Hilfen für Gaza: Hilfsgüter in der Warteschlange

Tausende Tonnen warten am Grenzübergang Rafah, um in den Gazastreifen zu gelangen. Auch, weil jeder Lkw von Israel abgesegnet werden muss.

Eine Schlange von wartenden Lastwagen

An Hilfen fehlt es nicht: Lastwagen mit Lebensmitteln und Trinkwasser stauen sich am Übergang Rafah Foto: Amr Nabil/ap

GRENZÜBERGANG RAFAH taz | Heftig weht der Sand der Sinaiwüste über den Asphalt des Flughafens von al-Arisch. Die Männer auf den Gabelstaplern kämpfen gegen Wind und Staub, als sie eine Palette nach der anderen aus dem Bauch der fünf Transportflugzeuge aus Kuwait, Saudi-Arabien, Katar und Bahrain laden. Sobald eine Maschine ausgeladen ist, macht sie sich wieder auf den Weg, um einer­ anderen Platz zu machen.

Die Hilfslieferungen für den Gazastreifen laufen im Nordsinai also auf Hochtouren. Das Problem ist nicht, dass es an Gütern fehlt. Das Problem ist, sie in den Gazastreifen hinzuschaffen. Fast 9.000 Tonnen Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente stecken derzeit in Ägypten fest.

Das Nadelöhr liegt eine halbe Autostunde vom Flughafen entfernt: der Grenzübergang Rafah, der Ägypten mit dem Gazastreifen verbindet. Er bleibt der einzige Weg, durch den aktuell humanitäre Hilfe ins Kriegsgebiet hineinkommt und Verletzte heraustransportiert werden können. Doch beides geschieht nur langsam.

Es ist so ruhig am Übergang, dass es sich streunende Hunde in der Sonne direkt am Tor langgestreckt gemütlich gemacht haben. Alle halbe Stunde ­werden sie vom Hupen ein paar vollbeladener Lkws aufgescheucht. Diese wollen zum Tor der ­ägyptischen Seite gewunken werden, um auf den Parkplatz im Niemandsland zwischen Ägypten und dem Gazastreifen zu parken, ausgeladen und gecheckt zu werden, bevor die Hilfsgüter auf palästinensische Fahrzeuge umgeladen werden.

Vor dem Krieg kamen 500 bis 800 Lkws – pro Tag

Gleichzeitig warten hunderte Lastwagen in unmittelbarer Grenznähe und in den Zufahrtsstraßen, die den Nordsinai mit dem Grenzübergang verbinden. Weniger als 1.300 Lkws haben Rafah bislang passiert, seit die Grenze vor knapp einem Monat für Hilfsgüter geöffnet wurde. Zum Vergleich: Vor dem Krieg wurden die 2,3 Millionen Menschen in Gaza mit 500 bis 800 Lkws versorgt – pro Tag. Und das während der 15-jährigen israelischen Blockade, die nur die Lieferung des Nötigsten zugelassen hatte.

An der ägyptischen Seite liegt es nicht, betont Mahmoud Amish, der für den ägyptischen Roten Halbmond die Hilfslieferungen in den und die Transporte der Verletzten aus dem Gazastreifen koordiniert. „Wir haben große Probleme in diesem Prozess. Aber von unserer Seite kann ich sagen, dass unsere Grenze offen ist und dass die Freiwilligen des Roten Halbmonds für alles bereitstehen“, sagt er diplomatisch.

Jede Lieferung muss von Israel abgesegnet werden. Im Vertrauen berichten die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Ägypten von ihrem Frust. Wenn etwa eine Lieferung von Zelten Stangen enthält, deren Durchmesser zwei Zentimeter übersteigt, werde die Lieferung von Israel abgelehnt, erzählt eine Mitarbeiterin einer internationalen Hilfsorganisation. Dann wird nicht nur die Lieferung der Zelte, sondern die gesamte Ladung des Lkws abgelehnt.

Ein zusätzliches Problem ist, dass der Grenzübergang in Rafah eigentlich nur für Personenverkehr ausgerichtet ist. Wer auf der einen Seite ankommt, muss zu Fuß über die Grenze, um dort eine andere Fahrgelegenheit zu finden. Die Abwicklung von Güterverkehr läuft normalerweise über den von Ägypten und Israel gemeinsam genutzten, aber von Israel kontrollierten Übergang Kerem Schalom und über Übergänge auf der israelischen Seite. Doch seit Kriegsbeginn sind die alle dicht.

Immerhin: Laut UN-Angaben hat Israel bisher die Lieferung von 70.000 Litern Treibstoff erlaubt. Es soll vor allem dafür verwendet werden, dass die Lkws auf der anderen Seite Treibstoff haben, um die Hilfsgüter in den Gazastreifen überhaupt weitertransportieren zu können. Zudem sollen so einige Abwasserpumpen am Laufen gehalten werden, damit in Gaza keine Seuchen ausbrechen.

Auch der Transport der palästinensischen Verletzten gestaltet sich schwierig. Zwar ist seit Anfang November der Transport von Schwerverletzten möglich, doch läuft das Ganze nur schleppend. Rund 250 Verletzte konnten bislang in ägyptische Krankenhäuser gebracht werden – wenig im Vergleich zu den bislang in dem Krieg mehr als 27.000 verletzten Palästinensern, von denen die Hamas spricht. Ägyptens Krankenhäuser seien bereit, palästinensische Schwerverletzte aufzunehmen, erklärte Kairos Gesundheitsminister Khaled Abel Ghaffar jüngst. Welche und wie viele Verletzte aus dem Gazastreifen transportiert werden könnten, würde von einer anderen Partei entschieden, erklärte er, ohne Israel oder die Hamas beim Namen zu nennen.

„Wir würden gerne viel mehr machen“

„Es liegt sicher nicht an uns“, sagt auch einer der Rettungssanitäter vor den dutzenden gelb-grünen ägyptischen Rettungswagen, die vor der Grenze geparkt sind und auf palästinensische Patienten warten. „Wir würden gerne viel mehr machen“, sagt er. Seine Kollegen nicken heftig.

Tagelang warteten sie hier auch mit 36 mit Brutkästen ausgerüsteten Fahrzeugen auf die Säuglinge, die am Wochenende aus dem Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt evakuiert wurden. Die Operation verzögerte sich, weil die Frühchen es zunächst nur bis ins Al-Sultan-Krankenhaus im Süden des Gazastreifens geschafft hatten, weil der Transport aufgrund des kritischen Zustands einiger der Babys unterbrochen werden musste. Am Montag war es dann endlich so weit: 28 Neugeborene wurden den ägyptischen Rettungsfahrzeugen übergeben und in die Klinik von al-Arisch gebracht. Von dort aus konnten bis Dienstagmittag 12 der Babys nach Kairo geflogen werden.

Als die Sonne schon untergeht, schreitet eine Gruppe junger Palästinenser durch das Tor. Eine von ihnen ist Sama al-Qinawy aus Gaza-Stadt. „Die Stadt, in der ich gelebt habe, kann man nicht mehr wiedererkennen. Sie ist total zerstört“, beginnt die 18-Jährige, sichtlich aufgewühlt.

„Ich hasse es, dass wir so ein Leben führen müssen. Ich bin jung und sollte eigentlich mein Leben genießen“, sagt sie. Glücklicherweise habe sie es nach draußen geschafft. Aber andere hätten es nicht geschafft. Sie hatte Glück, weil sie Unterstützung aus den Vereinten Arabischen Emiraten bekommen habe. Sie hat ein Stipendium, um dort zu studieren.

Viel hat die junge Frau nicht dabei. Gepackt hat sie zwei kleine Rucksäcke, einen hat sie über ihren Rücken, den anderen über ihren Bauch geschnallt, daneben hat sie sich ein kleines rosa Handtäschchen umgehängt. Was sie mitgenommen hat? Unter anderem ihren Lieblingshoody, sagt sie, und das Lieblingsparfüm, das ihr die Schwester geschenkt habe. Dann zieht Sama al-Qinawy mit einer Handvoll Gleichaltriger weiter, um einen Transport nach Kairo zu finden und ihr neues Leben zu beginnen, während ihr altes wohl noch lange nachhängen wird.

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