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Weihnachtssingen in der Alten FörstereiUnion, du Fröhliche, du Selige …

2003 entstand aus der sportlichen Not heraus das Weihnachtssingen des 1. FC Union. Union-Fan Torsten Eisenbeiser über seine Erfindung – und ein Omen.

Tausende singen ganz beseelt mit: Weihnachten in der Alten Försterei im letzten Jahr Foto: dpa/Christophe Gateau
Interview von Gunnar Leue

taz: Herr Eisenbeiser, im Dezember vor 20 Jahren steckte Union als Zweitligist in einer schweren sportlichen Krise, ähnlich wie jetzt. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Torsten Eisenbeiser: Es war tiefster Winter, fürchterlich kalt, trostlos. Die Mannschaft kriegte keine Bälle ins Tor und machte oft ein grottiges Spiel. Das sorgte für eine gewisse Frustration.

Die Niederlagenserie in den letzten Wochen war ja noch heftiger. Trotzdem hatte man den Eindruck, dass die Fans mit der Situation relativ gefasst umgingen. Als sei vielen klar gewesen, dass nach so viel Erfolg ein Tal kommen musste, wenn auch nicht so tief.

Dass es nicht so erfolgreich weitergehen konnte, war selbstverständlich. Wir hatten ja jedes Jahr in der Bundesliga ein besseres Ergebnis erzielt. Mit so einem Absturz haben wir allerdings nicht gerechnet, deshalb war in den letzten Wochen schon viel Enttäuschung zu spüren. Trotzdem gibt es einen engen Zusammenhalt in der Union-Familie, das Stadion war ja auch zuletzt immer ausverkauft. Wenn jemand vielleicht wegbleibt, sind natürlich inzwischen viele andere da, die die Karte nehmen. Selbst nach den ganzen Heimpleiten haben die Fans „Eisern Union!“ und „Weiterkämpfen!“ skandiert.

Im Interview: Torsten Eisenbeiser

60, hat 2003 gemeinsam mit seinem Fanklub das Union-Weihnachtssingen ins Leben gerufen. Eisenbeiser ist in Ostberlin aufgewachsen. Sein erstes Union-Spiel sah er 1969.

Das war 2003 anders?

Wir sind damals viel mehr mit hängenden Köpfen aus dem Stadion getrottet. Deshalb hatte ich auch den Gedanken: Was macht man jetzt eigentlich mit der Situation? Ich habe dann gesagt, wir müssten uns noch mal treffen vor dem Weihnachtsfest. Das Problem war, dass es noch nicht diese Vernetzung durch das Internet gab, mit Fanforen, Facebook-Gruppen oder Sprachnachrichten auf die Schnelle. Wir konnten uns also nicht fix untereinander austauschen. In gewisser Hinsicht war die Fanszene etwas anonymer. Man stand zwar immer mit den gleichen Gesichtern beiein­ander, aber man kannte nicht so die Namen, wusste nicht, aus welchen Ecken die anderen Fans kamen. Nur durch Mundpropaganda und Telefonanrufe haben wir dann rumerzählt, dass wir noch mal zusammenkommen wollen, einen Glühwein trinken, ein paar Worte miteinander reden und uns ins Weihnachtsfest verabschieden.

Sie haben dann Mitglieder des Fanklubs „Alt-Unioner“ zusammengetrommelt und sind ins Stadion eingedrungen?

Wir waren 89 Leute und sind irgendwie ins Stadion, das noch alt und marode war. Mit Hilfe des Internets hatte ich ein paar Liedzettel zusammengestellt. Die Suche gestaltete sich noch etwas mühseliger als heute. Ich habe ein Lied eingegeben, dass mir einfiel, dann habe ich danach gesucht, es mühselig ausgedruckt, vergrößert und am Ende über einen Kopierer vervielfältigt. Mit den Zetteln sind wir am Tag vor Heiligabend um 19 Uhr zum Stadion An der Alten Försterei und haben uns so halb legal Zutritt verschafft. Da standen wir dann auf den kaputten Traversen, so auf Höhe Mittellinie, jeder mit einer Kerze in der Hand und sangen „O du Fröhliche“ und „Kling Glöckchen“.

Aus den 89 wurden mit den Jahren Zehntausende und wenn man es genau nimmt Hunderttausende, weil es jetzt auch woanders Weihnachtssingen im Fußballstadion gibt.

Ja, das hat eine Entwicklung genommen, die nicht vorhersehbar war.

Hatten Sie 2003 gleich die Hoffnung, dass es nicht das einzige Weihnachtssingen bleiben würde?

Am 23. Dezember nicht, aber am 24. merkte man schon, dass die Aktion Aufsehen erregte. In einigen Berliner Zeitungen gab es kleine Berichte und im noch in den Anfängen steckenden Internet tat sich auch einiges. Zwischen den Feiertagen haben wir telefoniert und eigentlich wurde dabei schnell klar, dass wir das Weihnachtssingen im nächsten Jahr wiederholen müssten. Irgendwer sagte: Mal sehen, wie es fällt. Aber ich meinte: Egal, wie es fällt, wenn, dann machen wir es wieder am 23. Dezember. Und so wurde es relativ schnell beschlossen.

Dreimal ist es seit 2003 ausgefallen …

… aber nur im Stadion. 2008 haben wir während des Stadionumbaus im Luisenhain vorm Rathaus Köpenick mit 7.500 Menschen gesungen. Und in der Coronazeit war das Stadion zweimal geschlossen, weshalb wir uns was anderes überlegt hatten.

Was denn?

Damals stellten sich ja viele auf ihren Balkon, um für die Pflegekräfte zu klatschen. Also hatten wir uns gefragt, warum sollen wir uns nicht auch jeder auf seinen Balkon stellen und am 23. Dezember Weihnachtslieder singen? Die Idee hat der Verein aufgenommen und dann wurden Liederbücher gedruckt, die man sich im Fanshop abholen konnte. Dafür musste man extra Einkaufsslots buchen. Das haben viele getan und sie bekamen dann eine Kerze, einen Weihnachtssingschal und ein Liederbuch.

Haben Sie auch zu Hause auf dem Balkon gesungen?

Wir haben 19 Uhr unterm Carport gesungen, das Auto rausgefahren und ein Glühweintöpfchen aufgesetzt. Ein paar Nachbarn waren auch dabei, natürlich auf Abstand.

Nächstes Jahr könnte wieder ein Ausweichort gesucht werden müssen, weil der erneute Stadionumbau in Köpenick ansteht, oder?

Na ja, wenn man sich die Planungs- und Bauphasen so anguckt, da gehe ich man eher von 2025 aus.

Union spielte in der Champions League im Olympiastadion und wird auch während der Erweiterung des Stadions An der Alten Försterei dorthin ausweichen. Würde Sie ein Weihnachtssingen mit über 70.000 Menschen reizen?

Nicht wirklich. Wir haben zwar zuletzt mal unseren Gedanken freien Lauf gelassen, weil wir in der Champions League dort spielten, und da meinte ich, mit dem Innenraum würde man wohl mehr als 70.000 Besucher haben. Theoretisch hätte man das dieses Jahr machen können, aber es war ja nicht notwendig, weil unser Zuhause, die Alte Försterei, frei ist. In zwei Jahren sieht die Sache vielleicht anders aus und dann muss man sehen, wohin man dann ausweicht. Aber das ist noch weit weg.

Mittlerweile ist das Weihnachtssingen im ganzen Land verbreitet. In Köpenick singen nur die Fans, in anderen Stadien auch prominente Künstler. Wie finden Sie das?

Die lassen sich woanders halt eher berauschen und zahlen Eintritt, als wenn sie ins Theater gehen. Mich stört das nicht. Ob da nun eine Band oder ein Freizeitchor singt, muss jeder Verein für sich entscheiden. Ich finde es nur schade, dass sie sich nicht trauen, es am 23. zu machen, was ich charmanter fände. Im seltensten Fall findet dann ja ein Bundesligaspiel statt.

Wurden Sie als Erfinder mal zu einem Weihnachtssingen woanders eingeladen oder um Rat gefragt?

Ich wurde mehrmals um Rat gefragt, in Köln, in Oberhausen, auch in Österreich. In Oberhausen haben sie dann irgendwann in den Nullerjahren auch ein Weihnachtssingen veranstaltet mit einem Streichorchester, aber das war wohl ein Reinfall. Sie hatten es zwei Stunden nach einem Spiel durchgeführt, wo die Leute ja oft schon einige Bier intus haben. Da war ich schon skeptisch. Nach Köln wurde ich auch mal eingeladen, aber das ging zeitlich nicht. 2019 sollte ich mal ein Weihnachtssingen beim thüringischen Verein Kali Werra Tiefenort organisieren. Das fiel dann aber auch wegen Corona aus. Inzwischen bin ich jedoch Dauerkarteninhaber bei dem Verein.

Wie blicken Sie heute auf Ihre Erfindung?

Sie passierte damals einfach so, es war fast wie eine Gabe. Ich habe die Mitorganisation des Weihnachtssingens inzwischen abgegeben. Letztes Jahr war ich als reiner Besucher da und bin zum ersten Mal im Leben durch den Gästeblock ins Stadion gegangen. Ich bin eine halbe Stunde vor Beginn durchs Stadion geschlendert, um mal zu spüren, was eigentlich aus meinem Ursprungsgedanken entstanden ist.

Und wie war das?

Ich habe laut vor mich hingemurmelt: Was wollen die eigentlich alle hier? Mein Schwiegersohn, der mich begleitete, sagte: Torsten, die sind alle wegen dir hier. Du hast das angezettelt. Da hatte er nicht ganz unrecht.

Inzwischen kommen auch viele Gäste von außerhalb, es scheint fast eine Touristenattraktion, oder?

Es stimmt, es kommen sogar viele internationale Gäste. Selbst der Botschafter von Schweden war mal da. Oder einmal kam ein evangelischer Bischof aus Dresden angereist, der lief ganz normal mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken durch die Reihen. Auch Union-Spieler waren unter den Besuchern, so wie Christian Stuff mit seinen Kindern.

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten in Bezug auf Union?

Dass die Mannschaft sich ­entspannen kann, über die Feiertage Kraft sammelt und Anfang Januar wieder mit freiem Kopf Vollgas gibt.

Vor 20 Jahren gelang der Klassenerhalt nicht. Ein böses Omen?

Nein. Wir sind zwar weit weg von der Form, die wir in den letzten drei Jahren hatten. Ich habe aber immer noch ein gutes Gefühl bei unserem Kader. Inzwischen wurde der Trainer ausgewechselt, was für uns allen weh tat. Wir hätten uns alle gefreut, wenn Urs Fischer noch da wäre. Aber vielleicht war es dann doch genau der richtige Punkt an der richtigen Stelle, um die Mannschaft wachzurütteln. Ich bin guter Hoffnung für den Klassenerhalt.

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