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Symbol der weiblichen EmanzipationDiese Kriegerin hat die Ruhe weg

Die „Amazone zu Pferde“ im Berliner Park Großer Tiergarten war mal Kaisers Liebling. Die Bronzeplastik lädt auch im Winter zu einem Besuch ein.

Die „Amazone zu Pferde“ im Tiergarten lädt zu Kontemplation ein Illustration: Jeong Hwa Min

Berlin taz | Schneeflocken liegen auf der entblößten rechten Brust; die linke ist von einer Tunika bedeckt, die bis zum Knie reicht. Barfuß und aufrecht sitzt die Frau auf einem Pferd – die Bronzeplastik steht im südöstlichen Teil des Großen Tiergartens, einem Park im Berliner Bezirk Mitte, im Zentrum des runden Floraplatzes. In der rechten Hand hält die „Amazone zu Pferde“ eine Streitaxt, die linke Hand ruht auf dem Tier – eine zeitlose Kriegerin.

Ihre Geschichte wird auf einer Tafel erläutert: Bei der 5,50 Meter hohen, überlebensgroßen Plastik handelt es sich um einen vergrößerten Nachguss der lebensgroßen „Amazone zu Pferde“, die vor dem Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin-Mitte steht.

„Flora“ musste der Amazone weichen

Der deutsche Bildhauer Louis Tuaillon präsentierte die Figur auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1895 und soll damit eine Sensation ausgelöst haben: Kaiser Wilhelm II. beauftragte ihn daraufhin, eine Kopie der Amazone für den Tiergarten zu schaffen. Die barocke Plastik der Blumengöttin „Flora“, die dort seit 1796 stand und den Platz ihren Namen gab, wurde 1906 von dieser Amazonen-Kopie ersetzt.

nix wie hin

Die Besonderheit

Seit 1906 steht die „Amazone zu Pferd” des Bildhauers Louis Tuaillon (1862–1919) im Berliner Park Großer Tiergarten. Sie überlebte Kriege, Loveparades und Baustellen. Obwohl Amazonen Kriegerinnen sind, strahlt die Bronzeplastik Ruhe aus.

Die Zielgruppe

Kunststudent*innen, Künstler*innen und Kunstinteressierte. Genauso kann sie für Betrachter*innen, die sie zufällig beim Spaziergang im Park entdecken, interessant sein – und für Louis-Tuaillon-Fans, falls es sie gibt.

Hindernisse auf dem Weg

Die Verlängerung der U-Bahnlinie U5 kam der Amazone an der Alten Nationalgalerie zugute; die Museumsinsel ist gut erreichbar. Die Wege zur Tiergarten-Amazone sind beim Schnee teilweise nicht gestreut. Und der Tiergarten hat den Ruf, mit Einbruch der Dunkelheit gefährlich zu sein.

An diesem Nachmittag, über hundert Jahre später, schneit es bei Minusgraden, es dämmert bereits. Auf dem Floraplatz stört der Verkehrslärm der vielbefahrenen Straße des 17. Junis und der Bundesstraße 96. Ohne diese Störgeräusche ließe sich stattdessen das Schneeknistern hören, das die wenigen Jogger*innen, Rad­fah­re­r*in­nen und dick angezogenen Spa­zier­gän­ge­r*in­nen verursachen.

Könnte die Amazone sehen, würde sie von ihrem Muschelkalksockel herab das Brandenburger Tor erblicken können. Ihre Miene wirkt friedlich, als würde sie den Horizont betrachten. Die hat die Ruhe weg. Ihre entspannte Körperhaltung deutet auf keine Gefahr hin, jedoch scheint sie auf etwas zu warten …

Vielleicht sehnt sie sich nach dem Sommer, wenn das Stadtleben auch auf dem Floraplatz stattfindet – oder besser gesagt an ihr vorbeizieht in Form von Christopher Street Day, Demonstrationen jeglicher Couleur und Marathonveranstaltungen, Partys und Picknicks … Um die Ecke treffen sich schwule Männer zu anonymen Sexdates im Freien. Die „Amazone zu Pferde“ soll auch ein Treffpunkt für lesbisches Cruising sein. Ohnehin stehen Amazonen als Symbol der weiblichen Emanzipation; sie leben in einer idealen Welt, ganz ohne Männer.

Des Kaisers Tierliebe

In zwei Halbkreisen um die Bronzeplastik herum verteilt, leisten ihr zwei Hirsche, ein Stier, zwei Elche, zwei Bisons und ein Bär Gesellschaft. Die lebensgroßen Bronzefiguren auf Granitsockeln wurden hier bereits im Jahr 1900 platziert, also noch bevor die Amazonen-Kopie hier Stellung bezog. Auch die Tierplastiken gingen auf einen Wunsch von Wilhelm II. zurück, der angeblich die Jagd liebte. Bildhauer Rudolf Siemering hatte diese ursprünglich 1897 für das George-Washington-Denkmal in Philadelphia (USA) angefertigt. Nachdem der Kaiser aber die Gipsmodelle der Tierfiguren in Siemerings Atelier sah, wurden Nachgüsse für den Floraplatz bestellt.

Die Tierplastiken wurden während des Zweiten Weltkrieges stark beschädigt und an anderen Ecken im Park aufgestellt. Bär und Stier gingen zwischen 1949 und 1951 gänzlich verloren, vermutlich wurden sie von Metalldieben geklaut und eingeschmolzen. Die Amazone aber überstand den Krieg fast ohne Schaden.

Endlich wiedervereinigt

Erst 2020 wurde der Platz so rekonstruiert, wie er 1900 ausgesehen hat – dank eines Projektes der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, des Landesdenkmalamtes und der Unteren Denkmalschutzbehörde Mitte. Bisons, Hirsche und Elche wurden in Werkstätten restauriert. Stier und Bär nachgegossen. Nach langer Trennung und Kosten in Höhe von 450.000 Euro wurden 75 Jahre nach dem Ende des Krieges Amazone und Tiere wiedervereinigt.

Und auch wenn im Sommer Kinder auf den Tierfiguren herumklettern und Tou­ris­t*in­nen davor für ihre Selfies posieren, bleiben sie an einem winterlichen Abend wie diesen unbeachtet.

Ach ja, und die originale „Amazone zu Pferd“ auf der Museumsinsel? Die scheint ebenfalls kaum Aufmerksamkeit zu erregen, auch wenn sie gelegentlich zum Fotomotiv wird. Sie schaut Richtung Spree und Fernsehturm. Ihr Augenausdruck wirkt wacher, als der ihrer Nachbildung im Tiergarten.

Vielleicht, weil es vor dem Museumseingang, hoch über den Stufen, noch eine dritte „Amazone zu Pferde“ gibt, die von August Kiss stammt, eine kämpferische: Mit einem Speer in der Hand scheint sie an einer Schlacht teilzunehmen.

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