Journalist über Repression im Iran: „Das ist auch mein Land“
Der in Deutschland tätige Journalist Farhad Payar über die Verhaftung seiner Nichte Ghazaleh Zarea in Iran und die Drohungen gegen ihn.
taz: Herr Payar, Ihre Nichte Ghazaleh Zarea ist Journalistin im Iran und setzt sich für bedürftige Frauen und Straßenkinder ein. Im Juli wurde sie vom Geheimdienst festgenommen, am 13. Januar hat das sogenannte Revolutionsgericht sie zu drei Jahren Haft verurteilt. Wie geht es ihr aktuell?
Farhad Payar: Ich habe das Gefühl, dass sie sich nach außen hin stark zeigt, aber innerlich ist sie geschädigt. Wenn man 23 Tage in Einzelhaft sitzt und Tag und Nacht verhört wird, ist das schrecklich. Dann wurde sie für zehn Tage in einen Trakt mit wegen Kriminalität verurteilten Frauen verlegt. Danach wurde sie auf Kaution freigelassen. Wir telefonieren fast täglich. Sie kann jederzeit wieder verhaftet werden. Sie hat zwar Widerspruch eingelegt, aber das Urteil kann bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts vollzogen werden.
Was wirft das Regime Ihrer Nichte vor?
Im Urteil wird ihr die Leitung einer Gruppe vorgeworfen, die die nationale Sicherheit gefährden soll. Als Beweis haben sie Workshops angeführt. Ghazaleh hat 2018 ein Café eröffnet. Das wurde zu einem Treffpunkt für junge Leute. Dort hat sie Lesungen veranstaltet und Workshops gegeben zu Psychologie, über Selbstbildung und Selbstfindung, keine politische Arbeit. Alles legal, im Rahmen der hiesigen Gesetze. Trotzdem hat sie darauf zwei Jahre bekommen. Und ein Jahr für die angebliche Zusammenarbeit mit einem antirevolutionären Netzwerk. Das wurde im Urteil auch konkret benannt: das deutsche Magazin Spiegel. Sie hatte 2011 auf meine Anfrage hin für die Zeitschrift Tagebuch über ihr tägliches Leben geführt. Eine sozial aktive Frau in einer kleinen Stadt hat ein schweres Leben. Da ging es nicht um die Politik oder das Regime, sondern darum, wie die Gesellschaft mit ihr umgeht und was sie in der Gesellschaft wahrnimmt. Drogensucht zum Beispiel.
Sie selbst sind seit 2011 Leiter des Iran Journal. Bis Dezember haben Sie außerdem für die Deutsche Welle gearbeitet. Und Sie gehen davon aus, dass die Verhaftung und Verurteilung Ihrer Nichte auch eine Drohung gegen Sie ist. Woran machen Sie Ihren Verdacht fest?
ist Schauspieler, Journalist und Autor. Er leitet das Iran Journal, ein deutschsprachiges Onlinemedium, das kritisch über die Lage im Iran berichtet.
Sie wollte am 16. August 2023 uns in Berlin besuchen. Am 30. Juli wurde sie von Agenten des Geheimdienstes festgenommen. In der Zeit, als sie in Einzelhaft war, bekam ich eine Whatsapp-Nachricht vom Handy meiner Nichte: Onkel, kannst du mir von dem Geld, das ich bei dir habe, etwas schicken? Sie hat aber gar kein Geld bei mir. Und ich wusste ja, dass sie im Gefängnis sitzt und mir nicht schreiben kann, weil ihr Handy und ihr Laptop konfisziert worden waren. Zwei Verhörer haben in Ghazalehs Namen geschrieben. Sie hatten nichts in der Hand gegen sie und wollten ihr nun etwas anhängen, nämlich dass sie Geld aus dem Ausland bekommt.
Also eine Falle.
Ja. Und sie haben mir gedroht. Nach zehn Minuten Hin-und-her-Schreiben schickten sie mir die Nachricht: „Sie wissen von all deinen Aktivitäten, pass auf dich auf!“ Das ist ein Code: Wenn du so weitermachst, wird dir etwas passieren. Als Ghazaleh aus dem Gefängnis freikam, sagte sie mir, sie habe mehr Angst um mich gehabt als um sich selbst. Den Grund hat sie mir nicht genannt. Überhaupt erzählt sie wenig über die Zeit in der Einzelhaft.
Gab es schon früher Einschüchterungsversuche gegen Sie oder das Iran Journal?
Immer wieder haben wir indirekte, aber auch direkte Drohungen bekommen, das heißt per Mail. Zum Beispiel: Wir kriegen euch, früher oder später! Eine Weile hatten wir eine Kommentarfunktion unter jedem Beitrag. Da standen dann ständig Drohbriefe, Inhalt: „Ihr seid iranfeindlich“. „Ihr werdet sehen, was mit euch passiert“. Ich habe sie ignoriert, sie auch meinen Mitarbeitern nicht mitgeteilt. Ihre Absicht ist, Angst zu verbreiten, und ich will ihnen dabei nicht helfen. Bis sie nun den ersten praktischen Schritt unternommen haben.
Im September 2022 starb die 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini. Ihr Tod setzte die größte und längste Protestwelle in der Islamischen Republik seit der Revolution 1979 in Gang. Wie würden Sie die Lage im Iran heute beschreiben?
Wir haben gerade einen Artikel übersetzt dazu, wie Frauen schikaniert werden, die im Auto ihr Kopftuch abnehmen. Das ist ein Zeichen dafür, dass es immer mehr Frauen gibt, die in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch auftreten. Alles, was wir in den letzten 44 Jahren gehört haben über die Unterdrückung der Frauen, über die Unterdrückung der Oppositionellen, der Studenten, der Arbeiter, der Rentner, all das ist immer eine Reaktion des Regimes gewesen. Das heißt, die Gesellschaft ist sehr aktiv. Die landesweiten Proteste gehen in anderer Form weiter, weil die Probleme, weshalb die Menschen auf die Straße gingen, nicht gelöst sind. Ich habe meine Nichte gefragt: „Willst du nicht rauskommen?“ Sie sagte: „Nein, das ist auch mein Land. Warum sollte ich das Land verlassen?“ „Du kommst vielleicht drei Jahre ins Gefängnis“, sagte ich. Sie antwortete: „Wenn das der Preis ist, um in diesem Land zu leben, dann bezahle ich ihn.“ Und sie ist nicht die Einzige, die so denkt.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Nichte vor dem Revisionsgericht Erfolg hat?
Sie wollen in der relativ kleinen Stadt ein Exempel statuieren. Um mir eins auszuwischen und Leuten wie meiner Nichte Angst einzujagen, werden sie Ghazaleh zu einer Gefängnisstrafe verurteilen. Da bin ich mir fast sicher. Allein deswegen, weil ich mit den Medien geredet habe.
Hat sich die Bundesregierung bei Ihnen wegen der Drohung aus dem Iran gemeldet?
Nein, das ist leider nicht der Fall. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung sich so etwas nicht gefallen lassen würde. Immerhin bin ich ein deutscher Staatsbürger, der für ein deutschsprachiges Onlinemagazin arbeitet. Das islamische Regime im Iran ist wie ein Kind. Es macht so lange weiter, bis du einmal sagst: Stopp, jetzt ist genug!
Großbritannien hat am Montag Stopp gesagt – in Form von Sanktionen gegen Mitglieder der Islamischen Revolutionsgarde. Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung der Bundesregierung?
Die Regierungen im Iran und in Deutschland hatten immer eine gute Beziehung zueinander. Egal ob in der Weimarer Republik oder als Hitler an der Macht war, ob während der Schah-Zeit oder der Islamischen Republik. Nach der Revolution von 1979 war Genscher der erste westliche Außenminister, der in den Iran gegangen ist. Ich hoffe, diese Politik des Schmusens mit den Ajatollahs wird nicht fortgeführt. Fast alle Sanktionen waren Augenwischerei, bis 2013. Nur zwei Jahre später, also 2015, war das Regime bereit, einen Atomdeal einzugehen. Warum? Man hatte das Regime finanziell lahmgelegt. Das heißt, wenn man will, kann man.
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