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Ein Fest im Abendrot der grünen Macht

Gefühle, als hätte der Morgen erst begonnen: Zum 25. Geburtstag der Grünen im Stuttgarter Landtag spricht Joschka Fischer über notwendige Verletzungen unter Fundis und Realos. Und Claudia Roth über den Weg des Biers auf Jutta Ditfurths Kopf

AUS STUTTGART HEIDE PLATEN

Im gewohnt farbenfrohen Jackett malt Claudia Roth ihren Zuhörern den kommenden Bundestagswahlkampf aus, mal knallbunt, mal knallgrün und immer rosarot. Die grüne Bundesvorsitzende redete sich in Rage und Rührung beim 25. Geburtstag, den die baden-württembergische Landtagsfraktion am Wochenende mit 1.200 Gästen in Foyer und Lobby des Stuttgarter Landtags ausgiebig feierte. Draußen blühten Rosen und Lavendel in grellen Sommerfarben, auf dem Festtagsplakat aquarellierten zartlila und hellgrüne Töne, als sei noch immer politischer Frühling für die Grünen.

Im ersten Stock drängten sich die, die dabei gewesen waren in jenen hoffnungsjauchzenden, zukunftsbetrübten, immer aber gefühlsstarken Zeiten. Sechs frisch gewählte und von den 5,3 Prozent Wählerstimmen selbst überraschte Abgeordnete strebten im März 1980 vom Gasthof „Alte Kanzlei“ ihren neuen Sitzplätzen zu. Sie hatten es als erste Grüne in einem Flächenstaat ins Landesparlament geschafft. Zur konstituierenden Sitzung am 4. Juni ließen sich drei von ihnen entschuldigen. Sie hatten einen wichtigeren Termin: Demonstration gegen das Atomendlager in Gorleben.

Nur einer von ihnen ist nach einem halben Leben noch immer Abgeordneter. Winfried Kretschmann amtiert heute als Fraktionsvorsitzender. Damals war er der Zweitjüngste, zwei leben im Ruhestand, einer ging nach Litauen. Der Älteste, der Architekt Hans-Dietrich Erichsen, ist gestorben. Der Oberstudienrat Wolf-Dieter Hasenclever, damals einer der prominentesten Grünen, ist heute Referent der FDP-Bundestagsfraktion.

Grün blühte auf in Baden-Württemberg, so sehr, dass bald vom Stammland der Partei die Rede war, überboten nur vom Nachbarn Hessen mit seiner ersten rot-grünen Koalition 1985. Im Südwesten zählte die Fraktion zur selben Zeit elf Abgeordnete, 1988 waren es zwölf, vierzehn dann 1992, und mit dem Traumergebnis von 12,1 Prozent wuchs sie am 24. März 1996 auf 21 Mitglieder an. 2001 schrumpfte sie wieder auf elf Abgeordnete. Was dazwischen lag, skizzierte Bundesaußenminister Joschka Fischer in seiner Gratulationsrede: 25 Jahre das Brot der Opposition gegessen auf dem Weg von einer zusammengewürfelten Gruppe Linker und Umweltbewegter – durch ein Jahrzehnt von Flügelkämpfen zwischen „Realos“ und „Fundis“ – zum realpolitischsten Landesverband der Partei. Manche Verletzung aus dieser Zeit, so Fischer, sitze tief, sei aber „notwendig“ gewesen. Aus Baden-Württemberg kam die einst legendäre Spätzle-Connection in Berlin, Reinhard Bütikofer, Fritz Kuhn, Oswald Metzger und Rezzo Schlauch, aber auch ihr Widerpart, der linke MdB aus Tübingen, Winfried Hermann.

In keinem anderen Landesverband wurde so oft mit dem Gedanken kokettiert, dass ein schwarz-grünes Bündnis in Zukunft machbar sein müsste. Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) signalisierte schon vor seinem Amtsantritt im Frühjahr verhaltenes Wohlwollen, während die SPD ihren Ärger nur mühsam verhehlen konnte. Zuletzt wurden Flüche laut, als der grüne Oberbürgermeisterkandidat Boris Palmer in Stuttgart scheiterte und die Wahl seines CDU-Konkurrenten empfahl.

Fischer mahnte, dass es auch nach 25 Jahren Opposition noch gelte, die Regierungsmacht anzustreben: „Stürzt Oettinger!“ Der hatte sich als Gast angekündigt, versäumte aber diese Festrede. Seine Kultusministerin, Annette Schavan, saß derweil in der ersten Reihe und lächelte verbindlich. Dass die Realpolitik, wie Kretschmann behauptet hatte, die ureigenste Erfindung der Partei im Südwesten gewesen sei, bestritt Fischer: „Das ist Frankfurter Schule!“ Mit Blick auf die Neuwahlen im Bund gab er sich optimistisch: „Abwarten! Die Dinge sind sehr in Bewegung!“ Ein Wahlerfolg für Rot-Grün sei noch immer nicht ausgeschlossen: „Es wird von uns abhängen!“

Claudia Roth, damals noch im Fundi-Flügel, grub gute und schlechte Erinnerungen aus. Zum Beispiel die, dass „der Dieter“ damals „der armen Jutta das Bier über den Kopf geschüttet hat“, warum auch immer: „Das war nicht fair von dir!“ Ist aber auch schon lange her.

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