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Indonesien vor der WahlEuphorie und Manipulation

Über 200 Millionen Menschen sind in Indonesien am Mittwoch zur Wahl aufgerufen. Doch mit dem Ex-General Prabowo Subianto könnte bald ein Autokrat die Geschicke des Inselstaats lenken.

Sven Hansen
Von Sven Hansen aus Jakarta

D er Fahrer kommt mit seinem Motorradtaxi – dem Ojek, wie die Gefährte hier in Jakarta genannt werden – nicht mehr weiter. Die Straße voraus ist mit parkenden Motorrädern, Autos, Bussen und Zehntausenden Fußgängern verstopft. Dabei ist das Jakarta International Stadium im Norden der indonesischen 10-Millionen-Metropole, wo an diesem Samstagvormittag so viele hinwollen, noch mehr als zwei Kilometer entfernt. In der mit 82.000 Sitzplätzen größten Fußballarena des Landes mit Tausenden weiteren Stehplätzen auf dem abgedeckten Spielfeld lädt der parteilose Präsidentschaftskandidat Anies Baswedan zu seiner Abschlusskundgebung. Es ist der letzte Tag des Wahlkampfes. Danach soll bis zur Wahl am Mittwoch eine kleine Atempause sein.

Rund 205 Millionen Menschen entscheiden bei dieser Wahl im südostasiatischen Inselstaat über den künftigen Kurs des Landes. Wird es elitären Kräften gelingen, die demokratischen Reformen seit dem Ende der Diktatur 1998 weiter zurückzudrehen? Auffällig ist nicht nur hier, im Stadion in Nordjakarta, wie viele Menschen mitbestimmen wollen. In fünf Fernsehdebatten wie in unzähligen öffentlichen Versammlungen

haben sich in den letzten Wochen die Kandidaten präsentiert und zahlreichen Diskussionen gestellt. Zwar ist auch Indonesien nicht vor billigem Populismus gefeit, aber trotzdem hat sich das Land stark demokratisiert in den vergangenen 26 Jahren.

Der jetzt im Stadion erwartete 54-jährige Anies, Sohn eines Professor*innenpaares, war bis 2022 Gouverneur der Stadt. Er wählte diesen Ort für seine Großdemonstration der Stärke, weil die moderne Arena in seiner Amtszeit gebaut und von ihm eingeweiht wurde. Zwar wurden hier offenbar Freiflächen, Parkplätze, Rettungswege und eine effiziente Nahverkehrsanbindung nicht mitbedacht. Auch liegt die Stadionkatastrophe in Malang, als es infolge einer Massenpanik zu 137 Toten kam, erst 16 Monate zurück. Doch Ordner oder Sicherheitskräfte sind nicht zu sehen. Vielmehr werden überall Autos und Busse notdürftig abgestellt, Motorräder wild geparkt. Die Menschenmassen versuchen, sich einen Weg an verkeilten Fahrzeugen vorbei zur Arena zu bahnen.

Das Mega-Archipel

Indoniens ist ein Archipel 17.000 Inseln und mit 280 Millionen Einwohnern das größte Land Südostasiens, das viertbevölkerungsreichste Land der Welt und der Staat mit der weltgrößten Bevölkerung muslimischen Glaubens (knapp 90 Prozent). Das multireligiöse und multiethnische Land zwischen Indischem und Pazifischem Ozean erstreckt sich von Ost nach West über 5.120 Kilometer und von Nord nach Süd über 1.760 Kilometer. Es deckt dabei drei Zeitzonen ab. Indonesien gilt heute nach Indien und den USA als drittgrößte Demokratie der Welt. Bis Mai 1998 herrschte hier 32 Jahre lang Diktator Suharto. Der General kam Mitte der 1960er Jahre mit einem vom Westen unterstützen, antikommunistischen und antichinesischen Blutbad an die Macht und wurde später von Helmut Kohl als „Freund“ bezeichnet.

Die weit über 100.000 herbeiströmenden Menschen, oft mit einem Bild von Anies Baswedan auf dem T-Shirt, drängen sich wie bei einem völlig überfüllten Volksfest. Geduldig klettern sie an Hindernissen vorbei und kommen nur in Trippelschritten voran. Doch niemand klagt. Die Stimmung ist gut. Alle haben nur ein Ziel: ihren Anies.

Der in den USA promovierte Politologe, einst Indonesiens jüngster Unidirektor, dann Bildungsminister und zuletzt Gouverneur, ist ein freundlicher, weltoffener Schlaumeier zum Anfassen. Er neigt zwar etwas zum Dozieren, spricht aber verständlich. „Anies ist unbestechlich, deshalb wähle ich ihn“, sagt beim Warten im Gedränge der Mittvierziger Soedarjo, der wie viele hier nur einen einzigen Namen hat.

Für liberale Indonesier hat Anies aber einen großen Makel: Er ist der Liebling konservativer Muslime und der Islamisten. Bei der Gouverneurswahl 2017 machte Anies gute Miene zu deren bösem Spiel: Damals hetzten fundamentalistische Anhänger mit antichristlichen und antichinesischen Hassreden erfolgreich gegen seinen Konkurrenten, einen christlichen Gouverneur chinesischer Abstammung. Der musste wegen angeblicher Blasphemie sogar ins Gefängnis. Anies wurde Gouverneur, weil er im damaligen Wahlkampf den politischen Islam opportunistisch nutzte.

Diese Karte hat er seitdem nicht mehr gespielt, doch trauen ihm viele nicht mehr. „Freunde von mir wollten eigentlich Anies wählen. Aber als jetzt Abu Bakar Bashir öffentlich zu seiner Wahl aufrief, haben sie sich erschrocken“, berichtet ein Bekannter. Der inzwischen aus dem Gefängnis entlassene 85-jährige Prediger Bashir war Propagandist der Terrorgruppe Jemaah Islamayiah. Die tötete 2002 in Bali 202 Menschen.

Der Liebling konservativer Muslime: Jubel für Anies Baswedan im Jakarta International Stadium am 10. Februar Foto: Eko Siswono Toyudho/anadolu/picture alliance

„Anies ist kein Islamist“, sagt die 58-jährige Zuhriya. Die Unidozentin und Chefin eines Nudelcaterings, in ein dunkelblaues Kopftuch gewandet, nennt ihn ein „attraktives Gesamtpaket“. Sie kenne ihn noch aus dem islamischen Studentenverband in Yogyakarta: „Anies ist bescheiden, respektvoll und tolerant gegenüber anderen Religionen,“ sagt Zuhriya. „Seine Tochter trägt kein Kopftuch. Er lässt ihr die Freiheit der eigenen Entscheidung.“ Selbst Kritiker räumen ein, dass Anies als Gouverneur mehr Kirchen genehmigte als sein christlicher Vorgänger.

Im Stadion, bei Anies Wahlkampfkundgebung, tragen fast alle Frauen ein Kopftuch. Es dominieren die Farben Weiß und Orange der konservativen Gerechtigkeits- und Wohlfahrtspartei PKS. Sie wurde 1998, nach der Suharto-Diktatur, nach dem Vorbild von Ägyptens Muslimbrüdern gegründet. Inzwischen will die PKS nicht mehr die Scharia durchsetzten, sondern sieht sich als Antikorruptionspartei. Vor dem Stadion tanzt eine PKS-Gruppe, vorn die Männer, hinten die Frauen. Auch sie verbindet den Wahlkampf mit Spaß.

Vor dem Stadion wehen, anders als im Rest der Stadt oder in der Arena selbst, auch Palästina-Flaggen. Der Nahostkonflikt ist bei der Wahl aber kein Thema. In Indonesien, das als Land mit der weltgrößten muslimischen Bevölkerung keine diplomatischen Beziehungen zu Israel hat, stehen alle politischen Organisationen aufseiten der Palästinenser. Als es im letzten März Widerstand gegen Israels Teilnahme an der Gruppenauslosung zur in Indonesien geplanten U20-Fußballweltmeisterschaft gab, entzog die Fifa dem Land kurzfristig das Turnier – offiziell aber wegen der noch ungeklärten Stadionkatastrophe.

Als Anies in der Arena zu seinen Anhängern spricht, stecken Zehntausende noch in den umliegenden Straßen fest. „Wir sind hier, weil wir einen Wechsel wollen“, ruft Anies. „Wir sehen Ungleichheit und Unfairness. Wie können wir das zulassen? Wir müssen das beenden.“ Er ist der einzige der drei Präsidentschaftskandidaten, der mit der bisherigen Wirtschafts- und Sozialpolitik brechen will.

In der Außenpolitik herrscht hingegen große Einigkeit, dass Indonesien als Mitglied der G20 seinen unabhängigen Kurs fortsetzen sollte. In den letzten Jahren hat es eine wirtschaftliche Annäherung an China gegeben, politisch bleibt Jakarta aber gegenüber Peking vorsichtig. Man möchte sich nicht in einen potenziellen Konflikt zwischen China und den USA hineinziehen lassen, hat aber weiter ein großes Interesse an guten Beziehungen zum Westen. Bevormunden lassen will man sich von dort aber auch nicht.

Laut Umfragen sind 70 Prozent mit dem scheidenden Präsidenten Joko „Jokowi“ Widodo zufrieden, auch wenn ihm Kritiker die Schwächung demokratischer Institutionen vorwerfen. Aber er sorgte für stabiles Wirtschaftswachstum und eine Modernisierung durch neue Infrastruktur. Jetzt darf er nicht mehr antreten, versucht aber, sich Einfluss zu sichern. Während Anies einen Politikwechsel will, versprechen die anderen beiden Kandidaten, Jokowis Politik fortzusetzen.

Am deutlichsten wird dies bei Prabowo Su­bian­to und seinem Vizekandidaten Gibran Rakabuming Raka. Sie sind jetzt die großen Favoriten und treten zeitversetzt zu Anies an diesem Samstagnachmittag in Jakartas anderem großen Stadion auf, dem Gelora Bung Karno. Auch hier passen nicht alle herbeigeströmten Anhänger in die Arena mit 80.000 Sitzplätzen. Wieder verstopfen parkende Fahrzeuge und Menschen die umliegenden Straßen. Doch das Gelände ist weitläufiger, die Straßen sind breiter, und hier fährt Jakartas erste U-Bahn.

Die Mega-Wahl

Worum geht es bei der Wahl? Trotz teilweise separatistischer, ethnischer und religiöser Gewalt und dem Ringen um die Rolle des Islam sind seit 1998 erfolgreich demokratische Institutionen und Strukturen entstanden. Die Macht des Militärs wurde reduziert. Die jetzt bereits fünfte Direktwahl des Staats- und Regierungschefs für eine fünfjährige Amtsperiode ist die weltgrößte direkte eintägige Präsidentschaftswahl – und nicht nur angesichts der Regenzeit eine große logistische Herausforderung. 2019 starben 287 Wahlhelfer und -helferinnen an Erschöpfung oder bei Unfällen. Jetzt muss das Personal, das maximal 55 Jahre alt sein darf, vorher zum Gesundheitstest. Gewählt werden auch der Vizepräsident (es treten nur Männer an), die Abgeordneten von Unter- und Oberhaus sowie der Provinz- und Distriktversammlungen.

Was sind die Besonderheiten? 205 Millionen Menschen sind am 14. Februar wahlberechtigt, Soldaten oder Polizisten dürfen nicht wählen. Das Mindestwahlalter ist 17 Jahre. Laut Wahlkommission sind 56 Prozent der Wahlberechtigten Angehörige der Generation Z oder Millennials, also unter 40 Jahre alt. Rund 830.000 Wahllokale werden zwischen 7 und 13 Uhr ihrer jeweiligen Zeitzone geöffnet. Mit einem Nagel müssen pro Person vier bis fünf Wahlzettel an der gewünschten Stelle durchstochen werden. Weil sich die jetzt zugelassenen 24 Parteien ideologisch und programmatisch kaum nach Rechts-links-Kriterien unterscheiden, ist es vor allem eine Persönlichkeitswahl. Für die Parteien, neun sind im Parlament vertreten, gilt eine Vierprozenthürde, klassische Regierungs- und Oppositionsfraktionen in unserem Sinn gibt es nicht. Die Wahlkommission rechnet mit einer Beteiligung von 80 Prozent. Die Auszählung wird bis weit in den März dauern. Über die Präsidentschaft soll es aber einen aussagekräftigen „Quick Count“ auf der Basis von Nachwahlbefragungen schon am Wahlabend geben. Der Termin für eine mögliche Stichwahl wäre der 26. Juni.

Das ungleiche Kandidatenpaar – der untersetze kleine Prabowo ist 72, der große, schlanke Gibran halb so alt – trägt wie seine Anhänger Hellblau. Es ist Prabowos dritte Kandidatur, und wohl die letzte. Es ist auch seine aussichtsreichste. In Umfragen lag er zuletzt bei 47 bis 51 Prozent, das ist mehr als seine beiden Gegner zusammen hatten in den letzten Wochen. Bei mehr als 50 Prozent Wäh­le­r*in­nen­stim­men müsste er nicht einmal mehr in die Stichwahl.

Im Stadion verspricht Prabowo, der mit einem Vermögen von 130 Millionen Dollar der reichste Kandidat ist und die großen Konglomerate wie die Elite hinter sich weiß, „Wohlstand für alle“. Dies will er durch Fortführung der „Politik vorheriger Präsidenten“ erreichen. Er zählt nur die letzten auf und umgeht so den Diktator Suharto, dessen Schwiegersohn er selbst bis 1998 war. ­Prabowo präsentiert sich als nahtlose Fortsetzung Jokowis, und er führt die Umfragen erst so deutlich an, seit klar ist, dass er Jokowis Rückendeckung hat. Denn Prabowos Vize Gibran ist zugleich der älteste Sohn des Präsdenten.

Prabowo und der scheidende Jokowi waren bis 2019 bittere Konkurrenten. Zweimal verlor Prabowo. Die letzte Niederlage wollte er nicht anerkennen und ließ radikale Anhänger protestieren. Es gab sieben Tote. Jokowi nahm Prabowo darauf als Verteidigungsminister in sein Kabinett auf. Nun ist Jokowis Sohn Gibran der Vize-Kandidat.

Das war eigentlich nicht zulässig. Vorgeschrieben war ein Mindestalter von 40 Jahren. Doch das Verfassungsgericht setzte dies für den 36-jährigen Gibran aus. Er verfüge ja als Bürgermeister der Stadt Surakarta, der schon sein Vater vorstand, über genug Erfahrung. Das Urteil fiel mit 5 zu 4 Stimmen. Den Ausschlag gab der Vorsitzende, der Jokowis Schwager und Gibrans Onkel ist. Zwar verurteilte die Ethikkommission des Gerichts später die Entscheidung und entmachtete den Vorsitzenden. Doch blieb das Urteil gültig, das als Schritt Jokowis zu einer Familiendynastie gewertet wird.

Im Wahlkampf ist Prabowos Standardargument, dass die Wähler doch gegen ihn stimmen könnten, sollten sie das Gerichtsurteil ablehnen. Ähnlich argumentiert er auch im Umgang mit seiner militärischen Vergangenheit. Als früherem Chef der Spezialkräfte, der 1981 auch an einem Anti-Terror-Training der GSG-9 in Deutschland teilnahm, werden ihm Menschenrechtsverbrechen in Osttimor und in Westpapua vorgeworfen. Und kurz vor Suhartos Sturz soll er die Entführung und Folter von Studentenaktivisten in Jakarta angeordnet haben. 13 sind seitdem verschollen. Prabowo lehnt eine Verantwortung dafür ab. Er wurde nie vor Gericht gestellt, aber aus dem Militär entlassen. Fast 20 Jahre lang hatte er ein Einreiseverbot in den USA.

Versprechen weniger Korruption: Kandidat Baswedan (l.) und sein Vize Muhaimin bei einer Wahlkampfveranstaltung in Jakarta Foto: Donal Husni/imago

„Er war nicht allein verantwortlich, die ganze Regierung beging damals Verbrechen“, meint die 18-jährige Oberschülerin Indyanti Asrifa beim Stadion. Sie wird erstmals wählen – Prabowo, sagt sie. Zwar sei er alt und wohl nicht ganz gesund. Aber er sei ein „Nationalist mit viel Erfahrung“. Auch gefalle ihr, dass er allen Schulkindern täglich kostenlos Milch verspricht. „Das ist langfristig sehr wirksam zur Stärkung des ganzen Landes“, glaubt sie. Auf jeden Fall sei es wirksamer als das ­Versprechen eines freien Internetzugangs für Schüler und Studenten des in Umfragen drittplatzierten Kandidaten Ganjar Pranowo von der regierenden Demokratischen Partei des Kampfes, PDI-P.

Ganjar war als Gouverneur von Zentraljava beliebt, auch wenn er bei einigen Projekten Umweltschützer und Dorfbewohner gegen sich aufgebracht hat. Er hat schlohweiße Haare, trägt oft eine Bomberjacke im Stil des Films „Top Gun“ und wirkt wie ein sportlicher, amerikanisierter Popstar. Sein Sprecher kritisiert, dass für Prabowos Milchprogramm Indonesien 1,5 Millionen Kühe fehlten. Auch kritisiert er Prabowos begangene Menschenrechtsverletzungen.

Doch hat Ganjar das Problem, dass schon seine Parteichefin, die Sukarno-Tochter und Ex-Präsidentin Megawati Sukarnopurti 2009 mit Prabowo als ihrem Vizekandidaten zur Wahl antrat. Und selbst Mahfud MD, jetzt Ganjars Vizekandidat, gehörte schon einmal Prabowos Wahlteam an.

„Prabowo hat sich doch längst geändert“, meint Budiman Sudjatmiko. Der 53-jährige, einst linke Politaktivist war unter Suharto zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden und ist heute ein Sprecher Prabowos. „Wir wollen kein autoritäres Indonesien mehr“, sagt er. Prabowo sei heute vielmehr ein „visionärer und strategischer Denker, wie ihn das Land jetzt brauche“.

Prabowos Alter sieht Budiman nicht als Nachteil, zumal es taktisch erfolgreich von ihm genutzt wurde. Pflegte Probowo bei zwei Wahlen das Image eines starken Führers, wurde er inzwischen als Comicfigur eines netten Opas neu erfunden. Jungwähler tauften sie „gemoy“ – niedlich, knuffig oder süß. Seine Spindoktoren machten daraus eine erfolgreiche Kampagne in den sozialen Medien.

Aussichtsreicher Kandidat mit dunkler Vergangenheit: Prabowo Subianto spricht am 10. Februar in Jakarta vor seinen Anhängern Foto: Kim Kyung-Hoon/reuters

Aus Prabowo, der im wirklichen Leben humpelt und ein aufbrausender Typ mit militärischem Gehabe ist, wurde so auf Tiktok und Instagram ein tanzender Opa. Seine kurzen Clips sorgten dafür, dass er bei Jungwählern zum mit Abstand beliebtesten Kandidaten wurde. „Ich finde seine Videos inspirierend“, meint denn auch Schülerin ­Indyanti. Im vollen Stadion bricht an diesem Nachmittag großer Jubel aus, als Prabowo nach seiner Rede seinen Fans die erwartete Tanzeinlage bietet.

„Bei dieser Wahl dominieren Tiktok und Instagram, 2019 waren es noch Facebook und Twitter“, sagt Tomi Aryanto aus dem Medienteam von Ganjar Prabowo. Der wurde von Präsident Jokowis Noch-Partei, der PDI-P, als dessen Nachfolger nominiert. Doch hat sich Jokowi für Prabowo entschieden, ohne dies offiziell zu erklären oder die PDI-P zu verlassen. Spekuliert wird über ein Zerwürfnis Jokowis mit PDI-P-Chefin Megawati. Die wollte ihm wohl nach dem Ende seiner Amtszeit keinen Einfluss in der Partei geben. Dafür baut er, sofern ihn Prabowo lässt, dann mit dessen Hilfe und der seines Sohnes Gibran eine Dynastie auf. Auch sein jüngerer Sohn wurde schon Chef einer Partei, der er erst zwei Tage zuvor beigetreten war. Und ein Neffe wurde Bürgermeister der drittgrößten Stadt des Landes.

Tomi ärgert, das Jokowi zwar nicht offiziell, aber eben doch für alle bemerkbar für Prabowo Wahlkampf macht. Aus vielen Behörden und staatlichen Institutionen kommen inzwischen Berichte, dass sie angewiesen worden seien, Prabowo zu unterstützen, damit er gleich in der erste Runde die Wahl gewinne, oder die Auszahlungen staatlicher Gelder wurde politisch instrumentalisiert. Als in den letzten Tagen Rektoren und Professoren von 30 Unis des Landes gegen Jokowis Einflussnahme auf die Wahl protestierten, tat der dies einfach als ihr gutes demokratisches Recht ab und ignorierte es ansonsten.

„Wir nutzen alle verfügbaren Kanäle zur Aufklärung, aber die jungen Menschen wollen es kaum wissen“, klagt Kampagnensprecher Tomi. Die Algorithmen gäben Wählern nur noch die Infos, denen sie mutmaßlich zustimmten. „Ganjar hat nur noch eine Chance, wenn Menschen rational reagieren. Bleiben sie emotional, dringen wir nicht mehr durch.“

Doch verschweigt er, das Ganjar auch deshalb in den Umfragen abgerutscht ist, weil seine Botschaft immer unklarer wurde. Eigentlich war er der Kandidat von Jokowis Partei, der deren Entscheidung dann aber immer weniger mittrug. So geriet Ganjar in die unklare Lage, weder die Regierung noch die Opposition zu vertreten. Er wollte einerseits die Fortsetzung von Jokows ­Politik versprechen. Aber zugleich wird er nicht mehr von ihm unterstützt. Bei Ganjars Auftritt im gleichen Stadion eine Woche zuvor, wo wie bei Prabowo Heavy-Metal-Bands spielen, drückt ein Student die merkwürdige Situation so aus: „Ich habe letztes Mal Jokowi gewählt, um Prabowo zu verhindern. Doch jetzt werde ich wohl Prabowo bekommen, weil ich Jokowi gewählt habe.“

Freier Internetzugang für alle Schüler*innen: Ganjar Pranowo, in den Umfragen liegt er auf Platz drei Foto: Kim Kyung-Hoon/reuters

Nach Ansicht des australischen Indonesien-Experten Max Lane droht Indonesien mit dieser Wahl eine Kombination von „Straflosigkeit und Dynastie“. Und nach den Philippinen, die den Sohn des Diktators Marcos zum Präsidenten wählten, wäre dies ein weiterer Schritt zurück in Richtung autoritäre Vergangenheit. Und, wie bei Marcos, mithilfe einer erfolgreichen manipulativen Social-Media-Kampagne.

Die international preisgekrönte Schriftstellerin Ayu Utami klingt verzweifelt. „Meine Freunde und ich haben stets Jokowi gegen Prabowo unterstützt. Denn wir kennen dessen Vergangenheit. Seine Präsidentschaft wäre ein großer Rückschritt für die Demokratie“, sagt die 55-Jährige. Dass Prabowo jetzt überhaupt Chancen habe, liege aber am Versagen vieler „bis hin zum Bildungssystem“. Sollte es zur Stichwahl kommen, würde sie, um Prabowo zu verhindern, Anies wählen. „Denn der ist wenigstens nicht korrupt.“

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