Auto-Attacke von Henstedt-Ulzburg: Die politische Dimension der Tat

Vor drei Jahren lenkte Melvin S. einen Pick-up in eine Gruppe, die gegen die AfD demonstrierte. Ein Bündnis begleitete den Prozess – mit einem Ziel.

Eine Frauen-Figur mit einem Pick-Up unter dem Arm und einem Schild mit der Aufschrift "Rechte nichts steuern lassen" wird in der Demonstration geschoben.

Nach der Auto-Attacke in Henstedt-Ulzburg forderte ein Bündnis, den politischen Hintergrund der Tat aufzuarbeiten Foto: Jonas Walzberg/dpa

HAMBURG taz | Kein Prozesstag ohne Kundgebung, das haben sie bis zur Urteilsverkündung durchgezogen: Am Donnerstag fanden sich rund 50 Unterstützer vom „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“ neben dem Landgericht Kiel ein, wo der Prozess gegen Melvin S. mit einem Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerem Eingriff in den Straßenverkehr zu Ende ging. Den Unterstützern ging es vor allem darum, dass die politische Dimension der Tat nicht unter den Tisch fällt.

Mehr als drei Jahre ist es her, dass S. seinen Pick-up am Rande einer AfD-Veranstaltung im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg in die Gegendemonstranten lenkte und vier Menschen verletzte. Genauso lang organisierte der Unterstützerkreis regelmäßig Kundgebungen, recherchierte die politischen Hintergründe des Attentäters, trat den Ermittlungsbehörden auf die Füße, berichtete über den Prozess und stand den vier Betroffenen bei. „Wir wollten sie nicht nur mit ihren körperlichen Schmerzen nicht alleine lassen“, sagt Martin Meyer vom „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“. Sie wollten sie auch dabei unterstützen, die politische Dimension der Tat ans Licht zu bringen.

Denn kurz nach der Tat am 17. Oktober 2020 war in einer Pressemitteilung der Polizei nämlich zunächst von einem „Verkehrsunfall“ und nicht von einem Angriff mit einem schweren Fahrzeug die Rede. Das stand im Widerspruch zu den Aussagen der Zeugen, die von einem gezielten Angriff sprachen. Zwei der bei dem Angriff verletzten Männer gingen an die Öffentlichkeit, schilderten ihre Sicht in einem Gespräch mit der taz – die Gefährlichkeit der Tat und der politische Hintergrund von Melvin S. waren in der Welt und von einem „Verkehrsunfall“ konnte nicht mehr gesprochen werden.

Die Betroffenen hatten sich den Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen und damit auch die Polizei zu kritisieren, genau überlegt und sich auch mit Mitgliedern des Unterstützerkreises besprochen. Sie befürchteten, dass der politische Hintergrund der Tat ausgeblendet bliebe. Keine unbegründete Sorge, immer wieder müssten Opfer von rechter Gewalt vor Gerichten den politischen Hintergrund selbst thematisieren, sagt Meyer.

Martin Meyer, „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“

„Wir wollten sie nicht nur mit ihren körperlichen Schmerzen nicht alleine lassen“

Die Mitglieder des Bündnisses recherchierten dann auch selbst die politischen Hintergründe von Melvin S. – seine Mitgliedschaft in der AfD und seine tiefe Verstrickung ins rechtsextreme Milieu wurden offenbar. Mit ihren Recherchen untermauerten sie letztlich auch die Argumentation der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren und halfen den Betroffenen, ihr Anliegen vor Gericht durchzusetzen.

„Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“ begleitete den Prozess

„Es ist uns wichtig, solidarisch an der Seite der Betroffenen zu stehen und sie insbesondere bei ihren Aussagen nicht allein zu lassen“, sagt Sonja Petersen vom „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“. Eine Gefahr, der sich antifaschistische Unterstützerkreise wie der in Henstedt-Ulzburg bei solchen Prozessbegleitungen allerdings immer aussetzen, ist, dass die politische Intention die persönlichen Interessen der Betroffenen überlagern und die Opfer selbst instrumentalisiert werden. „Ja, diese Gefahr besteht, wir haben immer wieder alles genau besprochen, wer will und kann wie weit gehen, welche Aktion, welche Kampagne wären möglich“, sagt Meyer.

Und sie organisierten viel, um an die Tat zu erinnern. Vor dem Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg richteten sie eine Flugblattaktion aus, riefen zu Solidaritätsbekundungen auf und berichteten bei antifaschistischen Veranstaltungen über den Prozess, waren auch in Spanien und Frankreich, um aufzuklären. In Pressemitteilungen wies das Bündnis aus ehrenamtlich Engagierten auch auf die lange ausbleibende Anklage hin. Erst im Juni 2021 legte die Staatsanwaltschaft die Anklage vor. Im Juli 2023 startet dann erst der Prozess.

Die Bündnismitglieder informierten via sozialer Medien und Pressemitteilungen über die Verhandlung. Bei dem Konzert des Rappers Danger Dan vor der Hamburger Roten Flora sprach eine der Betroffenen darüber, dass der Angriff sie in „erster Linie als Schwarze Frau und dann erst als Antifaschistin getroffen“ habe. Dem Bündnis dürfte zu verdanken sein, dass dieser rechtsextreme Angriff bundesweit als solch eine Tat publik wurde.

Unterstützung für die Opfer rechter Gewalt

Felix Zimmermann vom Kieler Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) lobte die Arbeit des Bündnisses als gutes Beispiel für die Unterstützung von Opfern rechter Gewalt. „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen“, sagte er.

Und nun? „Wir kümmern uns weiter“, sagt Martin Meyer vom Bündnis und deutet an, dass es möglicherweise darum gehen wird, die Kritik daran zu intensivieren, dass die AfD weiterhin ständig das Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg nutzt.

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