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Tarifverhandlungen bei der BVGWeil wir dich schinden

In den BVG-Tarifverhandlungen geht es vor allem um bessere Arbeitsbedingungen. Längst gefährdet der Personalmangel die Verkehrswende

Hat kaum was mit der Arbeitsrealität zu tun: Das BVG-Musical „Tarifzone Liebe“ Foto: Isa Foltin/Getty Images for BVG

Berlin taz | Der Forderungskatalog, den die Delegation der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Dienstagmorgen dem kommunalen Arbeitgeberverband übergeben hat, macht deutlich, dass die Arbeit bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) derzeit alles andere als ein Traumjob ist. Statt einfach nur mehr Lohn beinhaltet dieser vor allem Entlastungsmaßnahmen: Erhöhung der Ruhezeiten, mehr Urlaubstage, längere Pausen.

„Die BVG hat ein massives Personalproblem. Um dem Herr zu werden, müssen die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert werden“, fordert Verdi-Verhandlungsleiter Jeremy Arndt am Dienstag vor dem Büro des Arbeitgeberverbands.

Die Übergabe der Forderungen markiert den Auftakt für die Verhandlungen im Tarifvertrag Nahverkehr zwischen Verdi und der BVG. Zeitgleich finden auch in allen anderen Bundesländern Verhandlungen zwischen kommunalen Verkehrsbetrieben und Verdi statt. Der erste Verhandlungstermin in Berlin ist für den 24. Januar anberaumt.

Reichlich Konfliktpotenzial

Das Verkehrsunternehmen kommentierte den Forderungskatalog zunächst nicht und kündigte nur an, diesen prüfen zu wollen: „Wir freuen uns auf faire und konstruktive Verhandlungen“, heißt in einem Statement.

Der harmonische Ton der BVG kann allerdings nicht über das Konfliktpotenzial des Katalogs hinwegtäuschen. Forderungen, wie beispielsweise einen zusätzlichen Urlaubstag pro 100 Stunden Nachtschicht oder eine Erhöhung der Wendezeit von vier auf zehn Minuten klingen zunächst nicht besonders radikal. Doch jede Verringerung der Arbeitszeit stellt die BVG vor die Herausforderung, noch mehr Personal einzustellen. Das aber ist bereits jetzt kaum zu finden.

Schon jetzt fällt es dem Unternehmen schwer, sein volles Angebot aufrechtzuerhalten. Erst Mitte November gab die BVG bekannt, die Takte auf 40 Buslinien auszudünnen. Aktuell fehlen dem Unternehmen 350 Busfahrer:innen. Eine Zahl, die noch deutlich steigen wird, wenn Tausende Beschäftigte in Rente gehen werden. Die BVG spricht von 10.000 zu besetzenden Stellen in den nächsten 5 Jahren.

Die BVG habe verschlafen, der demografischen Entwicklung frühzeitig entgegenzuwirken, kritisiert Gewerkschafter Arndt. Stattdessen hätten sich die Arbeitsbedingungen so weit verschlechtert, dass der Beruf kaum noch attraktiv ist.

Lieber an der Kasse arbeiten

„Viele denken derzeit darüber nach, das Unternehmen zu verlassen“, berichtet Arndt. Anstatt eines stressigen Schichtbetriebs im rauen Berliner Straßenverkehr könnten sie auch an der Supermarktkasse ähnlich viel verdienen. „Wenn wir die Arbeitsbedingungen nicht verbessern, wird sich der Zustand noch verschlimmern“, warnt Arndt.

Dass ein Teil des Personalproblems hausgemacht ist, bestätigt auch Mario Candeias, Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der im Zuge seiner Forschung mit vielen Beschäftigten der BVG gesprochen hat. Zunächst sei da die grundlegende Herausforderung des Jobs: „Fahrzeiten können oft nur unter großem Stress eingehalten werden, Pausen fallen weg. Dazu die Wechselschichten, die einen gesunden Schlafrhythmus vernichten – die Krankenstände sind entsprechend hoch.“

Verschärft wird das Problem noch durch eine Unternehmenskultur, die wenig mit dem liberalen und weltoffenen Selbstbild, das die Marketingabteilung der BVG gerne nach außen trägt, zu tun hat. Viele In­ter­view­part­ne­r:in­nen berichteten von einem tief verankerten Chauvinismus, Sexismus und Rassismus, erklärt Candeias. „Sprüche, wonach Frauen oder ‚Schwuchteln‘ doch nicht hinter das Steuer eines 29-Tonnen-Busses gehören, sind keine Seltenheit“, sagt er.

Auch versuche manch untergeordnete Per­so­na­le­r:in, den Mangel an Personal durch Härte zu lösen. „Persönliche Bedürfnisse bei der Einteilung der Schichten gelten da schon als ‚Extrawurst‘“, gibt Candeias die Erfahrungen seiner In­ter­view­part­ne­r:in­nen wieder.

Verkehrswende in Gefahr

Die Probleme der BVG, die denen vieler Nahverkehrsunternehmen in Deutschland gleichen, haben längst eine gesellschaftspolitische Dimension erreicht. Denn ohne Personal wird eine Verkehrswende kaum möglich sein. Die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen von Fridays for Future unterstützen deshalb die Ar­bei­te­r:in­nen der BVG mit der Kampagne „Wir fahren zusammen“.

„Wenn wir die Verkehrswende und eine Erweiterung des öffentlichen Nahverkehrs wollen, brauchen wir gute Arbeitsbedingungen“, sagt Debby Roschka, Fridays-for-Future-Mitglied und Sprecherin der Kampagne.

Neben einer Beteiligung bei den Streikkundgebungen wollen die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen mit ihren Aktionen die gesellschaftliche Akzeptanz für mögliche Streiks erhöhen. Knapp 50.000 Unterschriften sammelten sie bereits in einer Petition. Weitere Aktionen seien in Absprache mit Verdi geplant. „Wir bringen die Streikmacht der Beschäftigten und die diskursive Macht der Klimabewegung zusammen“, erklärt Roschka.

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1 Kommentar

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  • Leider hat man vollmundig "Verkehrswende" genannt, was doch nur Lobby für Radfahrende war, gegen die Lobby der Autofahrenden.



    Unter ferner liefen die zu Fuß gehenden Menschen inclusive der Nutzer der Öffentlichen.



    Gut, dass immerhin nun FFF den Fokus auf die Bedingungen der Arbeitenden dort legt, das kommt auch den Fahrgästen zugute.