die eklatanten Fragen zu behördlichen Unzulänglichkeiten und polizeilichem Versagen rund um das rechte Attentat in Hanau vom 19. Februar 2020 nicht gäbe – selbst dann –, wäre „unanständig“ noch ein zu freundliches Wort für das Verhalten des Oberbürgermeisters von Hanau. Das ist so moralisch verkommen wie der Gesamtzustand der hessischen Behörden verlottert. Failed state Hessen.

Spenden, um den Staat zur Aufarbeitung zu zwingen

Am heutigen Samstag, dem 17. Februar, findet in Hanau eine Demo statt. Jeder, der in diesen Tagen gegen rechts de­mons­triert, sollte sich aufgerufen fühlen, hinzufahren und von den Politikern der Stadt, des Landes und des Bundes Konsequenzen zu fordern.

Armin Kurtović, der Vater des ermordeten Hamza Kurtović, geht jetzt einen Schritt weiter. Er will die Bundesanwaltsschaft zu einem Klageverfahren zwingen; wenn nötig, will er bis vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof ziehen. Um die Anwälte, Gerichtskosten, Gutachten und Recherchen weiterfinanzieren zu können, hat er eine Spendenkampagne initiiert.

Wenn Sie sich fragen, wie viel es bringt, gegen rechts zu demonstrieren, und noch was tun wollen, spenden Sie für das Anliegen von Armin Kurtović und anderen Angehörigen der Opfer eines der größten rechten Anschläge der Bundesrepublik.

Auf diese Weise können Sie die Behörden auffordern, verdammt noch mal ihren Job zu machen. In Hanau, Thüringen und anderswo.

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8 Kommentare

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  • Ein bischen hohe Erwartungen an die hessische CDU, "jüdische Vermächtnisse", Koch, Gauland, Etablierung der "grauen Wölfe", Versagen und Unwilligkeit bei der NSU und NSU 2.0 Aufklärung, ebenso bei der Aufarbeitung des Lübcke Mordes und jetzt sollen die rechten Rechtsverdreher der Union die Hintergründe für die Ermordung von Ausländern aufklären.

  • Der Artikel sollte Schullektüre werden!

  • "Sie finden unter anderem heraus, dass der Täter mehrfach psychisch auffällig war, und fragen sich, warum er trotzdem einen Waffenschein hatte." - das ist einer der wichtigsten Sätze.



    Ich wundere mich in Auseinandersetzung mit der Berichterstattung betr des schrecklichen Anschlags in Hanau erneut, dass allenfalls randläufig erwähnt wird, dass der Täter "psychisch auffällig" war ... der Täter war offensichtlich schwer psychiatrisch erkrankt, a.e. an einer (chronifizierten) wahnhaften Störung! Vermutlich ebenso der Vater des Täters.



    Wenn Frau Ferda Ataman sagt: "Deutschland hat versagt" (siehe Artikel in dieser Zeitung), dann trägt sie u.U. dazu bei, dass die Aufarbeitung dieses Anschlags scheitert: Der Attentäter war spätestens seit 2002 "psychisch auffällig" ... in den öffentlichen zugänglichen Informationen (vgl. wikipedia) wird keine stationäre Krankenhausbehandlung in einer Klinik für Psychiatrie beschrieben.



    "Deutschland hat versagt" - das ist zu allgemein - mit dieser Feststellung sind alle und keiner verantwortlich.



    Zielführender wäre zu fragen: Welche Anstrengungen hat die kommunale Behörde (Gesundheitsamt u.a.) unternommen? Warum ist nicht bereits Jahre zuvor ein Betreuungsverfahren für T.R. angeregt worden?!



    Kurzum: Hätte dieser Anschlag eines unter einer Wahnstörung (bzw. u.U. an einer Schizophrenie) Erkrankten durch eine rechtzeitige Intervention durch die untere Gesundheitsbehörde verhindert werden können?



    Warum bleiben die Behörden gg dem die Angehörigen terrorisierenden Vater des Attentäters derart passiv?



    Leider wird die psychiatrische Erkrankung in der Berichterstattung immer wieder ausgeblendet bzw. unzureichend thematisiert. Das ist ein Problem. Damit trägt diese Berichterstattung - ebenso wie Frau Ferda Ataman - mit ihrer reduzierenden Betrachtung auf rassistische Motive des Attentäters dazu bei, dass weiterhin - bundesweit und nicht nur in Hessen (!) - Gesundheitsämter und die sozialpsychiatrischen Dienste personell unterbesetzt bleiben.

  • Danke für den Artikel und für die verlinkte Spendenkampagne.

  • Sie bringt es auf den Punkt: Ein hervorragender Artikel von Doris Akrap!

  • Wären es "Bio-Deutsche" gewesen, die von einem Muslim ermordet wurden, das Ganze wäre zu einem riesengroßen Ding geworden. Aber es sind ja "nur" Migranten. Diese ungeheure Heuchelei von Politiker*innen ist unerträglich. Der hessische CDU-Innenminister ist einer der schlimmsten Protagonisten nicht nur in diesem Fall. Bislang haben die Grünen solches Verhalten geduldet, jetzt macht es die SPD. Schämt sich denn niemand von denen?

    • @Perkele:

      Sind Sie sich da wirklich sicher? Belesen Sie sich mal wie mit den überlebenden Opfern und den Verwandten der Toten des Anschlags vom Breitscheidplatz umgegangen wurde. Das war auch nicht gerade rühmlich.

      • @Müller Christian:

        Das ist richtig. Doch es geht hier um eine andere Tat.