piwik no script img

Hilfsbereitschaft gegenüber ObdachlosenGib dem Bettler nichts

Natürlich kann man so tun, als sei es Güte, Bettelnden nichts zu geben. Aber man sollte nicht erwarten, dass es irgendjemand überzeugt.

Gleichgültigkeit als Güte zu verkaufen, ist nicht die Lösung Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

K ürzlich besuchte ich einen Stimmbildungskurs in der Volkshochschule. Ich erhoffte mir davon eine Stimme, die bei größeren Konferenzen und gegenüber tobenden Schulkindern durchdringen könnte, aber die Kursleiterin machte mir keine falschen Hoffnungen. „Man muss viel üben“, sagte sie, und dann sagten wir Zungenbrecher in halsbrecherischem Tempo auf. Der Kurs war ausgebucht mit Frauen, die ihre Nervosität beim Sprechen hinter sich lassen wollten, und wenigen Männern, denen Unsicherheit fremd schien. Aber vielleicht verbargen sie die auch nur sehr routiniert.

Es war auch eine junge Frau dabei, die mit Obdachlosen arbeitete. Sie erzählte, wie sie einmal dazu kam, als ihre Chefin einem Obdachlosen die Füße wusch. Es hatte sie beeindruckt, es beeindruckte auch die Stimmschüler:innen. Aber dann kam die Rede auf Bettelnde und wie man mit ihnen umging. Einer der Männer sagte: Ich gebe ihnen nichts, weil sie das Geld nur für Drogen ausgeben. Einmal, sagte der Mann, hätte er einem Bettler angeboten, im nächsten Laden gemeinsam etwas zu essen zu kaufen, aber der Bettler habe das abgelehnt. Der Nichtdrogenfinanzierer klang zufrieden, vermutlich wegen der klugen Versuchsanordnung, seiner Klarsicht und seiner Konsequenz. Niemand widersprach.

Auch ich schwieg und ging auf den Volkshochschulflur, wo ich auf den Ethikrat stieß. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben. Der Rat trug etwas Pyjama-Artiges und eines der Mitglieder, das in der Regel schwieg, trat vor, machte einen wiegenden Schritt zurück, dann nach vorn und streckte den rechten Arm aus. „Den Affen abwehren“, rief der Vorsitzende.

Das schweigende Mitglied deutete eine Verbeugung an und der Rat applaudierte. „Besuchen Sie auch einen Kurs?“, fragte ich. „Wir versprechen uns mehr Beweglichkeit vom Qi Gong“, sagte der Vorsitzende. „Und Sie?“ „Ich arbeite an meiner Stimme“, sagte ich. Aber könnten Sie mir vielleicht noch einen argumentativen Hinweis geben?“

Langsamer Tod im Gebüsch

Der Rat nickte und ich beschrieb ihm die Nichtdrogenfinanzierungsthese. „Und es stimmt doch“, sagte ich, „dass man manchmal aus Bequemlichkeit etwas tut, was gar nicht hilft, zum Beispiel …“ Ich überlegte. „Zum Beispiel, wenn ich unserem Kater halbtote Vögel entreiße: Es beruhigt mein Gewissen, aber meine Anteilnahme reicht nicht so weit, dass ich mit ihnen zum Tierarzt führe. Stattdessen sterben sie langsam im Gebüsch.“

Ich schwieg, das Beispiel war schlecht. „Erst dachte ich, ich könnte dem Nichtgeber entgegenhalten, dass er keine Alternative anbietet, aber ich vermute, dass er dann sagen würde: Es gibt ja genügend staatliche Stellen, die sich kümmern. Und mehr tun, als nur die Drogensucht zu verlängern.“

Der Ethikrat stellte sich in einer Dreierreihe auf und begann, einige unsichtbare Affen zu vertreiben. „Wir sollten uns an dieser Stelle an Senecas Kennzeichen des fortschreitenden Philosophen erinnern“, sagte der Ratsvorsitzende, während er einen Affen abwehrte: „,Er macht niemand Vorwürfe und spricht nicht von sich, als bedeute oder wisse er was'.“

Der Vorsitzende holte kurz Luft. „Er beleidigt nicht unsere Auffassungsgabe, indem er Gleichgültigkeit als Güte verkauft.“ Er wandte sich mir zu: „Beschreiben Sie doch den Mann, von dem die Rede war.“ „Dunkles Haar, Bart“, begann ich und stockte kurz. Ich hatte den Rat noch nie so aufgebracht gesehen. „Sicher ist Ihnen Plutarchs Überlegung, wie man den Zorn besiegt, geläufig“, sagte ich. „Sicher“, sagte der Vorsitzende. „Es ist Raum 47“, sagte ich. „Der Nicht-Fortschreitende sitzt ganz rechts.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Unserem"Kater.



    Ja das Beispiel ist auf mehreren Ebenen schlecht.

  • Ich lese gerade: mit Rechten reden, von Per Leo. Darin wird die Dialektik von rechtem Reden analysiert.



    Sie machen eine Setzung (Obdachlose sind Säufer). Darüberhinaus machen diese Menschen aus viel zu vielem einen Dichotomismus: demnach gäbe es keine Obdachlose, die abstinent sind. (ob Menschen die so reden dann "Rechte" zu nennen sind ist nicht so einfach)



    Zuletzt empfehle ich Ihnen im Fall mit Ihrer Katze, die Katze samt Vogel in den Garten zu verfrachten. Dann bleibt der Teppich sauber und der Vogel muß nicht so lange leiden (falls die Katze nicht auch jemand ist, der gerne über die Schwächeren triumphiert, wie gewisse "Nichtfortschreitende")

  • Faß mal z‘samm:

    “Wenn die Matte nicht richtig liegt -



    Setzt sich der Meister nicht!“



    Kon fuß// Zen - ihm deuchte das Leben bitter!



    & Däh =>



    ”Ihm deuchte das Leben süß!“



    Lao tze



    (🐻: “So süß wie 🍯?“ - Na - das wäre übertrieben!;)



    ©️ Die Essigkoster via Benjamin Hoff;))

    unterm——-servíce ——



    Tao Te Puh



    Das Buch vom Tao und von Puh dem Bären



    en.wikipedia.org/wiki/The_Tao_of_Pooh

    • @Lowandorder:

      But. Womer grad von Bettlern reden!

      Bleibt der Satz aus Volkers 👄 - 🙀🥳🥹



      Naturellement wahr! Woll



      “Bäckerslüd Kinners schasst -



      Keen Brot gäben!“



      Auch wieder wahr.