Journalismus live: Recherche trifft Show
In den USA füllen inszenierte journalistische Live-Vorführungen bereits Hallen. In Berlin probiert eine neue Reihe nun ein ähnliches Konzept.
An diesem Abend geht es um die Stadt der Zukunft. Die Redner*innen, unter ihnen Journalist*innen von Zeit, Spiegel und BBC haben Geschichten aus Europa mitgebracht, etwa aus Finnland, Dänemark und Spanien. Begleitet werden sie von dem Mini-Improvisations-Orchester Stegreif, welches die Sprechpausen füllt und Pointen musikalisch unterstützt.
Dass diese Art des Storytellings attraktiv zu sein scheint, merkt man schnell. Der größte Raum des Kinos mit etwa 500 Sitzen ist sehr gut gefüllt. Abgeschaut haben sich die Veranstalter*innen das Programm unter anderem beim Land der Tedtalks, der Stand-Up-Comedy und dem Rhetorik-Unterricht seit der Grundschule: Den USA. In Frankreich, Finnland und den USA habe das neue Format des Live-Journalismus schon Hallen gefüllt, verkündet der Moderator. Jetzt auch in Deutschland?
Zu Beginn tun sich die Journalist*innen etwas schwer mit dem Bespielen der großen Bühne. Was ein imposanter Eintritt mit Geigenmusik hätte sein sollen, endet in einem Stimmengewirr, wobei manche Personen rumstehen, als wüssten sie nicht, wohin. Manche Redner*innen sehen aus, als wären sie von ihrem Schreibtisch direkt ins Rampenlicht gezerrt worden. Nicht alles läuft perfekt, die Redner*innen verhaspeln sich und können Pointen nicht so gut erzählen wie ihre US-amerikanischen Vorbilder.
Schwammstadt bis Datenjournalismus
Den mitgebrachten Geschichten tut das aber kaum Abbruch. Manche von ihnen kommen mit bereits viel recherchierten Themen wie dem Schwammstadt-Prinzip oder Wärmepumpen auf das Podium. Doch auch zwei Datenprojekte bekamen die Zuschauer*innen auf anschauliche Weise erklärt. Sven Niederhäuser und Samuel Hufschmid berichten von ihrer Recherche über die Anzahl der Parkplätze in Basel, die letztendlich dazu führte, dass die Stadt nun nach Lösungen sucht, wie verfügbare Flächen genutzt werden können, anstatt neu zu bauen. Wie Thermostat-Daten von Bürger*innen aus Amsterdam helfen können, in Zukunft Hitzewellen besser auszuwerten, erklärt die Journalistin Sylke von Duijnen.
Die Redner*innen berichten auch von der Geschichte hinter der Geschichte. Von der Schwierigkeit etwa, dass vermeintliche Klima-Bösewichte doch nicht nur böse waren. Oder von lustigen Reaktionen der Interviewpartner*innen. “Wenn meine Idee erfolgreich gewesen wäre, dann wären doch nicht Sie gekommen, sondern die New York Times“, zitiert der Spiegel-Journalist Jan Petter eine seiner Protagonist*innen. Diese Momente nimmt das ansonsten ziemlich stille Publikum dankbar an und lacht mit. Auch herrscht gute Laune, als Sarah Kröger den Herbert Grönemeyer-Song abspielt, um Bochum besser zu erklären.
Etwas Überarbeitung nötig
Mehr solche Elemente oder auch atmosphärische Zitate der Menschen aus der Recherche hätten der Show gut getan, um sie aufzulockern. Auch Klimaprojekte, die sich nicht nur in reichen und westlichen Ländern abspielen, wären spannend gewesen, und wichtig wäre eine nicht nur weiße Redner*innengruppe gewesen.
Mit etwas Überarbeitung bieten sich solche Formate an, um ganz konkret verständlich zu machen, unter welchen Bedingungen Journalist*innen heute und in Zukunft (Klima-)Recherchen machen. Dafür ist auch der Austausch wichtig. Nach der Show wurde dafür ins Foyer eingeladen. Hier gelang das Brückenschlagen zwischen Publikum und Vortragenden. “Utopia ist kein Ort“, sagte die freie Journalistin und Utopie-Expertin Greta Taubert am Ende ihres Vortrags. Es gehe eher darum, dass alle gemeinsam mitdenken und utopisch handeln.
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