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Andreas Speit Der rechte RandWie die Gewalt bei einem Rechtsrock­konzert in Neumünster vor Gericht kommt

Den bundesdeutschen Rechtsstaat schätzen wahre Rechtsrockfans wenig. Vor dem Amtsgericht Neumünster erschien ein 46-jähriger Fan nicht. Die Staatsanwaltschaft hält dem Pinneberger vor, am 4. März vergangenen Jahres an den Ausschreitungen bei einem Konzert beteiligt gewesen zu sein. Eine Woche vor dem Verhandlungstermin Ende November 2023 schrieb er dem Gericht, dass er keinen Urlaub nehmen könne und nicht wisse, warum er erscheinen solle. Er habe doch schon „alles zugegeben“. In einzelnen Fällen erfolgen aber „auch in Abwesenheit der Angeklagten“ Verurteilungen, sagt Oberstaatsanwalt Henning Hadeler der taz. Das Strafmaß liege zwischen Geld- und Bewährungsstrafen. Weitere Verfahren folgen.

Das konspirative Konzert hatte der Rechtsrock-Unternehmer Thorsten Heise verantwortet. Über Heises Online-Shop „Deutsches Warenhaus“ konnten Rechtsrockfans Tickets für rund 20 Euro erwerben, 388 Karten soll Heise verkauft haben. Sein Geschäft führt der Bundesvize von „Die Heimat“ (früher NPD) aus dem thüringischen Eichsfeld. Die gewaltbereite Kameradschaft „Arische Bruderschaft“ (AB) war ihm lange treu ergeben, gemeinsam hatte sie seit Jahren immer wieder Veranstaltungen organisiert und abgesichert. Nach dem Verbot der Hammerskins und der „Artgemeinschaft“ löste sich die AB aber offiziell auf. Bei dem Konzert im Vereinshaus einer Gartenkolonie kontrollierte einer von der AB aber noch den Einlass.

Unter dem Motto „Der Norden rockt“ sollten an jenem Samstagabend in der schleswig-holsteinischen Stadt die Bands Endstufe, Radikahl und Hard & Smart auftreten. Das Event war der Szene lange zuvor mit der Ortsangabe „Großraum Hamburg“ bekannt, auch die Polizei bekam etwas mit. Als die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen gegen 18 Uhr den Veranstaltungsort, das Vereinsheim der Gartengemeinschaft Heinrich Förster, veröffentlichte, dauerte es nicht lange, bis die Polizei mit einem Großaufgebot anrückte.

Schon während des Soundchecks fanden sich viele Uniformierte zwischen den Parzellen ein und umstellten den Veranstaltungsort großflächig. Als sie mit der Auflösung des Konzerts begannen, griffen Konzertbesucher die Be­am­t*in­nen an, verschanzten sich zum Teil im Gebäude und verwüsteten es. Ein Feuerlöscher und Stühle flogen den Be­am­t*in­nen entgegen, Mobiliar ging massenhaft zu Bruch, Fensterscheiben zerbrachen. „Ein Ort der Verwüstung“, so ein Augenzeuge. Ein Viertel der Kon­zert­be­su­che­r*in­nen habe sich laut Polizei Neumünster in dem Gebäude verschanzt. Im Saal hing bis zuletzt das Banner der „Brigade 12 Pommern“ mit zwei gekreuzten Granaten. Die Kameradschaft Brigade 12 gilt als eine Untergruppe der Arischen Bruderschaft von Heise und wohl ebenso in Sorge vor einem Verbot löste sich auch diese Brigade selbst auf.

Als die Polizei mit der Auflösung des Konzerts begannen, griffen Besucher die Be­am­t*in­nen an

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat insgesamt 40 Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmer*innen des Rechtsrockkonzerts eingeleitet, sagt Hadeler und betont: „Bisher.“ Von diesen Verfahren konnten bislang 38 abgeschlossen werden. Gegen zehn Beschuldigte wurde jeweils Anklage erhoben, gegen sechs Beschuldigte erging der Erlass eines Strafbefehls. In den Anklagen und den Strafbefehlsanträgen hält die Staatsanwaltschaft den Personen vor, zum Teil versuchte oder gefährliche Körperverletzung begangen zu haben sowie Sachbeschädigung, Landfriedensbruch, Widerstand gegen oder tätlichen Angriffe auf Vollstreckungsbeamte. Einer der nicht angeklagt wurde: Heise. Der Organisator konnte gegen 23 Uhr das Gelände verlassen.

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