Bilanz Forschungsjahr 2023: Erwartungen nicht erfüllt

Das Forschungsministerium wollte eigentlich mit sechs „Missionen“ punkten. Aber einige Konzepte konnten nicht überzeugen.

Portraitfoto Bettina Stark-Watzinger.

Forschungsministerin Betrtina Starck-Watzinger (FDP) Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Die Forschungspolitik ist ein dickes Brett. Um es zu durchbohren und somit in die Zukunft vorzudringen, braucht es die richtigen Ins­tru­men­te: Geld, Labore, kluge Köpfe. Wie sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als wichtigster politischer Akteur und Koordinator in diesem Wissenschaftssegment 2023 geschlagen hat, zeigt ein Blick auf die Bilanz.

Auch wenn sich BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der Öffentlichkeit vor allem zu bildungspolitischen Themen äußert, versteht sich das Ministerium mit seinen beiden Dienstsitzen in Berlin und Bonn vor allem als Haus der Forschung. Das zeigt sich in der Mittelverteilung: Von den 20,6 Milliarden Euro des BMBF-Etats im Jahr 2023 flossen 13,2 Milliarden Euro in die großen Forschungsorganisationen wie die Helmholtz-Gemeinschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft sowie in die Förderung einzelner Forschungsprogramme.

Ein zweiter Indikator ist die Darstellung nach außen: Von den 94 Pressemitteilungen des Jahres 2023 betrafen 39 Themen aus der Grundlagen- und angewandten Forschung und 34 Themen aus dem Bereich Hochschule, Berufsbildung und Schule. Ein drittes Handlungsfeld mit wachsender Bedeutung ist der Wissenstransfer, insbesondere durch die beiden neuen Agenturen für Sprunginnovationen und für Transfer und Innovation.

Die wichtigste strukturelle Neue­rung der Forschungspolitik im vergangenen Jahr war die Vorlage der „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ im Februar. Sie wurde im Herbst durch die Einsetzung einer 21-köpfigen Expertenkommission ergänzt. Die Zukunftsstrategie gliedert die großen, langfristigen Forschungsaufgaben in sechs „Missionen“, an deren Umsetzung auch die anderen Ressorts der Bundesregierung beteiligt sind. Neben dem Forschungsministerium sind dies vor allem die Häuser für Wirtschaft und Klimaschutz (Robert Habeck, Grüne) sowie für Digitales und Verkehr (Volker Wissing, FDP). Die sechs zentralen Forschungsaufgaben wurden im Koalitionsvertrag festgelegt.

Industrietransformation

Im Sommer wurde eine neue Wasserstoffstrategie verabschiedet, an der auch das Forschungsministerium beteiligt ist. Es finanziert vier große Kopernikus-Leitprojekte, in denen unter anderem Energiespeichertechnologien erforscht werden, die für den Einsatz von „grünem“, also umweltfreundlich erzeugtem Wasserstoff notwendig sind.

Während das Wirtschaftsministerium größere Projekte wie die Produktion von „grünem Stahl“ mit Wasserstoff bei der Salzgitter AG vorantreibt, kommen vom Innovationsbeauftragten für grünen Wasserstoff des BMBF, Till Mansmann, nur wenige Impulse. Der FDP-Bundestagsabgeordnete gilt in Fachkreisen als Fehlbesetzung für den Energiejob.

Klimawandel

Im Klimabereich, zu dem auch die Forschung für ein „nachhaltiges Landwirtschafts- und Ernährungssystem“ zählt, konzentrierte sich das BMBF verstärkt auf die sogenannte grüne Gentechnik. Sie wird dort allerdings nicht so genannt, sondern als „neue Züchtungstechnologien“ bezeichnet.

Gemäß der FDP-Agenda, die seit Jahren geltenden Beschränkungen zum Einsatz gentechnischer Methoden im Pflanzenbau und der Lebensmittelwirtschaft aufzuweichen, wurde vom BMBF im Oktober eine neue „Förderrichtlinie zur Pflanzenzüchtungsforschung mit Neuen Züchtungstechniken“ veröffentlicht. Ein Fachworkshop in Brüssel sollte die gentechnische Crispr/Cas-Methode außerhalb der Medizin salonfähig machen. Der politische Erfolg blieb allerdings aus: Im Dezember entschied die EU-Ministerrunde, von einer Lockerung der ­Gentechnikregulierung abzusehen.

Gesundheit

In der Medizinforschung wurden vor allem die großen Programme zur Krebsforschung vorangetrieben. Für Teile der Öffentlichkeit war aber wichtig, dass sich das BMBF endlich auch für die medizinische Erforschung der weitgehend ungeklärten Long-Covid-Folgen engagierte, wenn auch zunächst nur mit einer Informationswebsite. Der Hauptakteur, das Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach, punktete dagegen in einem anderen, stärker digital getriebenen Bereich.

Während das Forschungsministerium das ganze Jahr über mit der Formulierung eines Forschungsdatengesetzes nicht vorankam, konnte der Bundestag im Dezember 2024 immerhin auf Vorlage Lauterbachs nun das Gesundheitsdatennutzungsgesetz verabschieden – ein wichtiger Schritt in Richtung digitale Medizin mit der Erwartung besserer Diagnosen und individualisierter Therapieansätze.

Digitalisierung

Insbesondere bei der Mission „digitale Souveränität“ blieb das BMBF im derzeit heißesten Forschungsfeld zur künstlichen Intelligenz (KI) eklatant hinter seinen Möglichkeiten zurück. Im August hatte Stark-Watzinger einen „KI-Aktionsplan“ vorgelegt, der allerdings nur für ihr Haus galt, obwohl ein generelles Update der KI-Strategie der Bundesregierung aus dem Jahr 2018 fällig gewesen wäre.

Die zentrale Zuständigkeit für den KI-Bereich konnte das BMBF aber nicht an sich ziehen, sodass es bei einem Flickenteppich der Zuständigkeiten bleibt. Auch das eigene Konzept des BMBF konnte die Experten nicht überzeugen, da es strategisch zu vage blieb und im Finanzbereich konkrete Meilensteine vermissen ließ.

Weltraum und Meere

Der Forschungssektor Weltraum und Meere brachte 2023 nur wenige Highlights, etwa den Beitritt Deutschlands zum Superteleskop SKAO (Square Kilometre Array Observatory), das in Südafrika und Australien aufgebaut wird. Größere Aufmerksamkeit erregte jedoch das Wissenschaftsjahr „Unser Universum“, das mit einer Vielzahl von Aktionen die Faszination der Astronomie in die breite Öffentlichkeit trug: Mehr als 400 Veranstaltungen zogen 160.000 Besucher an.

Soziale Innovationen

Den Überraschungserfolg des Jahres konnte das BMBF in der Mission „gesellschaftlicher Wandel“ verbuchen. Die von der Ministeriumsbeauftragten Zarah Bruhn entwickelte Strategie für soziale Innovationen fand breite Anerkennung. Bruhn hat in München das Sozialunternehmen Social Bee gegründet, das Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt vermittelt. Das Strategiepapier, das generell die Erneuerungsfähigkeit der Gesellschaft stärken will, sieht unter anderem eine „Innovations- und Gründungsinitiative für digitale Bildungstechnologien (Ed Tech)“ vor.

Als Ziel wird in dem Strategiepaier auch genannt, dass diese in Deutschland im in­ter­na­tio­na­len Vergleich wenig verbreiteten Technologien „zum besseren Kompetenzerwerb, zur flexiblen und inklusiven Lernerfahrung sowie zur Indivi­dua­lisierung und Durchlässigkeit des Lernprozesses beitragen“ könnten.

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