Oympiastadion mit NS-Vergangenheit: Das kann so nicht stehen bleiben

100 Jahre nach dem Propagandaspektakel sollen wieder Olympische Spiele in das Berliner Stadion. Dabei gibt es noch nicht einmal Infotafeln am NS-Ensemble.

Illustration des Berliner Olympiastadions

Wieder mal die Ringe im Blick: das Olympiastadion in Berlin Illustration: Jeong Hwa Min

BERLIN taz | Achtung, Groundhopper. An euch, ihr Stadion­sammler, sind die folgenden Zeilen nicht gerichtet. Ihr kennt das Berliner Olympiastadion natürlich, und sei es nur von den kurzen Ausflügen der Köpenicker Kicker von Union Berlin in die große weite Fußballwelt. Aber natürlich dürft ihr an dieser Stelle auch weiterlesen. Das Oly, wie es die Heimfans von Hertha BSC nennen, ist schließlich mehr als ein Stadion. Das macht die Sache freilich nicht besser.

Nehmen wir einmal die monumentalen Skulpturen aus Muschelkalk von Karl Albiker: Sie sind sechs Meter hoch und tragen die Titel „Diskuswerfer“ und „Staffelläufer“. Beide gehören – wie auch „Zehnkämpfer“ und „Siegerin“ von Arno Breker – zu einem ganzen Skulpturenensemble, das um das riesige Stadionrund verteilt ist.

Stadion und Skulpturen wiederum sind, wie das 150 Fußballfelder große Maifeld, Teil des zu den Olympischen Sommerspielen am 1. August 1936 eingeweihten Reichssportfelds.

Manche nennen das Ensemble um das Stadion das bis heute am besten erhaltene NS-Gesamtkunstwerk, andere sprechen vom einem „Dark-Heritage“. Wiederum andere sind mindestens irritiert, wenn sie vor dem Stadionbesuch Zeit haben, sich auf dem Gelände mit seinem 75 Meter hohen Glockenturm etwas umzuschauen.

Die Besonderheit

Als Fußballarena war das Berliner Olympiastadion bis zum Abstieg von Hertha das einzige Bundesligastadion mit einer Tartanbahn für Leichtathletinnen und Leichtathleten. Natürlich leuchtet sie im Blau von Hertha BSC. Das hält den Zweitligaverein nicht davon ab, ein neues Stadion bauen zu wollen, am liebsten auf dem Olympiagelände. Es soll 50.000 Zuschauer fassen und steil und laut sein.

Die Zielgruppe

Fußballfans, Geschichtsstudierende und Puristen. Als Denkmal hat das Stadion noch einen neutralen Namen.

Hindernisse auf dem Weg

Eigentlich ist das Olympiastadion mit U-Bahn und S-Bahn hervorragend angebunden. Doch der Vorteil ist auch der Nachteil. U- und S-Bahn müssen auch fahren. Das tun sie nicht immer, vor allem nicht pünktlich.

Denn nur wenig dort ist kontextualisiert. Tafeln an den Skulpturen? Fehlanzeige. Eine Einordnung am Osttor mit den Olympischen Ringen, über das die Zuschauerinnen und Zuschauer, die mit der U-Bahn anreisen, den Weg ins Olympiastadion finden? Gibt es nicht.

Stattdessen findet sich unterhalb des Glockenturms in der Langemarckhalle der von den Nazis in Stein gemeißelte Opferspruch Hölderlins: „Lebe droben o Vaterland / und zähle nicht die Toten / Dir ist, Liebes, / nicht einer zu viel gefallen.“

Memorandum of Understanding

Eigentlich keine guten Voraussetzungen für eine Berliner Olympiabewerbung. Doch genau das hat der schwarz-rote Senat in Berlin getan. Am 14. November unterzeichneten CDU und SPD ein entsprechendes „Memorandum of Unterstanding“. Ob es tatsächlich zu einer deutschen Bewerbung um die Spiele 2036 oder 2040 kommt, entscheidet der Deutsche Olympische Sportbund auf einer Sitzung am 2. Dezember.

Wie bitte? Hundert Jahre nach dem Nazispektakel wieder Fackellauf im Berliner Olympiastation? Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) versucht die Gemüter zu beruhigen. Als „bunte, vielfältige, diverse, offene Metropole“ werde sich Berlin präsentieren. Wenn die israelische Mannschaft 2036 ins Berliner Olympiastadion einziehen würde, so Wegner, wäre das zudem „ein zweiter Sieg über Nazideutschland“.

Echt jetzt? Denken die Besucherinnen und Besucher, die das Olympiastadion 2036 zum ersten Mal besuchen, an Offenheit und Vielfalt, wenn sie vor dem „Diskuswerfer“ oder der „Siegerin“ stehen?

Vielleicht sollte sich Kai Wegner einmal mit Peter Strieder unterhalten. Dem Ex-SPD-Stadtentwicklungssenator war schon 2020 der Kragen geplatzt. In einem Rant in der Zeit hatte er gefordert: „Weg mit diesen Skulpturen!“ Zur Begründung schrieb er: „Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Erbe des Faschismus – auch dem baulichen – wurde versäumt.“

Doch die Verantwortlichen tun sich schwer mit dem Nazierbe rund ums Olympiastadion. Nix mit Abräumen, entgegnete die Senatsverwaltung für Kultur 2021 in einem Gutachten zum Denkmalwert des Geländes. Man gehe „vom Aussagewert der überlieferten Sachzeugnisse aus“. Soll wohl heißen: Jeder sieht selbst, wes Geistes Kind das Ganze ist.

Aktive politische Aufklärung

Man kann getrost davon ausgehen, dass die neuerliche Olympiabewerbung auch eine neue Debatte über den Umgang mit dem Nazierbe im Olympiapark auslösen wird, wie das Reichssportfeld inzwischen heißt. Eine Forderung, die der Architekt Volkwin Marg schon vor zwei Jahren erhob, lautet: Baut endlich ein Besucherzentrum! „Weil heute wieder aus altem Nazi-Sumpf üble Blasen aufsteigen“, schrieb Marg in der Zeit, sei es „dringend geboten“, nicht irgendwelche Skulpturen zu beseitigen, sondern endlich „aktive politische Aufklärung“ zu leisten und ein Dokumentationszentrum einzurichten. Die von den Nazis erbaute Langemarckhalle sei dafür der richtige Ort.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Eine Kontextualisierung im großen Maßstab also, wie sie Bayern mit der Eröffnung der Ausstellung „Idyll und Verbrechen“ auf dem Obersalzberg im September vormachte. Im Zusammenhang mit der Berliner Bewerbung war davon freilich keine Rede.

Vielleicht kommt aber alles auch anders, und da seid ihr wieder im Spiel, liebe Groundhopper. Vielleicht darf Hertha auf dem ehemaligen Reichssportfeld ein neues Stadion bauen. Das wäre dann eine maximale Gegenirritierung zu den irritierenden Skulpturen.

Vorausgesetzt, der Denkmalschutz spielt mit.

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