Wahlen in Serbien: Schmutzig, unfair und brutal

In Serbien finden am Sonntag vorgezogene Wahlen statt. Die Art des Wahlkampfes toppt alles bisher Dagewesene. Die Opposition ist nicht chancenlos.

Aleksandar Vučić geht an zwei serbischen Fahnen vorbei

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić Foto: Darko Vojinovic/ap

BELGRAD taz | Nur in einem sind sich die politischen Parteien einig: Es war die bisher schmutzigste Wahlkampagne und das will in Serbien schon etwas heißen. Die Brutalität und Kompromisslosigkeit der Wahlakteure verwundern niemanden, denn auf dem Spiel steht einiges, sogar die Gesamtmacht des omnipräsenten Staatspräsidenten Aleksandar Vučić, sagen Regimekritiker. Dabei steht er selbst gar nicht zur Wahl. Denn gewählt werden am kommenden Sonntag die Parlamente Serbiens, der Provinz Vojvodina und Belgrads und weiterer 65 Städte.

Dass diese Wahlen ohne erkennbaren Grund vorzeitig angesetzt wurden, überrascht ebenfalls niemanden: Serbiens Autokrat Vučić treibt sein Volk gern alle ein bis zwei Jahre an die Urnen. Der Populist muss immer wieder beweisen, wer der Herrscher im größten postjugoslawischen Staat ist.

So hält Vučić seine Mannschaft auf Trab, schließt die Reihen in seiner, für serbische Verhältnisse überdimensionalen Serbischen Fortschrittspartei (SNS) mit über 750.000 Mitgliedern. Und er weist gestützt auf das Vertrauen des Volkes in seine Weisheit Vorwürfe wegen massiver Korruption zurück und stärkt so seine Position in Verhandlungen mit der EU, vor allem in Sachen Kosovo.

Da der Parteiapparat, jedes Parteimitglied und alle gleichgeschalteten Medien seit über einem Jahrzehnt für die Glorifizierung seiner Hoheit unterwegs sind, ist Vučićs Popularität größer als die der wegen Bereicherung der Parteibonzen und sonstiger korruptionsverdächtiger Schweinereien ziemlich unbeliebten SNS.

Selbst im abgelegensten Kaff

Deshalb heißt seine Wahlliste „Serbien darf nicht stehen bleiben – Aleksandar Vučić“. Der Staatschef führt höchstpersönlich und verfassungswidrig die Wahlkampagne auch in den abgelegensten Käffern an. Der Eindruck soll entstehen, dass die Wähler dem geliebten Präsidenten, nicht aber seiner verhassten Partei ihre Stimme geben. Vučić hat so die Latte hoch gehängt: Sollte die SNS die Parlamentswahlen verlieren, versprach er zurückzutreten.

Auch wenn die Opposition nur in Belgrad siegt, werden seine Tage gezählt sein: Die wirkliche Macht, das meiste Geld ist in der Hauptstadt. Dort hat die Opposition gute Chancen. Zum ersten Mal seit über zehn Jahren haben sich zehn Oppositionsparteien auf eine Koalition geeinigt. Serbien gegen die Gewalt (Srbija protiv nasilja) heißt sie, entstanden im Zuge der bürgerlichen Massenproteste nach zwei Amokläufen am 3. und 4. Mai 2023. Dabei waren 20 junge Menschen getötet worden.

Drei Trümpfe hat diese oppositionelle, prowestliche Koalition in der Hand: die soziale Misere, die viele Menschen wegen einer zweistelligen Inflation bedrückt; dass immer mehr Bürger nach so langer Zeit die Nase von Vučić voll haben und ihm nicht mehr vertrauen; und dass die Serben scheinbar aus einer allgemeinen Apathie gerissen wurden.

Zur Wahl steht noch ein Block rechts-patriotischer Parteien sowie die Sozialistische Partei Serbiens (Koalitionspartner der SNS). Von den insgesamt 18 Parteien werden viele nicht einmal die Dreiprozenthürde schaffen.

David gegen Goliath

Ein eventueller EU-Beitritt des Kandidaten Serbien spielt in der Kampagne keine Rolle, daran glaubt niemand mehr. Eine der Hauptparolen der Koalition Serbien gegen die Gewalt lautet „Entweder Serbien oder die Mafia“. Verflechtungen zwischen dem organisierten Verbrechen und Politikern sind kaum noch zu verschleiern. Doch es ist ein Kampf Davids gegen Goliath. Die Vučić-Koalition missbraucht für ihre Wahlzwecke alle staatlichen Ressourcen und sie kontrolliert alle Massenmedien.

Das Büro für Gesellschaftsforschung (Birodi) rechnete vor, dass Vučić allein im November 37 Prozent aller Informationsprogramme im Fernsehen besetzte, seine Regierung 21 Prozent, die SNS 10 Prozent, die Ministerpräsidentin 6 Prozent und Vučićs Koalitionspartner 3,2 Prozent – zusammen 77,2 Prozent. Über 88 Prozent der Beiträge über Vučić waren positiv.

Die Stimmung ist so angespannt, dass viele kritisch denkenden Serben glauben, Vučić werde eine Niederlage weder auf nationaler Ebene noch in Belgrad und der Vojvodina zulassen. So befürchtet die Juristin Sofija Mandić, die für die Opposition in der Wahlkommission sitzt, dass Bombendrohungen in Wahllokalen den Wahlprozess durcheinanderbringen könnten.

Der Professor an der Fakultät für Politikwissenschaften in Belgrad, Boban Stojanović, schließt selbst die Ausrufung eines Ausnahmezustandes nicht aus – sollten die Hochrechnungen nicht den Erwartungen Vučićs entsprechen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.