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Arzt über Feuerwerksverletzungen„Eine Handvoll pro Silvester“

Zu Jan Cruse kommen zu Silvester viele Patienten. Er ist Chirurg in Hamburg. Ein Gespräch über Feuerwerksverletzungen und das medizinisch Machbare.

Hände leben an Silvester gefährlich Foto: Paul Zinken/dpa
Gernot Knödler
Interview von Gernot Knödler

wochentaz: Herr Cruse, wie oft kommen bei Ihnen Patienten auf den Operationstisch, die sich mit einem sogenannten Polenböller die Hand verletzt haben?

Jan Cruse: Gottseidank wird es weniger. Ich würde sagen, eine Handvoll pro Silvester.

Geschieht das nur um Silvester herum oder das ganze Jahr über?

Eigentlich nur um Silvester herum. Es gibt aber eine ähnliche Verletzung durch Wühlmausfallen, die ebenfalls Sprengkörper enthalten. Die kommt häufiger im Jahr vor.

Was sind die typischen Verletzungen, die durch solche Explo­sio­nen hervorgerufen werden?

Es gibt dabei verschiedene Mechanismen: Die Druckwelle zerreißt das Gewebe, dann gibt es den Schmauch, also Verbrennungsrückstände der Sprengstoffs im Gewebe, und Verbrennungen. Dass mehrere Faktoren auf die Hand einwirken, macht diese Verletzungen so gefährlich und so schwierig zu behandeln.

Wie viel schlimmer sind die Verletzungen durch sogenannte Polen­böller im Vergleich zu den hierzulande zugelassenen Sprengkörpern?

Von Polenböllern zu sprechen, finde ich immer furchtbar. Die Böller, um die es dabei geht, sind völlig unreglementiert und heftiger. Sie können eine ganze Hand zerreißen.

Im Interview: Jan Cruse

53, ist Chefarzt der Hand­chirurgie am Agaplesion Diakonie­klinikum Hamburg.

Sie sprachen von der Schwierigkeit, solche Verletzungen zu behandeln. Wie läuft das ab?

Der Patient kommt mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme. Dort muss man eine Bestandserhebung machen. Was ist verletzt? Was ist zu rekonstruieren und was ist zu erhalten? Dann kommt der Patient in den OP. Dort wird alles nicht lebendige Gewebe entfernt und aus dem Rest müssen Sie dann langfristig wieder eine Hand konstruieren. Genauer gesagt, wird eine Funktion der Hand rekonstruiert. Drastisches Beispiel: Sie können sich den Daumen und den Zeigefinger absprengen. Dann kann man mittelfristig den Mittelfinger auf die Position des Daumens bringen, damit Sie wieder greifen können. Da ist die Kreativität desjenigen gefragt, der die Versorgung machen muss.

Es geht wohl auch um Hauttransplantation.

Haut oder gestielte Lappen, also Gewebe mit den versorgenden Blutgefäßen, die man zur Deckung braucht.

Und die nimmt man von anderswo am Körper?

Sie können von der Schulter oder vom Oberschenkel zum Beispiel ein Hautareal entnehmen, das an eine Arterie gestielt ist, und anschließen. Sie können auch einen Knochen transplantieren. Das ist alles möglich. Wichtig ist die ausreichende Erstversorgung. Wenn Sie es nicht suffizient bei der ersten Operation machen, dann müssen Sie immer wieder korrigieren und säubern.

Wie viel Zeit darf vergehen zwischen dem Unfall und der Versorgung?

Es geistern immer diese 6 Stunden herum, aber wenn der Patient nach 12 oder 24 Stunden kommt, müssen Sie ihn ja auch versorgen.

Und dann hat er auch noch eine Chance?

Ja.

Wie stehen die Chancen auf eine vollständige Wiederherstelllung?

Das hängt mit der Schwere der Verletzung zusammen. Man kann das so einfach nicht darstellen. Wichtig ist: Der Patient, der eine solche Verletzung hat, muss ein Zen­trum für Handchirurgie aufsuchen, wo man sich damit auskennt. Die Erfahrung der Ärzte ist dabei das Entscheidende.

Wie lautet Ihr Tipp für Silvester?

Böller nicht in der Hand anzünden. Der Trend geht ja zu Batterien, die Sie auf den Boden legen. Die klassischen Verletzungen, wie wir sie noch vor zehn Jahren gesehen haben, sind weniger geworden. Vielleicht liegt es ja auch an der ­Coronazeit, in der man nicht böllern durfte. Die Leute sind wohl ein bisschen sensibilisiert.

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