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die ortsbegehungEs brennt die Flamme der Revolution

Das sozialistische Kunstwerk in Halle (Saale) hat den Herbst 1989 und die Nachwendezeit überlebt. Nur seine Farbe hat es gewechselt, sein Rot ist farbigen Kästchen gewichen

Einst war die Flamme der Revolution sozialistisch rot Illustration: Jeong Hwa Min

Aus Halle (Saale) Amira Klute

Leise schneit es vor sich hin an diesem Dezembertag in Halle an der Saale. Die Flamme der Revolution ist schon halb zugedeckt. Ihre Betonwände drehen sich einigermaßen elegant aus dem wattigen Weiß, unten ausladend, dann sich verjüngend, gen Himmel.

Um die Spitze zu sehen, muss man den Kopf in den Nacken legen. Ganz oben hat die Flamme Grünspan angesetzt. Das Grün hebt sich vor den Wolken ab und passt gar nicht schlecht zum Anstrich des Monuments aus gelben, orange und weißen Kästchen, mit dem es ein bisschen aussieht wie die Corporate Identity einer Bank oder einer Versicherung.

Im Schatten der Flamme stapfen Menschen in Mänteln, Mützen und Schals durch den Schnee. Die Flamme beachten sie nicht. „Die steht hier halt“, sagt eine Frau mit Einkaufstüten auf Nachfrage, ohne aufzublicken, und geht weiter.

Wenn man direkt an der „Fahne“, wie das Monument von Ortskundigen nur genannt wird, vorbei will, muss man sich zwischen ihr und einem beigefarbenen Neubau durchzwängen. Den gibt es seit den 1990ern und er rückt ihr ganz schön auf die Pelle. Aktuell beherbergt er unter anderem eine Bank, ein Fitnessstudio und eine Anlaufstelle der städtischen Streetwork.

Ein rauchender Sozialarbeiter verbringt seine Mittagspause unter der Fahne. Er ist nicht in Halle geboren, aber hat hier als Jugendlicher die Wende erlebt. „Ist Geschichte“ ist alles, was er zur Fahne zu sagen hat. Dafür legt er hilfsbereit mit dem Fuß eine von Schnee und Eis verdeckte Plakette frei.

Dann ist zu lesen: „Das Denkmal ‚Flamme der Revolution‘ wurde 1967 zum 50. Jubiläum der russischen Revolution …“. Der Rest ist bis zur Unlesbarkeit zerkratzt. Wer macht so was, Antikommunist*innen? „Oder welche, die kein Bock auf Diktatur haben“, sagt der Sozialarbeiter, drückt die Zigarette im Schnee aus und geht zurück zur Arbeit.

Früher war die Flamme rot

Gegenüber dem Neubau befindet sich der Eingang zu einem unterirdischen Parkhaus. Im Grunde ist die Flamme umzingelt, manche sagen: entschärft, zumindest ziemlich in die Ecke gestellt.

Das war nicht immer so. Errichtet wurde sie als Mittelpunkt des ziemlich zentral gelegenen Platzes, auf dem Paraden und Feste stattfanden und zu dem eine Tribüne gehörte mit der Aufschrift „Unser Leben erhalten und es schöner gestalten“. In Halleschen Trödelläden findet man Postkarten, auf denen das gut zu sehen ist.

Damals war die Flamme noch rot und zwar richtig. Das heißt, unmissverständlich sozialistisch rot. So hatte man sie noch in den 1960ern auf Anordnung der Partei gestrichen. Davor war die Flamme nämlich für kurze Zeit etwas dynamischer helldunkelrot gemustert gewesen.

Geplant war das ursprünglich alles ganz anders. Im Entwurf des Monuments von Siegbert Fliegel, dem Chefarchitekten der damals entstehenden Planstadt Halle-Neustadt, war die Fahne weiß.

Vielleicht hätte Weiß zu viel Interpretationsspielraum geboten. Zumindest ist es nicht gerade pflegeleicht, ein Fleck fällt sofort auf. Der rote Anstrich war aber auch nicht über ästhetische Zweifel erhaben, er verblasste im Laufe der folgenden Jahre. Einige Be­ob­ach­te­r*in­nen sahen darin das sich unfreiwillig spiegelnde Verblassen der sozialistischen Idee.

Doch die Fahne hat sich gehalten. Sie hat den Herbst 89 überlebt, als mehrere an ihr endende Demos eine bessere DDR forderten, die dann nie kam. Sie überlebte Jahre später auch einen Abrissantrag der FDP: Ein Unternehmen hatte sich schon bereit erklärt, die Kosten zu übernehmen.

nix wie hin

Die Besonderheit

Anders als viele andere sozialistische Denkmäler steht die Fahne noch. Die ebenfalls von Siegbert Fliegel entworfenen meterhohen „Fäuste der revolutionären Arbeiterbewegung“ am Riebeckplatz wurden dagegen 2003 abgerissen.

Die Zielgruppe

Alle, die nach dem ausgerufenen Ende der Geschichte auf den Spuren der Vergangenheit wandern und zwischendurch gerne einen guten Cappuccino trinken. Nebenan liegt eine Kaffeerösterei, die den Platz vor der Fahne je nach Windrichtung in Kaffeeduft hüllt.

Hindernisse auf dem Weg

Halle (Saale) hat 2023 den Wettlauf um den Standort für ein „Zukunftszentrum Deutsche Einheit“ gewonnen. Das soll 2028 fertig sein. Die Stadt hofft auf Millionen zusätzlicher Tou­ris­t*in­nen, die den Blick auf die Fahne verstellen könnten.

Statt abzureißen, schrieb die Stadt Halle einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Monuments aus, das zu einer Fläche für Graffiti geworden war. Gewonnen hat 2004 der Künstler, der für den immer noch sichtbaren Kästchenanstrich verantwortlich ist. Dieser soll eine Art Milchstraße oder Sternennebel symbolisieren „und auf noch unbeschrittene Wege verweisen“, wie er damals erklärte.

Das Schicksal der Verlierer

An dem Tag im Dezember beschreitet ein mittelaltes Paar den von Neuschnee bedeckten Weg zum Parkhaus. Dass die Fahne noch steht, finden sie richtig. „Man kann nicht alles aus der Vergangenheit wegreißen“, sagt die Frau. „Das Muster ist scheiße, rot war schöner“, sagt der Mann. Das sei eben das Schicksal der Verlierer, sagt die Frau, hakt sich beim Mann unter und steuert mit ihm den Aufzug an, der runter ins Parkhaus fährt.

Die beiden laufen vorbei an der Flamme, die mit Kästchen zwar scheiße aussieht, aber noch steht. Sie war mal rot, weiß sollte sie werden und weiß wird sie an diesem Tag langsam vom Schnee.

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