Krise um den Bundeshaushalt: „Demokratie leben!“ ausgebremst

Die Haushaltslage bedroht die Demokratieförderung. Und damit Projekte, die sich gegen rechts, gegen Rassismus und Antisemitismus stellen.

Lisa Paus steht an einem Rednerpult

Lisa Paus zeigt sich zuversichtlich, dass das Programm wie geplant umgesetzt werden kann Foto: Janine Schmitz/photothek/imago

BERLIN taz | Die Mail des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) sollte beschwichtigen – und erreichte dann das genaue Gegenteil. In der vergangenen Woche bekamen Teil­neh­me­r:in­nen des Programms „Demokratie leben!“ Post mit Informationen darüber, wie sich die Haushaltskrise des Bundes auf das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auswirken könnte. Der bisherige Plan: Wie 2023 sollte das Programm auch 2024 mit rund 180 Millionen Euro ausgestattet werden.

Und die zuständige Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) verbreitet in internen Gesprächen Zuversicht, dass das Programm mit seinen mehreren tausend Einzelprojekten wie geplant umgesetzt werden soll. Aktuell aber – das wird aus dem Schreiben des BAFzA klar – gibt es viele Fragen und Vorbehalte. Neue Zahlungsverpflichtungen dürften derzeit nicht eingegangen werden, heißt es. Und: „Die Bewilligung neuer Projekte oder die Aufstockung bestehender Maßnahmen mit Auswirkung auf das Haushaltsjahr 2024“ seien „derzeit nicht möglich“.

Sollte der Haushalt in diesem Jahr nicht mehr beschlossen werden, werde es eine vorläufige Haushaltsführung geben, „die bekanntermaßen einige Besonderheiten mit sich bringen wird“. Detailfragen beugt die Behörde so vor: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Einzelanfragen derzeit nur schwer beantwortet werden können und mitunter etwas warten müssen.“

Unter den Pro­jekt­trä­ge­r:in­nen löste die Mail große Befürchtungen aus. Franz Zobel, Projektkoordinator der thüringischen Opferberatung ezra, sagte der taz, mindestens müsse es vom Ministerium die Zusage geben, dass „ein vorzeitiger Maßnahmenbeginn ausgestellt werden kann“. Im schlimmsten Fall drohe sonst, dass die Arbeit von ezra Anfang 2024 eingestellt werden müsse. Mehr als 200 Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt könnten dann nicht mehr unterstützt werden. Dies wäre angesichts eines drohenden AfD-Wahlgewinns bei der Landtagswahl 2024 in Thüringen „eine absolute Katastrophe“.

Lage in den Ländern „unübersichtlich“

Zwar werden einzelne Bundesländer wie Brandenburg möglicherweise die Haushaltsnöte des Bundes überbrücken und als Ko-Finanzierungspartner einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn bewilligen. Judith Porath vom Verein Opferperspektive, der sich in Brandenburg gegen Rassismus, Diskriminierung und rechte Gewalt einsetzt, sagt, die Situation in den Ländern sei „unübersichtlich“. In Sachsen-Anhalt ist sogar die Entlassung von Mit­ar­bei­te­r:in­nen in der Diskussion.

Sehenden Auges schlittere man auf einem Zusammenbruch der Strukturen zu, kritisiert Porath, die auch Vorständin im Bundesverband der unabhängigen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ist. Pascal Begrich, Geschäftsführer des Netzwerks Miteinander e. V. in Sachsen-Anhalt, sagte der taz, es handele sich um „eine Planungsunsicherheit und Gefährdung der Finanzierung wie seit Jahren nicht mehr“.

Das Programm „Demokratie leben!“ läuft seit 2015 – und steht unter Druck. Die AfD meint, es sei einseitig gegen Rechtsextremismus ausgerichtet, und fordert eine Streichung. Auch die Union verlangte zuletzt erhebliche Kürzungen. Ministerin Paus hatte im März erklärt, es seien keine Mittel des Programms missbräuchlich verwendet worden, „nur in Einzelfällen“ habe in Projekte eingegriffen werden müssen. Es sei absurd, „Menschen grundsätzlich zu misstrauen, die sich für unsere Demokratie einsetzen und dafür ein komplexes Antragsverfahren durchlaufen“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.