taz Publikumspreis Open Mike 2023: Die Heimsuchung
In der Wohnung, Typ WBS70, tut sich ein trockenes, warmes Nichts auf. Und die Fingernägel der Nachbarin erinnern an Schwertmuscheln.
Am ersten Tag hatte ich keinen Kopf für die Katastrophe. Ich war früh auf, trat auf den Balkon. Elf Stockwerke unter mir die Stadt, die sich dem Frühling nur zaghaft öffnete. Drinnen rieselte die Dusche.
Auf dem Sofa war die Bettdecke zurückgeschlagen, Zosias offener Laptop erhellte den Beistelltisch. Erster Tab: „Einzimmerwohnungen“. Zweiter Tab: „Schufa-Auskunft online.“ Dritter Tab: „how to break up reddi“, vierter Tab: der Wikipedia-Eintrag über Schwertwale, aktualisiert vor drei Minuten.
Ich wusste, dass sie an einem Artikel über Wale schrieb, dass sie krankhaft prokrastinierte, dass wir kämpften. Auch ich hatte nach Einzimmerwohnungen gesucht, mit besseren Filtern. Sie suchte nach den günstigsten Angeboten, unweigerliche Karteileichen, vermietet, unbewohnbar, unbeliebt. Letzteres musste man erstmal schaffen, auch hier.
Den Laptop ließ sie nie offen stehen. Dass sie eher die automatische Bildschirmsperre ausschaltete, als mit mir zu reden, überraschte mich trotzdem nicht. Ich scrollte durch den Reddit-Beitrag: „If you have been in a long term committed relationship with the person, all you can really say is ‚I’m sorry, but I’ve changed.‘“
Mit dieser Erzählung gewann Susanne Romanowski im November den Publikumspreis beim Festival Open Mike in Berlin, den die taz zusammen mit dem Open Mike auslobt. Wer ihn unter den Teilnehmer*innen des alljährlichen Literaturwettbewerbs bekommt, entscheidet eine unabhängige Jury aus Leser*innen. Zum Preis gehört der Abdruck des Textes. Herzlichen Glückwunsch und voilà.
Die Katastrophe war ein Loch und das Loch war tief. So tief, dass die Tasse, die Zosia vom Beistelltisch schlug, hineinrutschte, fiel und fiel und fiel und niemals aufkam. Das bemerkte ich später. In dem Moment war ich außer mir, dass sie die Tasse vom Weihnachtsmarkt Charlottenschloss 2017 genommen hatte. Den Weihnachtsmarkt gibt es nie wieder, einen gemeinsamen Ausflug in die Großstadt eh nicht, die Tasse schon gar nicht.
„Warum die?“, fragte ich.
„Weil sie leer war.“
Ich erinnere mich nicht, wie der Streit ausging, nur daran, wie ich die Taschentücher aufklaubte und sagte: „Nimm die Beine weg.“
Dann griff ich über den Teppich, über den Vinylboden ins Nichts, erst mit der Hand, dann bis zum Ellbogen, bis zur Schulter. Das Nichts war trocken, warm, grenzenlos. Es war frei von Tassen.
„Zosia, hilf mir“, sagte ich, „hier stimmt was nicht.“
Wir legten uns beide auf den Bauch, hielten den Arm ins Loch, griffen nach etwas, das nicht da war, berührten einander fast. Ein sanfter Luftzug zog durchs Loch. Zosia roch nach Minze und Kernseife, ich hatte noch nicht geduscht.
Wir wussten nicht, wie viele Zentimeter zwischen den Geschossen lagen, aber so eine Platzverschwendung konnte ich mir nicht vorstellen. Bloß: die Alternative noch weniger. „Der Müllschlucker …“, setzte Zosia an. „Müsste längst zugebaut sein“, beendete ich, „und warum sollte er plötzlich hier auftauchen?“
„Vielleicht haben wir ihn erst später gefunden, wie den Schimmel im Bad?“
„Das geht nicht, und überhaupt: Hast du nicht gestern Staub gesaugt? Hättest du es da nicht bemerkt?“
Zosia zog sich an den kreisrunden Lochrand und lauschte. „Es rauscht“, sagte sie. Ich kam näher, legte den Kopf auf die Seite. Unsere Scheitel berührten sich. Es rauschte, das heißt, die Leere oder das Blut. Abends war ich erschöpft vom Kämpfen, erschöpft von mir und der Gewissheit: Die Kaution kriegen wir nie zurück.
Am zweiten Tag notierte ich: Durchmesser 44 Zentimeter, Wohnzimmer hinten links, siehe Anhang. Ich recherchierte: Wohnungstyp WBS70, Vollbetondecke und Fußbodendicke zusammen machen insgesamt maximal 21,5 Zentimeter. Kein Platz für eine Höhle, aber das schrieb ich nicht an die Hausverwaltung, sondern: Tiefe und Alter unbekannt. Ich schrieb, als würden meine Mails beantwortet, als folgten auf meine Nachrichten Rückrufe, obwohl klar war, dass das Problem uns gehörte, dass es mir gehörte. Höchstens, dachte ich später in der Badewanne, würden sie uns eine Mieterhöhung schicken, jetzt, da die Wohnung größer war als gedacht. Zwei Zimmer, Küche, Bad, Loch.
Im Schaumbaddunst betrachtete ich den Schimmel. Auch er sollte hier nicht sein, aber ich weiß, warum und wie er mir schadet. Nebenan hörte ich die Nachbarn Möbel rücken. Ob die von unten uns oft hörten? Ob sie ein Loch in der Decke hatten, das sie von der Couch aus anschauten, abwechselnd mit dem Fernseher, Loch, Fernseher, Loch? In vier Jahren hatten wir sie nie kennengelernt. Mit nassen Händen griff ich nach dem Handy. Die Nachricht „Hab die Hausverwaltung kontaktiert“ schmückte in Zosias und meinem Chat zwei blaue Haken. Den Abend verbrachte ich auf dem Wohnzimmerboden. Ich klickte mich durch Google-Ergebnisse, Löcher, Abgründe. Durch Urban Legends, Pornocontent, Top-Ten-Listen der besten Golflöcher. Bei den Fail Compilations blieb ich hängen: Zusammenschnitte von Überwachungskameras, in denen Zimmerdecken in Räume einbrachen, wohl in irgendeinem US-Loch. Heimwerkende Beine stürzten durch Geschosse, nassgraues Dämmmaterial klatschte auf Arbeitsplatten. Selten wurde jemand verletzt. Im Reddit-Beitrag schrieb jemand: „That is the worst break-up guide I have ever read.“
Ich zielte, versenkte Taschentücher und Teebeutel, Klamotten und Altglas, lauschte vergeblich auf ein Zerschellen. Zosia hatte recht. Selbst wenn hier vorher kein Müllschlucker gewesen war, jetzt gab es einen.
Am dritten Tag klingelte die Nachbarin: vielleicht Mitte sechzig, knallgelber Sportanzug. Ihre Fingernägel klackerten gegen den Türrahmen, lang, fest, unlackiert. „Ich konnte nicht schlafen“, sagte sie, „die ganze Nacht war da so ein Rauschen, haben Sie Ihren Fernseher falsch eingestellt?“
Niemals hätte ich an ihrer Stelle die ganze Nacht gewartet. Ich verneinte, sie klackerte weiter, es hallte nach. „Haben Sie“, traute ich mich, „zuletzt etwas Seltsames bei sich bemerkt?“
Sie zögerte. Ihre Fingernägel erinnerten mich an Schwertmuscheln. „In Ihrem Wohnzimmer vielleicht“, versuchte ich es nochmal, „ist Ihre Decke da normal?“
„Ja, aber, wissen Sie, meine Nägel hören nicht auf zu wachsen. Ich kann sie nicht schneiden. Morgens sind sie kurz, da kann ich mein Handy benutzen, putzen, Geld abheben, aber sie werden länger, bis ich abends daliege. Manchmal mit offenem Fenster, weil mein Schlafzimmer so klein ist und die Nägel an die Scheiben kratzen. Nachts setzen sich manchmal Spatzen darauf, aber das stört mich nicht, es tut nicht weh, und wenn ich morgens aufwache, sind die Nägel wieder kurz. Die Spatzen bleiben draußen. Schneiden bringt nichts, wie gesagt. Jedenfalls, was war mit der Decke?“
Das Klackern hatte gestoppt. Ihre Nägel waren schon während des Monologs Millimeter gewachsen, und so wie sie mich ansah, mit einer noch wahnsinnigeren Geschichte als meiner, bat ich sie herein.
Drei Holzbeine des Tischchens standen auf dem Boden, das vierte schwebte über dem Nichts. Ein wenig weniger Gleichgewicht, und alles wäre hineingestürzt. Das Loch war gewachsen.
„Wie tief ist es?“, fragte die Nachbarin.
„Tiefer, als es sein könnte. Heute Morgen war es noch kleiner.“ Sie näherte sich, ging vor dem Loch auf die Knie, lieh ihm ihr Ohr.
„Das ist das Rauschen aus der Nacht. Haben Sie jemandem Bescheid gesagt?“
„Der Hausverwaltung.“ Sie winkte ab.
„Der Polizei, den Medien?“
„Wem kann man das schon erzählen? Tee?“
Wir setzten uns in die Küche, das Loch im Blick. Als ich ihr die Zuckerdose vor die Tasse stellte, blickte sie mich entschuldigend an, schob beides in meine Richtung. Ihre Nägel waren so sehr gewachsen, dass sie den filigranen Löffel kaum in der Tasse drehen konnte. Sie rückte bis an die Wand, süßte mit fast ausgestrecktem Arm ihr Getränk. „Waren Sie damit mal beim Arzt?“
„Morgens um acht ist die einzige offene Sprechstunde, da ist mein Problem noch unsichtbar, als gesetzlich Versicherte eh. Dann die Mittagspause in der Praxis und nachmittags, nein, da komme ich kaum aus der Wohnung, das Treppenhaus, der Aufzug erst.“
Sie erzählte es, als wäre es das Normalste auf der Welt. Nicht zuletzt ihre fast beschämende Offenheit gegenüber einer Fremden legte nahe, dass sie auch vorher selten das Haus verließ. Vielleicht gab es kein Vorher, vielleicht war ihr Leiden schon immer da. „Aber ich will mich nicht beklagen“, seufzte sie, „morgens habe ich eine intensive Zeit. Dürfte ich nochmal zum Loch?“
Meine Anrufe an die Hausverwaltung, an entfernte Bekannte gingen ins Leere. Stündlich maß ich nach und notierte die Zahl in ein kleines Heft. Es war eine dankbare Routine. Ich aktualisierte die Immobilien-Website, maß nach, korrigierte nach oben. Mal wuchs es nicht, dann zehn Zentimeter, einmal schrumpfte es, leider ein Messfehler.
Abends kam Zosia zurück und füllte die Luft mit Bier und Schweiß.
„Es ist gewachsen“, begrüßte ich sie.
Sie ging zum Sofa, sagte kurz nichts, dann: „Es ist wie im Film.“
„In welchem?“
„Na, in Filmen passiert das ständig, dass sich irgendwo Löcher auftun.“
„Nenn mir einen.“
„Lass mich in Ruhe.“
„Ja, dann sag sowas doch nicht, wenn du kein Beispiel hast.“
„Ich wünschte, ich wäre jetzt gerade in einem Film.“
„Da wärst du ähnlich hilfreich wie hier.“
Mit den Fingern massierte sie ihre Augen, ihr Katergesicht, und fragte: „Und wer ist das?“
Die Nachbarin saß am Rande des Lochs, ließ ihre Beine darin baumeln. Hinter sich der kleine Couchtisch mit dem erkalteten Tee, darin ein Strohhalm. Ihre Hände hingen entspannt in der Dunkelheit. „Ich wohne unter Ihnen“, sagte sie, „Sie streiten oft.“ Zosia lächelte unverbindlich, holte ihre Bettwäsche und warf sie aufs Sofa. Ohne sich die Glitzerpartikel aus dem Gesicht zu waschen, ohne uns oder das Loch zu beachten, ohne zu prüfen, wie weit das Bein des Sofas noch von der Kante entfernt war, legte sie sich hin und löschte das Licht. Die Nachbarin und ich hockten im Dunkeln. „Vielleicht sollte ich gehen“, sagte sie, „könnten Sie mir die Tür öffnen? Und meine Eingangstür auch?“
Susanne Romanowski, 1995 geboren in Hamm, lebt in Berlin. Dort arbeitet sie als Kommunikationsmanagerin und als freie Kulturjournalistin. Am liebsten schreibt sie knapp am Realismus vorbei.
Ich half ihr. Mit ausgestreckten Armen erhob sie sich, ging vorsichtig rückwärts, eine Frau wie ein zurückgespulter Zombiefilm. Die meterlangen Fingernägel zog sie über den Boden, über die Treppe, in ihre Wohnung. Sie war fast leer, an den Wänden hingen keine Fotos, an der Decke kein Loch. Sollte das mit den Nägeln eine kluge Illusion sein, dann hatte sie genug ungestörte Zeit gehabt, sie sich auszudenken.
Am dritten Tag erwachte ich noch nachts. Wie die Nachbarin hatte ich das Bett für mich allein. Zusammengerollt lag Zosia am linken Ende des Dreisitzers. Ich machte Licht. Zosia stöhnte und steckte ihren Kopf unter das Kissen. „Steh auf, schnell“, sagte ich. In ihre Decke eingewickelt stellte sie sich neben mich und starrte. Das Loch war auf dem Boden. Das Loch war an der Wand. Das Loch war so groß und ungleichmäßig gewachsen, dass ich nach dem Zollstock für mein Protokoll griff, und ihn hineinwarf.
Ich holte meinen Koffer, packte Blusen, Unterwäsche, Tampons.
„Los, wir sollten weg.“ Zosia starrte weiter. Am oberen Ende der Bettdecke glitzerte es inmitten von Mascararesten.
„Wohin?“
„Egal, ins Hotel, oder ruf deine Mutter an.“ Sie schüttelte den Kopf:
„Es fährt kein Bus mehr, lass uns bis morgen warten.“ Kurz der Gedanke: Ich müsste sie nur schubsen, diesen weißen, müden Fleck, der so wenig verstehen wollte, worum es hier ging. „Kann ich mit ins Bett?“, fragte sie, der Gedanke verschwand.
Wir berührten einander fast, ich wünschte, sie hätte sich abgeschminkt. „Wusstest du, dass der Bautyp unserer Platte in der DDR am meisten verbaut wurde?“, flüsterte ich.
Sie antwortete nicht, sagte dann: „Ich habe eine Wohnung gefunden, für mich.“
Was war schlimmer? Dass sie etwas gefunden hatte, oder dass sie vor mir etwas gefunden hatte, mit doppelten Leerzeichen im Anschreiben und gefälschten Gehaltsnachweisen?
„Wo?“, fragte ich, „wann?“
Doch da atmete sie schon so tief und gleichmäßig, dass sie es spielen musste.
Heute kam die Nachbarin wieder, wieder mit fast normalen Nägeln. Sie brachte Ingwerkekse vorbei, „heute Morgen erst gebacken, bevor es wieder nicht geht“. Ich nahm einen, er brannte und wärmte, und räumte weiter meinen Kleiderschrank aus. Das Sofa stand mittlerweile an der anderen Seite des Raums, das Loch gegenüber wie der mondänste Flachbildschirm aller Zeiten.
Zosia kam aus der Dusche. Im Bademantel setzte sie sich zur Nachbarin, nahm sich einen Keks und alle Zeit der Welt. Die Nachbarin lächelte, bewegte fröhlich ihre Klauen. Selbst Zosia blinzelte mich zwischendurch an, als wäre nichts passiert. Wie gesund ihre Haut jetzt aussah, dachte ich. „Wann rufst du deine Mutter an?“
Sie stand auf, schob sich den Rest in den Mund und knallte die Tür zum Schlafzimmer zu. Ich klappte meinen Laptop auf. Der Bildschirm wurde schwarz, das Lämpchen am Ladekabel blieb ausgeschaltet. Ich nahm mein Handy, auch da: nichts. „Können Sie Ihr Handy benutzen?“, fragte ich die Nachbarin. Sie hob ihre Hände, jeder Fingernagel lang wie ein Buttermesser. Aus dem Nebenzimmer hörte ich Zosias Stimme lauter werden.
Mit der Nachbarin schaute ich ins Schwarz. Es sah harmlos aus, als würde es dazugehören zu dieser unsanierten Wohnung, den unsanierten Bewohnerinnen. „Wenn man hinschaut, wird es nicht größer“, sagte ich, „wie bei Ihren Nägeln.“ Sie zuckte die Schultern.
„Aber man kann nicht die ganze Zeit draufschauen, man muss arbeiten und schlafen und Staub saugen.“
„Hätte Zosia besser Staub gesaugt, dann hätten wir das Loch vorher gefunden.“
Sie kratzte sich, Kinn gegen Schulter.
„Und was hätte das gebracht?“
Die Tür ging auf. „Was sagt deine Mutter?“
„Ich habe niemanden erreicht“, sagte Zosia. Legte eine Hand an meinem Arm, drückte ihn zärtlich. „An der Wohnungstür ist ein Loch.“ Ich drehte mich um, musste korrigieren. Da, wo ein Türgriff und mein Koffer gewesen waren, war nichts mehr. Die Wohnungstür war ein Loch.
Vor dem Balkon sitzen Krähen in den Ästen, gaffen. Die Nachbarin hockt drinnen am Loch und hält ihr Gesicht in die Mittagssonne. Ständig nehme ich meine Hände von der Brüstung, wische sie an meiner Hose ab. Wir sind draußen, dreißig Meter über dem Boden.
Wenn ich mich über das Geländer lehne, kommen mir die Wolken näher vor. Rechts von mir beginnt die Feuerleiter. Ich versuche, nicht zu genau hinzusehen, sie nicht auf Rost zu untersuchen, auf Frost und Vogelkot. „Drehen Sie sich bitte um“, sage ich zur Nachbarin. Auch Zosia hat versucht, sie vom Mitkommen zu überzeugen. Sie hob nur die Hände, die Finger, die viel zu langen Nägel, um damit die eng an der Wand verlaufenden Sprossen zu ergreifen.
„Wir holen Hilfe, wirklich“, sagte ich, aber sie hörte kaum zu. Ich gehe als Erste. Ich hätte gern noch jemanden angerufen oder ein Tutorial angeschaut. Die Sprossen fühlen sich noch kalt an, ich hänge halb über dem Geländer. Fast will ich mich umdrehen, Zosia umarmen, aber ich weiß: Wenn ich mich jetzt nicht traue, bleibt nur das Loch. Und wenn schon fallen, dann so, dass man sieht, wo es hingeht. Ich schwinge mich rüber, mache den ersten Schritt nach unten. Stur blicke ich an die Wand. „Komm“, sage ich. „Komm schnell.“ Zosia zögert. Mein Körper wiegt so viel wie das ganze Haus, mit jeder Sekunde fühle ich mich eine Etage schwerer.
„Komm!“, wiederhole ich. Langsam umfassen ihre Hände die erste Sprosse. Sie macht den ersten Schritt, meine Arme brennen, meine Beine zucken, ich keuche die Mauer an. Sie macht den zweiten Schritt, ihre Beine zittern, ihre schönen Beine. Ich mache den zehnten Schritt, den elften, den zwölften, die Sonne am Hinterkopf. Sie zieht nach, zu schnell. Ihr Turnschuh tritt auf meine Finger. Da ist ein Geräusch. Wenn ich jetzt falle, denke ich, dann suche ich dich für immer heim.
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