Spielfilm „Stella. Ein Leben“: Ein schuldiges Opfer

Stella Goldschlag war Jüdin und verriet in der NS-Zeit andere Jü­d*in­nen und Juden an die Gestapo. Der Hamburger Kilian Riedhof hat ihr Leben verfilmt.

Stella startet als lebensfrohe Frau mit dem Traum, in New York aufzutreten Foto: Majestic/Christian Schulz

„Was hättest du getan?“ Dieser Satz auf den Plakaten für „Stella. Ein Leben“ hat tatsächlich Gewicht. Es ist die Kernfrage, die Filmemacher Kilian Riedhof in seinem historischen Spielfilm stellt. Er erzählt darin von Stella Goldschlag, einer deutschen Jüdin, die tatsächlich gelebt und im Dritten Reich für die Gestapo als eine sogenannte Greiferin über hundert Jüdinnen und Juden verraten hat.

Eine schlimmere Schuld, ein niederträchtigeres Handeln ist kaum vorstellbar. Aber können wir uns in die Situation dieser jüdischen Frau hineinversetzen, die im Jahr 1943 weiß, dass in Auschwitz systematisch Jüdinnen und Juden umgebracht werden und der sich eine Gelegenheit bietet, ihr und ihrer Familie die Deportierung dorthin zu ersparen?

Kilian Reidhof gelingt es, mit verschiedenen stilistischen Mitteln, uns diese junge, lebenshungrige Frau nahezubringen. Konsequent erzählt er aus ihrer Perspektive, wir sehen alles mit ihren Augen. Dabei historisiert Reidhof nicht, indem er etwa durch die Kameraarbeit oder eine möglichst authentische Ausstattung den Eindruck erweckt, hier etwas aus alten Zeiten zu zeigen und so Distanz zu schaffen.

Das irritiert zuerst, denn solch künstlich erzeugte Patina gehört zu den Konventionen des historischen Spielfilms. Da wirkt es zuerst wie Unvermögen und nicht gewollt, wenn Stella Goldschlag zusammen mit einer Gruppe junger, jüdischer Mu­si­ke­r*in­nen im Deutschland des Jahres 1940 ausgelassen US-amerikanische Swingmusik spielt: alles blitzblank und so inszeniert wie für ein Filmmusical.

„Stella. Ein Leben“, Regie: Kilian Riedhof, u. a. mit Paula Beer, Janis Niewöhner und Katja Riemann, Deutschland 2023, 113 Minuten

Stella singt im ersten Akt des Films gleich mehrere Klassiker wie Benny Goodmans „Sing Sing Sing“. So soll jüdisches Leben im Deutschland des Jahres 1940 ausgesehen haben? Andererseits gelingt es Riedhof, ein Lebensgefühl vom „Tanz auf dem Vulkan“ zu vermitteln. Und darum geht es ihm: Wir sollen uns intensiv in Stella einfühlen können, in eine ehrgeizige Frau mit viel Temperament und einer Vorliebe für einen hedonistischen Lebensstil.

Wenn sie sich damit in einer Zeit, in der Jüdinnen und Juden in der Öffentlichkeit den gelben „Judenstern“ tragen müssen, durchmogeln kann, sind wir ganz auf ihrer Seite. In Berlin lebt sie mit ihren Eltern versteckt im Untergrund. Ihr Geliebter ist ein Kleinkrimineller, gemeinsam mit ihm verkauft sie Jüdinnen und Juden für viel Geld gefälschte Papiere. Dabei entwickelt sie eine rücksichtslose Gier – und das Bild, das der Film von ihr zeichnet, wird zum ersten Mal ambivalent.

Bald wird sie von der Gestapo verhaftet und Riedhof zeigt, wie brutal sie gefoltert wird und wie verzweifelt sie ist, wenn ihr und ihren Eltern mit der Deportation nach Auschwitz gedroht wird. „Was hättest du getan?“ – da ist diese Frage schon nicht mehr so einfach zu beantworten. Dabei zeigt Riedhof, wie Stella sich allmählich und sehr glaubwürdig vom Opfer nicht nur in eine Täterin, sondern in ein Monster verwandelt.

Die anfängliche Identifizierung mit der Protagonistin und das Entsetzen angesichts ihrer Verwandlung sind auch darum verstörend, weil Paula Beer sie glaubwürdig, intensiv und komplex spielt. Da stimmt jeder Ton und jede Geste, sie verkörpert die Stella so lebendig und unmittelbar, dass man sie nie beim Schauspielern erwischen kann. Alle Widersprüche in Stellas Leben, das Furchtbare ihrer Taten spiegeln sich immer in ihrem Gesicht. Bis zum Ende des Films bleibt man ihr so beängstigend nah.

Diese Geschichte zu erzählen, ist ein ästhetischer Drahtseilakt, und der deutsche Schriftsteller Takis Würger ist dabei mit seinem 2019 erschienenen Roman „Stella“ auch schon abgestürzt. Ihm wurde vorgeworfen, einen Unterhaltungsroman „im Kinderbuchstil“ (Die Zeit) geschrieben zu haben. Das Buch sei „ein Ärgernis“ (Süddeutsche) – „hilflos … und unfreiwillig komisch“ (taz).

So nah wie möglich an den Tatsachen

Riedhof hat sich bei seiner „Stella“ dagegen so weit wie möglich an die Tatsachen gehalten. Der in Hamburg lebende Filmemacher ist durch seine filmischen Rekonstruktionen historischer Ereignisse bekannt geworden. Für die ARD inszenierte er den Politthriller „Der Fall Barschel“ sowie das Filmdrama „Gladbeck“ und für das Kino die französisch-deutsche Koproduktion „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ über die Anschlagserie vom 13. November 2015 in Paris.

Das Drehbuch für „Stella“, das er zusammen mit Marc Blöbaum und Jan Braren verfasst hat, basiert auf Recherchen, für die er unter anderem die Akten der beiden Gerichtsprozesse gegen Goldschlag in den Jahren 1946 und 1957 studierte. So verzichtete er bewusst auf „spekulative oder bewusst fiktionalisierende“ Erzählmittel (so seine eigenen Worte).

Durch diese Strenge in der Dramaturgie wird er der Geschichte und dem Menschen Stella Goldschlag gerecht. Denn er urteilt nicht, sondern zeigt stattdessen so wahrhaftig wie möglich, was geschah. Und dadurch wird die Antwort auf die Frage „Was hätte ich getan?“ nicht einfacher.

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