Auswahl des Berliner Theatertreffens: Solo für Lina Beckmann
Die Auswahl für das Berliner Theatertreffen steht fest. Zum ersten Mal ist auch das Theaterhaus Jena zu Besuch.
Große Aufregung gab es in den Feuilletons, als im Februar vor einem Jahr in Hannover ein Choreograf eine Kritikerin mit Hundekot angriff. Dies erschien wie eine Kriegserklärung zwischen Kunst und Kritik. Das Theaterhaus Jena griff diesen Racheakt im Herbst mit dem Stücktitel „Die Hundekot-Attacke“ auf, um endlich einmal die überregionale Presse in ihr junges Theater zu locken. Das hat funktioniert.
Nicht nur der Kritiker der taz, Kornelius Luther, war angetan von dem Abend um Machtstrukturen im Theater, Geniekult und die Debatte zwischen Kunst und Kritik. Sondern auch die siebenköpfige Jury des Theatertreffens in Berlin. Aus den 690 Produktionen des deutschsprachigen Theaters, die sie innerhalb eines Jahres angeschaut haben, wählten sie „Die Hundekot-Attacke“ unter die „zehn bemerkenswerten Inszenierungen“, die ab dem 2. Mai nach Berlin eingeladen werden.
So ist das Theaterhaus Jena, das oft aktuelle Themen aufgreift und im Kollektiv erarbeitet, erstmals dabei und hilft dem Festival, das Tableau der bekannten Namen aufzulockern. Am Freitag stellte die Jury ihre Auswahl im Haus der Berliner Festspiele vor. Wieder dabei sind die Regisseurinnen Karin Beier, Yael Ronen und Rieke Süßkow sowie Falk Richter, Johan Simons, Ulrich Rasche und Nicolas Stemann.
In Kontakt mit dem Publikum
Aber zum ersten Mal kommt auch ein Stück von Gisèle Vienne, bekannt vor allem als Choregrafin, die das Medium der Zeit zu modellieren weiß und extrem die Wahrnehmung verändert. Von ihr kommt „Extra Live“, eine Koproduktion vieler Festivals, uraufgeführt auf der Ruhrtriennale. Es geht um die Traumatisierung durch Missbrauchserfahrung und deren lebenslangen Einfluss auf Sensibilität und den Kontakt zur Außenwelt.
Freuen kann man sich auf eine Soloperformance der Schauspielerin Lina Beckmann. Sie allein spielt „Laios“ in einem Monolog, den Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg inszeniert hat, Teil einer fünfteiligen Serie „Anthropolis“, in der Beier mit Texten des Dramatikers Roland Schimmelpfennig antike Mythen neu erzählt. Wie Beckmann Welten heraufbeschwört und in Kontakt mit dem Publikum tritt, hat die Jury überzeugt.
Im letzten Jahr begleitete das deutschsprachige Theatertreffen eine Reihe von Inszenierungen und diskursiven Formaten aus Osteuropa, geplant von einem vierköpfigen Leitungsteam aus Dramaturginnen und Kuratorinnen. Allein für viele Zuschauer und Kritiker ging diese Verschaltung der beiden Programmschienen inhaltlich nicht auf.
Zurück zum Kerngeschäft
Matthias Pees, der Intendant der Berliner Festspiele, hatte sich zwar für diese Erweiterung des Theatertreffens um eine internationale Perspektive starkgemacht, schwenkte aber nach der Erfahrung des letzten Jahres um. Er gab dem Theatertreffen eine neue Leiterin, Nora Hertlein-Hull. Sie hat mit verschiedenen internationalen Kompanien, die im deutschen Theaterbetrieb reüssierten, wie dem Nature Theater of Oklahoma (New York) oder Romeo Castellucci, gearbeitet.
Zur Zeit leitet sie noch die Lessingtage am Thalia-Theater in Hamburg. Mit ihr wird sich das Theatertreffen wieder auf sein Kerngeschäft konzentrieren.
Gleich zwei Heimspiele gibt es für die Schaubühne Berlin. Ausgewählt wurde „Bucket List“ von Yael Ronen und dem Komponisten Shlomi Shaban, einem Musical um die Fiktion, traumatische Erinnerungen zu löschen, das mit verführerischer Musik und traurigen Bildern und Texten anrührt. Und Falk Richter ist als Autor und Regisseur mit „Silence“ dabei, einem Stück, in dem er sich über die Geschichte der eigenen Familie in das hineinschraubt, was gerne beschwiegen und verdrängt wird.
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