: Zeit für das neue Hobby Demokratie
Allein in Berlin protestieren am Samstag rund 150.000 Menschen gegen Rechtsextremismus. In Baden-Württemberg bremsen Demonstrierende AfD-Chefin Weidel aus
Aus Berlin und Bretten Benno Stieber und Lilly Schröder
Am Schluss hat Alice Weidel dann doch nach Bretten gefunden. Auf X, ehemals Twitter, hatte sie zuvor irrtümlich verkündet, am Samstagabend im 25 Kilometer entfernten Karlsruhe aufzutreten. Als sie dann im dunkelblauen Hosenanzug und weißen Sneakern mit halbstündiger Verspätung in einer spröden Mehrzweckhalle in der baden-württembergischen Mittelstadt auf die Bühne tritt, ist die Begeisterung bei den 400 Parteigängern groß. Draußen stehen noch einmal so viele, die es nicht mehr in die volle Halle geschafft haben. Sie stehen, nur von Barrieren getrennt, den etwa 1500 Demonstrierenden gegenüber, die ihnen „Ganz Bretten hasst die AfD“ entgegenrufen.
Die SPD hatte mit einem breiten Bündnis zur Mahnwache gegen rechts aufgerufen, die dann ziemlich laut ausfällt. Während Weidels Rede bilden die Sprechchöre und Trillerpfeifen von draußen gut vernehmbar bis in die Halle die Kulisse. Über die Demonstranten sagt Weidel verächtlich: Deutschland marschiere wieder im Gleichschritt. „Alle dort auf der Straße sind verhext von einer üblen Medienkampagne.“
Es ist einer der ersten Auftritte Weidels seit dem Potsdamer Treffen von unter anderem AfD-Mitgliedern mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner. Und in dieser Wagenburgstimmung braucht es nicht viel, um die eigenen Anhänger in der Halle in Begeisterung zu versetzen. Sie liefert ein Destillat ihrer Bundestagsrede aus der vergangenen Woche, wiederholt unter großem Applaus den Satz, die Ampelregierung hasse Deutschland, und vergleicht die Recherchemethoden der Investigativreporter von Correctiv erneut mit der Stasi.
Ungewohnt ist Weidels gönnerhaftes Bekenntnis zur Einwanderung. „Jeder, der sich positiv in die Gesellschaft einbringt, ist selbstverständlich willkommen“, sagt sie. Auch Menschen mit deutschem Pass und Migrationshintergrund würden unter unkontrollierter Einwanderung leiden. Applaus erhält sie dafür keinen in der Halle. Offenbar versteht auch ihr Publikum ihre Bemerkungen als bloße politische Nebelkerzen, die von den Remigrationsfantasien der Partei ablenken und den Diskussionen über ein Parteiverbot kein neues Futter geben sollen.
In Berlin, wo am Samstag die größte Demonstration gegen Rechtsextremismus stattfand, berichten mehrere von Rassismus betroffene Redner*innen, dass sie das Treffen in Potsdam nicht überrascht habe. Es bestätige nur das, was sie täglich erlebten. „Für uns ist die Gefahr, die von Rechtsextremismus ausgeht, keine abstrakte, sondern eine reale“, sagt Elena Kountidou, Geschäftsführerin von den Neuen Deutschen Medienmachern. Der „rassistische Normalzustand“ erfülle sie mit Angst und begleite ihr Leben „auf unerträgliche Art und Weise“, erzählt auch Sultana Sadiqi aus Erfurt. Sie berichtet über ihre Erfahrungen als von Rassismus betroffene Frau in Thüringen.
Mehr als 150.000 Menschen versammelten sich laut Polizei in der Hauptstadt, um unter dem Motto #WirSindDieBrandmauer gegen rechts zu protestieren. Die Veranstalter*innen sprechen sogar von bis zu 300.000. Auch in anderen deutschen Städten gingen wieder Zehntausende Menschen auf die Straße, alleine in Dresden 30.000. Aufgerufen zu der Demonstration in Berlin hatte das Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen „Hand in Hand gegen Rechts“. Niedlich erscheint im Nachhinein die ursprüngliche Idee einer Menschenkette rund um den Bundestag. Dieser hätte wohl eher den Umfang des Bodensees haben müssen, um das zu ermöglichen.
Alice Weidel, Vorsitzende der AfD
„Wir haben ein Menschenrechts- und Respektproblem“, sagt die Menschenrechtsaktivistin Fatuma Musa Afrah. Um Rechtsextremismus zu bekämpfen, müsse man jede Form von Menschenfeindlichkeit bekämpfen. „Wir brauchen eine Brandmauer, die die schützt, die Mut aufbringen müssen für ihre Freiheit“, sagt Sadiqi. „Egal ob ihr Bratwurst esst oder vegan seid, ob hetero oder aus einer Regenbogenfamilie, ob ihr aus der Stadt oder vom Land kommt, wir brauchen euch!“, sagt eine Rednerin der Initiative „Omas gegen Rechts“.
In die Verantwortung werden auch die bürgerlichen Parteien gezogen. Was gerade passiert, entstehe nicht aus dem luftleeren Raum, sagt Sadiqi. „Die Regierung und die CDU sind Teil des Problems. Sie müssen soziale Politik für alle machen, um die AfD zu stoppen.“ Die „angebliche Mitte-Koalition“ verschiebe sich immer weiter nach rechts, sagt auch Miriam Tödter vom Netzwerk „Wir packen's an.
Die Proteste zeigten auch Wirkung, sagt Jeanette Gusko, Geschäftsführerin von Correctiv. Zum ersten Mal in sieben Monaten sei die AfD bundesweit wieder unter die 20-Prozent-Marke gerutscht. Es reiche jedoch nicht, auf Demonstrationen zu gehen, sagt sie. Die Zivilgesellschaft müsse nun aus dem privaten Raum in den öffentlichen treten und sich für die Demokratie einsetzen: „Jetzt wäre Zeit für ein neues Hobby. Und das Hobby heißt Demokratie.“
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