Prozess wegen Antisemitismus: Schläge für Kritik an Gepöbel

Nach einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Kneipe steht ein Bremer vor Gericht. Der Auslöser sollen antisemitische Äußerungen gewesen sein.

Jemand hält ein Schil mit der Aufschrift "Ihr seid nicht allein, keine Toleranz für Antisemitismus" hoch

Nicht für alle selbstverständlich: Solidarisierung gegen Antisemitismus Foto: Stefan Puchner/dpa

BREMEN taz | Als Roland E. am 26. August 2022 in seine Stammkneipe, den Druiden, geht, freut er sich auf den Feierabend. Stattdessen kommt es zur Auseinandersetzung mit einem anderen Gast: Roland E. wirft diesem vor, wiederholt antisemitische Beleidigungen – unter anderem „Judensau“ – gerufen zu haben und will ihn aus der Kneipe werfen. Zur Hilfe kommt ihm dabei niemand. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, die Situation eskaliert. Roland E. erleidet in der Folge einen Schlaganfall.

Mehr als ein Jahr später, am 1. Dezember 2023, sitzen beide im Gerichtssaal, Roland E. als Nebenkläger und Zeuge, Yvo S. als Angeklagter. Der Vorwurf: Misshandlung mit einem Werkzeug und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die antisemitischen Beleidigungen werden in der Anklage der Staatsanwältin nicht erwähnt, Rückfragen stellt sie dazu auch nicht.

Antisemitismus ist in Deutschland alltäglich: Da sind nicht nur die Übergriffe, die sich seit dem Terrorangriff der Hamas am siebten Oktober häufen. Da gibt fast ein Drittel der Deutschen in einer Umfrage im Auftrag von Statista an, schon einmal an Verschwörungserzählungen geglaubt zu haben. Da ist Hubert Aiwanger, der trotz seiner Nazi-Flugblatt-Affäre wiedergewählt wird.

Da gibt es jahrhundertealte antisemitische Reliefs am Bremer St. Petri Dom und den jahrelangen Widerstand gegen das Mahnmal vor der Spedition Kühne + Nagel, die im Nationalsozialismus von der „Arisierung“ jüdischen Eigentums profitiert hat. Trotzdem fokussiert sich die gegenwärtige politische Debatte auf vermeintlich „importierten“ Antisemitismus und rassistische Vorschläge zu dessen Bekämpfung.

Einsame Stimme

Der Fall vor dem Bremer Amtsgericht zeigt: Man könnte auch einfach vor der eigenen Kneipentür anfangen, Antisemitismus zu bekämpfen. Als Zeuge geladen, berichtet Roland E., er habe schon durch die offene Tür die Stimmen der beiden jungen Männer gehört, die antisemitische Beleidigungen gebrüllt hätten.

Daraufhin habe er sie konfrontiert und zum Gehen aufgefordert – als Einziger, das betont er immer wieder. „Weil ich Antisemitismus und Rassismus nicht haben kann“, erklärt der Anfang 60-Jährige schlicht. Mittlerweile hat er sich von dem Schlaganfall erholt, muss aber weiterhin Medikamente nehmen.

Der Beschuldige – er nennt ihn nur „die Person zu meiner Linken“ – habe den Konflikt eskaliert, ihn mit einem Bierhumpen angegriffen. Er selbst habe eine Säge aus seinem Lastenrad genommen und zur Verteidigung vor sich gehalten. Ab da könne er sich nur an wenige Details der Situation erinnern: Eine Folge des Schlaganfalls.

Yvo S. wird während der Zeugenaussage unruhiger. Er ist Anfang 30, nur halb so alt wie der Mann, den er angegriffen haben soll. Zu Beginn der Verhandlung hat er angegeben, sich nicht mehr an den Abend erinnern zu können. Er habe alles vergessen oder verdrängt, sei sehr betrunken gewesen. Eine Blutuntersuchung hat laut dem Anwalt des Nebenklägers lediglich 0,4 Promille ergeben.

Der Angeklagte sitzt allein auf dem zweiten von fünf Stühlen der Anklagebank. Er ist blass und sein Gesicht wirkt angespannt. Einen Rechtsbeistand hat er nicht und Pflicht­ver­tei­di­ge­r*in­nen stellen deutsche Gerichte nur in manchen Fällen. Für Vergehen, bei denen das Mindeststrafmaß unter einem Jahr Freiheitsentzug liegt und die auch sonst keine besonderen Kriterien wie ein drohendes Berufsverbot erfüllen, müssen sich Angeklagte eine Anwältin selbst leisten können.

Nur Roland E. hat Haltung gegen Antisemitismus gezeigt. Die anderen Zeugen schalteten sich erst ein als es zu Tätlichkeiten kam

Die meiste Zeit schaut Yvo S. geradeaus, manchmal knibbelt er an seinen Händen herum. Aber als Roland E. erklärt, er wisse nicht, ob der Angeklagte sich zur Provokation oder aus politischer Überzeugung antisemitisch geäußert habe, schüttelt er erst stumm den Kopf und sagt dann aufgebracht, aber deutlich: Nie habe er ein Wort wie „Judensau“ gesagt, er sei keinesfalls rechts, habe Roland E. nicht beleidigt.

Aber er entschuldigt sich auch: Als er von dem Schlaganfall erfahren habe, habe er sich wochenlang Sorgen gemacht. Die Richterin fragt Roland E., ob er die Entschuldigung annehme. Der hat den Kopf abgewandt. Er nehme sie erst mal zur Kenntnis.

Kaum Fragen zum Antisemitismus

Nach und nach werden fünf weitere Zeugen geladen. „Bisschen eskaliert“, sei der Abend, stellt einer fest. Alle bestätigen, dass der Angeklagte sich antisemitisch geäußert habe. Zwar erwähnt keiner das Wort „Judensau“, aber „Du Jude“, „Scheiß Jude“, „Judenfreund“ oder „Juden­arsch“ haben sie gehört.

Trotzdem hat nur Roland E. Haltung gegen Antisemitismus gezeigt. Die anderen Zeugen haben sich erst eingeschaltet, als es zur tätlichen Auseinandersetzung kam – auch die, die die Äußerungen bereits zuvor gehört hatten. Einer berichtet sogar, er habe versucht, Roland E. zu beschwichtigen: „Wir haben zu ihm gesagt, er soll einfach reinkommen und fertig.“ Ob er und seine Bekannten danach weiter über den Vorfall geredet hätten, fragt der Anwalt des Nebenklägers. Der Zeuge verneint. Sie seien ja zum Dartspielen dagewesen.

Rückfragen zum Vorwurf des Antisemitismus stellt die Richterin nur einmal, die Staatsanwältin gar nicht. Am 22. Dezember 2023 soll die Verhandlung fortgesetzt werden. Ob die mutmaßlichen Äußerungen im Urteil erwähnt werden, ist noch unklar.

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