Neues Theaterstück von Falk Richter: Väter, Söhne, Autofiktion

Wo die Gefühle sitzen: „The Silence“ von Falk Richter feiert Premiere an der Berliner Schaubühne. Das Stück handelt von transgenerationalen Traumata.

Dimitriij Schaad als Falk Richter sitzt an einem Baum in "The Silence"

Dimitriij Schaad als Falk Richter in „The Silence“ Foto: Gianmarco Bresadola

„‚To silence someone‘ beschreibt den Prozess, jemanden zum Schweigen zu bringen, es ist ein aktiver Vorgang “, spricht Dimitrij Schaad. Da ist der 38-jährige Schauspieler, der an diesem Abend sein Schaubühnen-Debüt feiert, bereits in seine Rolle geschlüpft, die des Autors Falk Richter. Vorher hat sich Schaad, der sonst zum Ensemble des Gorki Theaters zählt, vorgestellt: „Dimi, Schaubühne. Schaubühne, Dimi.“ Die Verwandlung in den autofiktionalen Richter erfolgt dann zwar mit Ankündigung, aber ohne Brimborium, mit einem Lächeln.

Schweigen ist nicht zwingend leise, aktiv hergestellte Stille kann „unerträglich laut werden“, besonders, wenn sie zwischen den Zeilen verharrt. „In meiner Familie wurde unentwegt geredet, und doch war all das ­Reden wie ein großes Schweigen“, sagt der, der an diesem Abend eine jüngere Version des Autors mimt. Gemeint ist damit das Schweigen innerhalb der Familie über das, was dort, aber auch außerhalb geschehen ist. Das, worüber keiner spricht. In der Familie Richter wurde nicht darüber geredet, wie viele Menschen der Vater als Soldat im Zweiten Weltkrieg umgebracht hat.

Dass er mit der noch minderjährigen Mutter ein uneheliches Kind zeugte und die beiden in einer Wohnung am Stadtrand versteckte, um neun Jahre lang ein Doppelleben zu führen. Auch über den Großvater wurde nicht gesprochen, der aus russischer Kriegsgefangenschaft kam und dem seine Familie fremd war.

Alles verschweigen

Nicht über Misshandlungen sprach man und auch nicht über Vernachlässigung, beides wurde schon deshalb von einer auf die nächste Elterngeneration übertragen. Geschwiegen wurde auch über die Homosexualität des Sohnes, die während der Aids-Krise in den 80ern von der hiesigen Politik wie den Medien ganz selbstverständlich „als Strafe Gottes“ markiert wurde.

Für Falk Richter ist der Abend eine Rückkehr an die Schaubühne, die er ab 2000 mit Stücken wie „Trust“ und „Fear“ bespielte, bevor er ans Gorki Theater wechselte. Ab da wurden die Texte des 1969 in Hamburg geborenen Autors und Regisseurs persönlicher. Für „In My Room“ setzte Richter sich mit der Beziehung zwischen Vätern und Söhnen auseinander, mit den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft und einem darin reproduzierten toxischen Männlichkeitsbild.

All das findet sich in „The Silence“ wieder, viel intimer allerdings, der von Schaad vorgetragene Monolog basiert auf Erfahrungen Richters. Das sind Szenen von Gewalt, die der junge Schwule in den 1980ern erlebt, auf der Straße, aber auch zu Hause, weil er dem Männlichkeitsbild nicht entspricht und ihm so das Leben am Rande der Gesellschaft prophezeit wird. Stets präsent das der Gewalt diametral gegenübergestellte Schweigen – von Passanten wie auch von Mutter und Schwester, die nur zusehen, wenn Richter verprügelt wird – und das unterlassener Hilfeleistung gleichkommt.

Lilafarbene Flokati-Teppiche

„In meiner Familie habe ich mich nie sicher gefühlt“, spricht Schaad zu Beginn der knapp zwei Stunden. Währenddessen steht er in einer von Katrin Hoffmann erdachten Traumlandschaft aus lilafarbenen Flokatis, einem Birkenbäumchen, unter dem sich Schaad wie Goethe in der Campagna in Kimono und Cowboyhut fläzt, und zerknüllten Papieren, die sich über das Stück hinweg vermehren, wenn der Autor versucht seine Gedanken zu bündeln.

Wie schwierig das ist, wird deutlich, wenn Schaad alias Richter sich immer wieder alternative Handlungsstränge erdenkt: den eines schwulen Guerillakämpfers etwa oder imaginäre letzte Worte des Vaters voll Reue und Empathie für den Sohn.

Immer wenn das misslingt, wirkt nicht nur die Verzweiflung Richters greifbar. Auch Schaad scheint dann ob der Mammutaufgabe, in die Erinnerungen eines anderen zu schlüpfen, zu hadern. Und doch meistert er diese Kür mit Bravour. Vielleicht auch, weil das Niederschreiben der eigenen Erinnerungen diese im selben Moment bereits fiktionalisiert, sinniert er.

Versuch eines Gesprächs

Um der Autofiktion etwas entgegenzusetzen, werden Videos auf eine halbkreisförmige Leinwand projiziert. Neben Bildern einer gutbürgerlichen Vorstadtsiedlung in Schwarzweiß zeigen sie Interviewausschnitte: Richter mit seiner Mutter, einer alten Frau mit praktischem Kurzhaarschnitt, im elterlichen Haus. Der Versuch des Sohnes, mit der Mutter in ein psychoanalytisches Gespräch zu kommen, ist nur semi-erfolgreich.

Zu vehement hält die Frau, die nicht nur die Gewalt und den Betrug des kriegsversehrten Vaters der Mutter gegenüber erleben musste, sondern selbst auch in eine von Unwissenheit geprägte, fast schon missbräuchliche Ehe gezogen wurde, an ihrer eigenen Historiografie fest. Meist leugnet sie, was der Sohn als Realität wahrnimmt, wirkt dabei aber weder bösartig noch unsympathisch. Ihre Realität ist eine andere. Sie kann all den Schmerz gar nicht fühlen, denn er würde sie umbringen, fachsimpelt Richters Therapeutin, in deren Rolle Schaad kurzzeitig schlüpft.

Es ist schwierig, an alldem dranzubleiben. Nicht etwa, weil die Inszenierung langweilt. Im Gegenteil: Richters einfühlsamer Text und Schaads großartiges Schauspiel setzen etwas in Gang, wo man, wie auch der autofiktionale Richter selbst, nicht hinwill. Dorthin, wo die Gefühle sitzen, die unbedingt gefühlt werden wollen.

Für die Mutter und ihre Generation war das Schweigen ein Überlebensmechanismus, für die Nachkommen hingegen ist es gewaltig. „Zeit verläuft nicht linear“, wiederholt Schaad. Um zu durchbrechen, wozu die vor uns außerstande waren, müssen wir stellvertretend fühlen, was sonst in Form von Traumata immer weitergetragen wird – so das Fazit.

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