Wärmewende in Niedersachsen: Weil sucht Wärme
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) tourt durch die Region. Er will gelungene Beispiele der Wärmewende besuchen – ausgerechnet jetzt.
Alle Förderungen liegen erst einmal auf Eis, egal, ob es um die private Wärmepumpe oder den Ausbau der kommunalen Fernwärmenetze geht. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) versucht trotzdem, Optimismus zu verbreiten. Da müssten „die da in Berlin“ nun eben daran arbeiten, das Geld aufzutreiben.
Und dass man über die Schuldenbremse noch mal reden müsste, das sage er ja auch schon lange. Weil ist jetzt nicht unterwegs, um Grundsatzdebatten zu führen. Er ist unterwegs zu Projekten, bei denen man „Na bitte, geht doch“ sagen könnte. Und die eine vage Hoffnung keimen lassen, dass sich in diesem Land vielleicht doch viel mehr bewegt, als die öffentlichen Debatten vermuten lassen.
Der Mann mit der Wärmepumpe
Christoph Kollenda empfängt den Ministerpräsidenten samt Pressetross unter seinem Carport. Der Mann, das merkt man schnell, ist Überzeugungstäter – allerdings auch vom Fach. Bis zu seinem Ruhestand war er für Enercity, die hannoverschen Stadtwerke, tätig. Jetzt steht er hier, um eine Botschaft zu vermitteln: Wärmepumpen funktionieren auch für alte Häuser.
Das hübsche Einfamilienhaus in Laatzen bei Hannover hat er 1995 gekauft, da war es aber schon zehn Jahre alt und mit Nachtspeicheröfen ausgestattet. Zwischendurch hat er zwanzig Jahre lang mit Gas geheizt und erst in diesem Jahr umgerüstet auf eine Wärmepumpe plus Kachelofen. Er kann sehr genau vorrechnen, warum sich das lohnt und es auch gar nicht so schwierig ist, wie viele sich das vorstellen.
„Es gibt ja mittlerweile ein ziemlich gutes Beratungsangebot und die Handwerksfirmen nehmen einem auch viel ab – da muss man kein Experte sein.“ Die Bundesförderung habe die Entscheidung erleichtert, weil die Investitionskosten auf diese Weise nicht mehr so weit über denen für eine neue Gasheizung gelegen hätten.
„Aber ganz ehrlich: Wir hätten das auch so getan und finanzieren können“, sagt Kollenda. „Über diese Mitnahmeeffekte müsste man noch mal nachdenken.“ Weil nickt: „Ich habe da ja auch von Anfang an für eine stärkere soziale Staffelung plädiert.“
Kalte Nahwärme
Neustadt am Rübenberge, ebenfalls im Speckgürtel Hannovers gelegen, ist einer von den Orten, wo Familien hinziehen, wenn sie aufs Land wollen und nach halbwegs finanzierbaren Baugrundstücken suchen. Möglicherweise führt das dazu, dass man hier Experimenten gegenüber aufgeschlossener ist, als man das Landgemeinden sonst so nachsagt.
Im Neubaugebiet „Hüttengelände“ haben die vergleichsweise kleinen Stadtwerke jedenfalls ein Projekt gestemmt, auf das sie ziemlich stolz sind: Ein sogenanntes „kaltes Nahwärmenetz“ soll am Ende die Wärmepumpen von 70 Einfamilienhäusern und 40 Mehrfamilienhäusern versorgen. Der erste Bauabschnitt steht schon und hat die ersten zwei Winter bereits überstanden.
„Kalt“ heißt das Nahwärmenetz nur, weil es im Vergleich zu anderen Wärmenetzen mit viel niedrigeren Temperaturen arbeitet. In den Häusern ist es warm, davon darf sich Weil selbst überzeugen: Familie Flögel öffnet bereitwillig die Haustür und sieht auch gnädig darüber hinweg, dass der Ministerpräsident und die hinterhertrampelnden Journalisten kleine matschige Pfützen auf dem beheizten Fußboden hinterlassen.
Der Kollektor, mit dem die Wärme aus dem Erdreich gezogen wird, liegt unter dem Regenrückhaltebecken und ist riesig: Rund 3.200 Quadratmeter nehmen die Rohre mit dem Wasser-Glykol-Gemisch in Anspruch, die hier in drei Meter Tiefe liegen.
„Natürlich gab es am Anfang Skepsis“, sagt der junge grüne Bürgermeister Dominic Herbst. Aber wer hier bauen wollte, hatte nicht wirklich eine Wahl, darauf hatte man sich im Stadtrat geeinigt. Und als die Energiekrise kam, waren die meisten Familien ziemlich froh, keine Gasheizung zu haben. „Hier sind die Preise stabil geblieben“, sagt Herbst.
Und noch etwas lässt sich hier lernen: Wer Neues einführen will, muss sich kümmern. „Am Anfang stand hier manchmal abends ein Mitarbeiter auf der Matte und wollte eine Störung beheben, die wir noch nicht einmal bemerkt hatten“, erklärt Annalena Flögel lachend.
Die Enercity-Vorstandsvorsitzende Susanna Zapreva wird das Unternehmen zum Jahresende verlassen, aber – daran lässt sie keinen Zweifel – sie hat in den vergangenen acht Jahren einiges getan, um die behäbigen hannoverschen Stadtwerke auf Kurs zu bringen.
Enercity macht Tempo
Auf der Baustelle am alten Kohlekraftwerk in Hannover-Stöcken führt sie vor, wie der Energieversorger sein Fernwärmenetzwerk auf Klimaneutralität zu trimmen gedenkt.
Ein Altholz-Kraftwerk und ein Biomethan-Blockheizkraftwerk werden hier gebaut, im Stadtgebiet sollen noch Geothermie, Großwärmepumpen und Industrieabwärme dazukommen – 14 Projekte sind es insgesamt. Dafür soll Ende 2024 der erste Block des Kohlekraftwerkes abgeschaltet werden, Ende 2026 folgt Block 2.
Auch in anderen Bereichen hat Enercity die Nase vorn: „Mit der Wärmeplanung haben wir schon 2017 angefangen“, sagt Zapreva stolz. Lange bevor der Gesetzgeber das nun vielen Kommunen zur Pflichtaufgabe gemacht hat.
Und auch für die hakelige Zwischenzeit hat Enercity Lösungen entwickelt: Es gibt Vertragsmodelle, mit denen Kunden die Wärmepumpe mieten können und sie nicht selbst anschaffen müssen. Oder „Pop-up“-Heizungen für diejenigen, die noch auf den Anschluss ans Fernwärmenetz warten und für die es sich deshalb nicht lohnt, noch einmal in eine neue Gasheizung zu investieren, die dann wieder 15 Jahre laufen müsste.
Die emotional aufgeladenen öffentlichen Debatten nimmt Zapreva gelassen: „Es wird immer Menschen geben, die sich mit Veränderungen schwerer tun als andere. Aber so sind Transformationsprozesse eben: Man muss eine Weile Chaos und Unordnung in Kauf nehmen, bevor wieder etwas Schönes entsteht.“
Der Ministerpräsident ist da schon fast wieder auf dem Weg zum Bus. Zur letzten Station der Wärmewende-Reise an der neu zu bauenden Grundschule Mühlenberg, die künftig mit oberflächennaher Geothermie beheizt werden soll.
„Wieder was gelernt“, wird er am Ende sagen. Bleibt nur zu hoffen, dass der Ministerpräsident damit nicht allein bleibt. Denn für eine echte Wärmewende braucht es im Land möglicherweise noch ein paar mehr Vorzeigeprojekte.
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