Schlafen in der Bauhaus-Stadt Dessau: Eine Nacht im Weltkulturerbe

Hier hat das Zimmer keinen Fernseher und kein WLAN, die Toilette ist auf dem Flur. Dafür schläft man aber im Dessauer Bauhaus stilecht historisch.

Illustration eines Zimmers mit Bett und Schränken

Alles formschön, sachlich und bauhausschlicht: Übernachten im Welt­kulturerbe Illustration: Jeong Hwa Min

DESSAU taz | Delitzsch, Bitter­feld, Wolfen: Ich klemme im Regionalexpress zwischen Schüler*innen, Chips­tüten, Rucksäcken. Tief hängen Regenwolken über den Elbauen, über Schafherden und Chemieparks. In Dessau steige ich aus, gehe die Bauhausstraße entlang. Vorbei am Campus der Hochschule Anhalt, an rau verputzten Wohnhäusern mit Zahnarztpraxen und Ferienwohnungen. Da hinten funkelt sie, die gläserne Fassade des Bauhauses. 1925 von Walter Gropius entworfen, 1925 bis 1926 erbaut.

Noch immer ist der Himmel grau, aber Wetter und Welt fühlen sich plötzlich viel leichter an. Hier, wo Marcel Breuer seine ikonischen Stahlrohrmöbel entwarf und Marianne Brandt ihre legendären Pendelleuchten. Hier, im Ate­lier­gebäude, werde ich übernachten. Historisch und puristisch: Ohne Fernseher, ohne WLAN, ohne Minibar. Und, so informiert die Webseite, „mit Etagendusche und Etagen-WC wie zu Bauhauszeiten“. Ich freue mich wie verrückt. Seit Monaten habe ich es geplant: „Wohnen im Weltkulturerbe – Schlafen wie die Bauhäusler*innen.“

Die Besonderheit

Seit 1996 gehören das Bauhausgebäude und die Meisterhäuser zum Unesco-Weltkulturerbe. Stilechter als im Atelierhaus kann man in Dessau nicht übernachten. Einzelzimmer pro Nacht: 55 Euro.

Die Zielgruppe

Im Bauhaus trifft man Architekturstudent*innen, designaffine Bildungs­bürger*innen und Kleingruppen mit Kulturanspruch genauso wie Elbe-Weg-Radler*innen. Die Be­su­cher*innen kommen „tatsächlich von überall her“, heißt es auf Nachfrage.

Hindernisse auf dem Weg

Es gibt im Atelierhaus keinen Aufzug und eine „Barriere­freiheit kann aufgrund des Denkmalschutzes leider nicht gewährleistet werden“, informiert die Webseite. Zudem sollte man rechtzeitig buchen: Vor allem im Sommer sind die insgesamt 28 Zimmer schnell belegt.

Weiße Wände, bauhausschlicht

Im Designshop – Zitate-Postkarten, Magnete, Klee-Schals und Detox-Kochbücher – bekomme ich meinen Schlüssel. Das vierte, oberste Geschoss des Atelierhauses war einst den angehenden Architekten vorbehalten. Heute gehört es mir – und ein paar anderen Gästen, denen ich jedoch nicht begegnen werde. Glastüren, ein schmaler Gang, eine Teeküche, daneben mein Zimmer.

Ich öffne die Tür und bin im Glück. Noch nie war rotes Linoleum so behaglich. Noch war sein Geruch, der sonst die Erinnerung an schier endlose Schultage assoziiert, so warm und wohlig. Mein Zimmer: ein etwa 20 Quadratmeter großer, heller Raum mit Bett, Waschbecken, einem grau-gelben Sideboard, zwei Freischwingern, einem roten Schreibtisch, zwei schwarzen Lampen. Leere weiße Wände. Alles ist formschön, sachlich und bauhausschlicht.

Gegenüber der Tür ein riesiges Atelierfenster. Da reißt die Wolkendecke auf und die Sonne wirft ein Schattengitter an die Wand. Ein Gänsehautmoment aus Stahl, Glas und Beton. Einfache geometrische Formen. Minimalismus! Kunst! Die Balkontür klemmt. Ich wage einen halben Schritt auf das freischwebende Halbrund, dessen historisches Geländer kaum übers Knie reicht. Zwischen Herbstlaub und Himmel blicke ich über Dessau, eine „shrinking city“, die keine 90.000 Ein­woh­ne­r*in­nen mehr zählt.

Der Bühnenturm des 1938 eröffneten Anhaltischen Theater ragt aus der Stadtsilhouette, ein Kirchturm, ein Kran und immer wieder Plattenbauten. Mit einem Durchschnittsalter von 50,6 Jahren ist Dessau rekordverdächtig überaltert, lese ich später und auch, dass die Stadt von manchen „Depressau“ genannt wird. Das Umweltbundesamt hat hier seinen Sitz. Außerdem: das Technikmuseum Hugo Junkers, das klassizistische Schloss Georgium und das Gartenreich Dessau-Wörlitz, eine Parkanlage, die zu den schönsten der Welt zählen soll.

Schöner als das Bauhaus­ensemble kann sie nicht sein. Schon gar nicht schöner als die Siedlung der Meisterhäuser, die ich im golden aufschimmernden Herbstlicht besuche. Ist das noch Sachsen-Anhalt oder schon Südfrankreich? Zart tanzen die Schatten der Kiefern über die weiß verputzten Fassaden. „Weiß als Farbe der Ruhe und Reinheit“, erklärt Ellie. Der Impuls von Gropius.

Ellie leitet eine der Führungen. Ihre Stimme ist eindringlich, ihre Expertise unerschütterlich. Ein todesmutiger Teilnehmer fordert sie dennoch zum Wissensduell rund um die unterschiedlichen Verarbeitungen des B 3, B 9, den B 55 und den S 32 N. Eine Art „Schiffe versenken“ mit Marcel-Breuer-Entwürfen.

Alles Bauhaus bis zum Salat

Kaum lieblich ist das Stadt­zen­trum. Immerhin: Zwischen Rathaus-Center und Marienkirche laufe ich Dieter Hallervorden – ein Kind der Stadt – über den Weg, der die Kirche seit gut einem Jahr als Theaterspielstätte belebt. Zum Abendessen bestelle ich in einem Res­tau­rant einen „Bauhaus-Salat“. Warum der so heiße, frage ich den Kellner völlig gropiusverstrahlt und heimlich auf einen kulinarischen Design-Sinn hoffend. Nachdenklich betrachtet der Kellner den Teller. „Der Käse fehlt noch“, murmelt er und verschwindet in der Küche.

Zurück im Atelierhaus schlüpfe ich unter mein Bettlaken, ziehe die kuschelige Wolldecke bis ans Kinn. Aus dem Nachbarzimmer dröhnt lautes Schnarchen. Egal. Hier ist es wunderherrlich. Ich schlafe kurz und tief. Am nächsten Morgen wirft das Atelierfenster erneut seinen Schatten an die Wand. Da ist er wieder: Der Gänsehautmoment aus Stahl, Glas und Beton. Einfache geometrische Formen. Minimalismus! Kunst! Beseelt starte ich in den Tag, mit einer Dusche im Etagenbad.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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