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Genetikerin über Diagnose-KI„Entwicklungen vorhersagen“

Die Zellforscherin Sarah Teichmann weiß, wie KI schädliche Genmutationen erkennen kann. Die KI-Diagnose werde Menschen trotzdem nicht ersetzen.

Menschliche Zellen unter der Lupe: KI kann bei der Analyse helfen, aber den Menschen nicht ersetzen Foto: ingimage/imago
Interview von Melina Moehring

taz: Frau Teichmann, in den letzten Jahren hat sich in der biomedizinischen Forschung durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) viel verändert. Was ist passiert?

Sarah Teichmann: Grundsätzlich wird KI schon seit Jahrzehnten in der Biologie angewandt. Die Entwicklung kommt aus der Informatik und wir Bio­me­di­zi­ne­r:in­nen übernehmen die Methoden und wenden sie auf biologische Daten an. In den letzten fünf bis zehn Jahren kam die generative KI dazu. Sie untersucht nicht mehr nur die Muster in den Daten, sondern kann auch Entwicklungen vorhersagen.

Welche generative KI-Modelle sind in der Biomedizin von Bedeutung?

Onur Pinar
Im Interview: Sarah Teichmann

Mitbegründerin und Co-Leiterin des internationalen Forschungsprojekts Human Cell Atlas und Leiterin der Abteilung Zellgenetik am Wellcome Sanger ­Institute in Cambridge, Großbritannien.

Die berühmteste Anwendung ist die Strukturvorhersage mit Alpha Fold 2. Das ist ein KI-System, das aus eindimensionalen Aminosäuresequenzen die dreidimensionale Struktur von Proteinen vorhersagen kann. Eine Datenbank mit hunderttausend Proteinstrukturen und den zugehörigen Aminosäuren liefert die Lerngrundlage, durch die das Modell noch unbekannte Proteinstrukturen vorhersagt. Auch in der Biotechnologie, Pharmaindustrie und Medizin gibt es Fortschritte. Ein Beispiel ist Alpha Missense, das genetische Veränderungen bei Menschen erkennen kann.

Wie funktioniert das?

Alpha Missense kombiniert verschiedene Daten in einem einzigen Modell. Es verbindet Daten zu Proteinstrukturen, zur genetischen Variation in der menschlichen Bevölkerung sowie zur Sequenzkonservierung. Das sind bestimmte Abschnitte von DNA, RNA oder Proteinsequenzen, die sich im Laufe der Zeit kaum oder gar nicht verändert haben. Basierend darauf schätzt die KI die Bedeutung sogenannter Punktmutationen ein, also Mutationen, bei denen eine einzelne Base in der DNA eines Organismus verändert wird. Alpha Missense kategorisiert seltene Punktmutationen, deren Auswirkungen noch nicht bekannt sind, in „schädlich“, „nützlich“ oder „ohne Effekt“. Meiner Meinung nach ist das Modell aber noch nicht genau genug, um es in der klinischen Anwendung zu verwenden.

Ab wann könnten denn KI-generierte genetische Vorhersagen in der klinischen Medizin eingesetzt werden?

Wir sind noch ein Stück weit davon entfernt, dass KI die Diagnose des Arztes übernimmt. Ich denke, dass genetische Diagnosen in den nächsten fünf Jahren höchstens als unterstützendes Instrument dienen werden. Was danach passieren wird, ist unklar. Im Bereich der Krebs-Genomik gibt es immer mehr Modelle, die bereits zur Vorhersage von Risiken eingesetzt werden. Trotzdem kann KI den Arztberuf nicht ersetzen.

Wie beeinflusst KI Ihre eigene Forschung?

Ich leite das Projekt Human Cell Atlas, welches das Ziel hat, alle menschlichen Zellen einzeln zu kartieren. Dazu analysieren wir jede Zelle und verorten sie räumlich. Um diese Daten zu interpretieren und zu integrieren, ist KI von großer Bedeutung. Ohne sie wären wir nicht in der Lage, die Datenmengen überhaupt zu verstehen.

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