Neuer Bericht zu Explosion in Gaza: Alles deutet auf eine Rakete hin
Human Rights Watch hat einen Untersuchungsbericht zur Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza veröffentlicht. Doch auch der ist nicht ganz eindeutig.
Es war wohl eine fehlgeleitete Rakete, die am 17. Oktober auf dem Parkplatz des Al-Ahli-Krankenhauses in Gaza einschlug. Dies legt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem neuen Bericht nahe. Sie betont jedoch, dass es eine weitere umfassende Untersuchung benötige, etwa durch die Vereinten Nationen, um festzustellen, „was passiert ist und wer verantwortlich ist“.
Die Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus war ein neuralgischer Punkt in der öffentlichen Diskussion über den Krieg zwischen Israel und der Hamas. Die Frontenbildung in den sozialen Medien verschärfte sich mit der Tragödie noch weiter. Die Hamas machte Israel für die Explosion verantwortlich, das Gesundheitsministerium in Gaza sprach von 471 Toten und 342 Verletzten.
Israel beeilte sich, mithilfe von Videos und Audioaufnahmen zu belegen, dass nicht Israel das Krankenhaus bombardiert hatte, sondern eine fehlgeleitete Rakete des Islamischen Dschihad den Krater in den Parkplatz am Krankenhaus geschlagen und die Menschen getötet habe.
Die Zahl der Toten und Verletzten lässt sich, wie überhaupt in diesem Krieg, nicht unabhängig bestätigen. Schätzungen aus US-amerikanischen Geheimdienstkreisen gehen von 100 bis 300 Toten bei der Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus aus.
Das Konzept der Wahrheit
Die Veröffentlichung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu den Ereignissen am Krankenhaus reiht sich ein in die Versuche von Zeitungen wie der New York Times und der Washington Post sowie der Rechercheagentur Forensic Architecture, das Konzept Wahrheit durch diese Zeit zu retten. Human Rights Watch stützt sich mit ihrer Untersuchung auf Zeugenaussagen, Foto- und Videomaterial, Analysen von Satellitenbildern und Interviews mit Expert*innen.
Ihre Schlussfolgerungen: Die Geräusche, die der Explosion vorausgingen, der Feuerball, der sie begleitete, die Größe des entstandenen Kraters sowie die Art und das Muster der Fragmentierung, die um den Krater herum sichtbar waren, deuteten alle auf den Einschlag einer Rakete hin. Eine große, aus der Luft abgeworfene Bombe, wie sie Israel in Gaza häufig einsetzt, scheint höchst unwahrscheinlich.
Eine unabhängige Untersuchung sei laut Human Rights Watch besonders wichtig auch vor dem Hintergrund, dass sowohl die israelischen als auch die palästinensischen Behörden seit Jahrzehnten versäumen, mutmaßliche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht „glaubwürdig und unparteiisch“ zu untersuchen.
Die Organisation verweist zudem darauf, dass die Behörden des Gazastreifens im Besitz von Überresten zu sein scheinen, die eine eindeutige Bestimmung der am Al-Ahli-Krankenhaus explodierten Munition ermöglichen würde.
Plötzlich in Wasser aufgelöst
Kurz nach der Explosion sagte ein Vertreter der Hamas, dass die Überreste „bald der Welt gezeigt werden“. Doch am 22. Oktober sagte der ranghohe Hamas-Führer Ghazi Hamad gegenüber den Medien, dass sich „die Rakete aufgelöst hat wie Salz im Wasser“. Laut Human Rights Watch aber überleben wesentliche Teile der Munition in der Regel eine Detonation.
Das israelische Militär ist wiederum wegen eines Videos in die Kritik geraten, das ursprünglich der arabische Fernsehsender Al Jazeera ausgestrahlt hatte. Es zeigt ein Projektil, das durch den Nachthimmel über Gaza fliegt und in der Luft explodiert. Wenige Augenblicke später sieht man eine weitere Explosion am Boden.
Das israelische Militär streute das Video breit in den sozialen Medien als Beweis für seine Theorie, dass eine fehlgeleitete Rakete des Islamischen Dschihad für die Explosion am Krankenhaus verantwortlich gewesen sei.
Die New York Times nahm dieses Video daraufhin mithilfe von Analysen unter die Lupe und kam am 24. Oktober zu dem Schluss, dass die Rakete, die dort zu sehen ist, „höchstwahrscheinlich nicht die Ursache für die Explosion im Krankenhaus“ war. Diese sei etwa zwei Kilometer vom Krankenhaus entfernt am Himmel detoniert. Die Zeitung betont, dass die Ergebnisse ihrer Untersuchung des Videos keinen Aufschluss darüber geben, wer für die Explosion verantwortlich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Krise der Ampel
Lindner spielt das Angsthasenspiel