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Nato-Außenministertreffen in BrüsselKriegsmüde, leere Munitionsdepots

Beim zweitägigen Nato-Außenministertreffen appelliert Generalsekretär Stoltenberg, über den Nahostkonflikt den Ukraine-Krieg nicht zu vernachlässigen.

US-Außenminister Antony Blinken und der türkische Außenminister Hakan Fidan beim Treffen Foto: Saul Loeb/ap

Brüssel taz | „Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir die Ukraine mit den Waffen versorgen, die das Land braucht“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu Beginn eines zweitägigen Nato-Außenminister-Treffens am Dienstag in Brüssel. Die Ukraine steht vor dem zweiten Kriegswinter.

Hintergrund sind die wachsende Kriegsmüdigkeit im Westen und leere Waffen- und Munitionsdepots. Die EU musste erst kürzlich einräumen, dass sie eine Million Artilleriegranaten nicht rechtzeitig liefern kann. Derweil regt sich in den USA Widerstand gegen weitere Ukrainehilfen. Einige Experten fordern bereits, das Ziel eines ukrainischen Sieges aufzugeben und die Strategie zu überdenken.

Stoltenberg wies das zurück. Nun gehe es um Standhaftigkeit, sagte er. Mit westlicher Hilfe habe es die Ukraine bereits vermocht, rund 50 Prozent des von Russland besetzten Territoriums wieder zu befreien. Nun gehe es darum, diese Unterstützung aufrechtzuerhalten. Davon hänge auch die Weltpolitik ab: „Hier geht es um die gesamte Idee einer regelbasierten internationalen Ordnung.“

Kein schneller Nato-Beitritt in Sicht

Stoltenbergs Appelle klingen allerdings nicht mehr so optimistisch wie früher. Im Frühjahr hatte er erklärt, die westlichen Waffenlieferungen würden es der Ukraine ermöglichen, Geländegewinne zu erzielen. Doch nun, nach einer weitgehend gescheiterten Gegenoffensive, legt sich der Nato-Generalsekretär nicht mehr fest. Kyjiw müsse selbst entscheiden, wie es den Krieg beenden wolle, sagte er.

Auch der Nato-Beitritt rückt in weite Ferne. Dieser könne erst nach dem Krieg erfolgen und setze noch einige Reformen voraus, hieß es im Nato-Hauptquartier. Welche Reformen das sein könnten, wollen die Außenminister der Allianz in Brüssel besprechen. Die To-do-Liste soll geheim bleiben. Gegen einen schnellen Nato-Beitritt haben sich vor allem die USA und Deutschland ausgesprochen.

Außenministerin Annalena Baerbock versuchte am Dienstag, Zweifel an der deutschen Haltung zu zerstreuen. Man tue alles dafür, dass die Ukraine auch im nächsten Jahr so viele Dörfer und Städte befreien könne wie möglich, sagte sie in Brüssel. „So schwer, so anstrengend, so festgefahren die Situation scheint, wir werden die Ukraine weiter unterstützen – so lange sie uns braucht.“

Selbst mit Haushaltskrise will Berlin Kyjiw unterstützen

Trotz der akuten Haushaltskrise werde Deutschland auch seine Verpflichtungen gegenüber der Nato einhalten, so Baer­bock. Es sei wichtig, dass die Mitgliedstaaten der Allianz gemeinsam in ihre Sicherheit investierten, erklärte die Grünen-Politikerin. „Das bedeutet auch, dass Deutschland im nächsten Jahr seine Zweiprozentverpflichtung erfüllen wird.“

Ein weiteres Thema war die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Stoltenberg. Der lettische Außenminister Krisjanis Karins brachte sich vor dem für 2024 erwarteten Wechsel in Stellung: „Wir brauchen einen Konsensbauer, der mit jedem und allen Verbündeten arbeiten kann.“ Als Favoritin gilt die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas – die meisten Nato-Staaten wollen eine Frau.

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9 Kommentare

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  • "Derweil regt sich in den USA Widerstand gegen weitere Ukrainehilfen. Einige Experten fordern bereits, das Ziel eines ukrainischen Sieges aufzugeben und die Strategie zu überdenken."



    Und welche "Experten" sind das? Den maßgeblichen Entscheidern bei den Republikanern ist klar, dass die Hilfe weitergehen muss und wird. "Wir können Putin nicht erlauben, durch Europa zu marschieren", sagt House Speaker Johnson. Aber es wird halt geschachert, wie üblich.

    www.politico.com/l...l-ukraine-00128707

    • @Barbara Falk:

      Das der Agressor Putin durch Europa marschiert ist ja auch vollkommen unrealistisch. Russlands Stärke sollte weder unterschätzt noch überschätzt werden.

      Und vielleicht haben wir ja auch schneller Frieden in der Ukraine als viele es sich vorstellen können.

      www.derwesten.de/p...j-id300735499.html

      Vielleicht ist ja an dem Gerücht etwas dran, dass Selenski zur Einsicht gebracht werden soll. Das würde es auch dem Westen die Möglichkeit geben sich gesichtswahrend zurückziehen können. Wichtig wäre jedoch Sicherheitsgarantien zu erarbeiten, die zufriedenstellend für die Urkaine, aber auch für den agressor Russland sind (wobei NATO Mitgliedschaft der Urkaine ja sowieso unrealistisch ist). So könnte ein Wiederaufflammen des Krieges in Zukunft verhindert werden können.



      Auch sollte, wie in der Vergangenheit auch, eine zukünftige NATO Erweiterung (zb in Georgien nur mit Absprache in Russland stattfinden oder gar nicht). Jedoch sollte man sich auch über Länder wie Georgien oder Moldawien bzgl Sicherheitsgarantien Gedanken machen ("better Safe than sorry").

      • @Alexander Schulz:

        "Das der Agressor Putin durch Europa marschiert ist ja auch vollkommen unrealistisch." Russland hat bei seiner letzten großen Rede Ansprüche auf alle Gebiete der Soviet Union und des Imperialen Russlands erklärt: "Die russische Welt ist das antike Rus, Das Königreich Moskau, das russische Imperium, die Soviet Union, das moderne Russland, und es kommt zurück" nur gehörten zu diesen Reichen halt auch die Ukraine, Belarus - dessen Eigenstaatlichkeit er weiterhin nicht anerkennt und das Baltikum, Moldawien etc.

        Sie meinen Putin zieht nicht mit der NATO in den Krieg. Ja weil er glaubt das sich Leute wie sie durchsetzen die eher das Baltkium im Stich lassen als den großen Krieg zu riskieren. Das wird seine Kalkulation sein, nicht das er in einer Woche bis Portugal durchmarschiert.

        "Wichtig wäre jedoch Sicherheitsgarantien zu erarbeiten, die zufriedenstellend für die Urkaine, aber auch für den agressor Russland sind (wobei NATO Mitgliedschaft der Urkaine ja sowieso unrealistisch ist)." Diese Sicherheitsgarantie die nicht NATO ist für die Ukraine heißt Atomwaffen. Alles andere ist das Papier nicht wert.

        " Jedoch sollte man sich auch über Länder wie Georgien oder Moldawien bzgl Sicherheitsgarantien Gedanken machen" Also soll der Westen im Zweifelsfall doch in den Krieg gegen Russland ziehen? Warum dann nicht jetzt ist Putin Realist und an Frieden interessiert zieht er sich zurück sobald die NATO eingreift, ist er es nicht sind ihre ganzen Gedankenspiele Makulatur.

  • "Kriegsmüde, leere Munitionsdepots"



    Wirklich eindrucksvoll, die Kampfbereitschaft der NATO. Nicht mal selber im Krieg, und schon am Ende. Putin dürfte beeindruckt sein.

    • @Encantado:

      Es ist ja nicht eine Frage der Fähigkeiten, sondern des Willens. Man möchte halt wegen eines lokalen Krieges nicht das Risiko einer nukleare Eskalation hinnehmen. Inzwischen weiß man ja auch, dass Putin sehr entschlossen ist und eine Niederlage nicht aktzeptieren würde.



      Putin ist zwar skrupellos, aber durchaus ein Realist und weiß um die Stärke der Nato.

      • @Alexander Schulz:

        " Putin ist zwar skrupellos, aber durchaus ein Realist und weiß um die Stärke der Nato." Dann gibt es keine nukleare Eskalation.

        " Inzwischen weiß man ja auch, dass Putin sehr entschlossen ist und eine Niederlage nicht aktzeptieren würde." Kyiv, Kharkiv, Kherson, alles Niederlagen alles hingenommen.

        • @Machiavelli:

          In Russland geht man davon aus, dass die USA auf einen begrenzten nukleareinsatz nicht irrational reagieren. Sie stehen schon wie gefährlich rationale Annahmen bei nuklearer Eskalation sind, deswegen möchte sich auch niemand in diesen Bereich begeben und deswegen nimmt man ja auch Rücksicht auf Russlands rote Linien.

          Bzgl Kiew, Kharkiv, Kherson; Putin hat nach jeder Niederlage exkaliert und das ist ja auch Verhalten aus der Vergangenheit, dass man von ihm kennt.



          Stellen Sie sich Mal vor was passieren würde, wenn Russland (auch wenn der sehr unwahrscheinlich ist) die Krim verlieren würden.



          Bei einer Beurteilung der Lage sollten Fakten Vorrang haben vor Einschätzungen, die emotional begründet sind.

          • @Alexander Schulz:

            "In Russland geht man davon aus, dass die USA auf einen begrenzten nukleareinsatz nicht irrational reagieren." Die USA und NATO würden militärisch intervenieren das haben sie mehrmals kommuniziert und auch China wäre extrem wütend auf Russland.

            "Russlands rote Linien." so wie Russlands rote Linien bei Waffenlieferungen, Lieferungen von Panzer, Flugabwehr, Rakten mit hoher Reichweite, Flugzeugen etc. etc.

            " Stellen Sie sich Mal vor was passieren würde, wenn Russland (auch wenn der sehr unwahrscheinlich ist) die Krim verlieren würden." Dann wäre es da wo es 2013 war, die verbleibenden Schiff müssten sich halt einen neuen Hafen suchen, aber die russische Schwarzmeerflotte hat sowie so keine Zukunft weil sie der türkischen Marine nicht gewachsen ist.

            "Bzgl Kiew, Kharkiv, Kherson; Putin hat nach jeder Niederlage exkaliert und das ist ja auch Verhalten aus der Vergangenheit, dass man von ihm kennt." Er hat eskaliert? Er hat halt Schritte getroffen den Krieg weiterzuführen, neue Taktiken ausprobiert. Wenn sie ernsthaft meinen er würde Atomwaffen geben ließe sich das Problem durch die Lieferung von Atomwaffen an Kyiv lösen, dann weis er das er definitiv verliert wenn er solche einsetzt.

            " Bei einer Beurteilung der Lage sollten Fakten Vorrang haben vor Einschätzungen, die emotional begründet sind." Ihre Definition von Fakten ist sagen wir mal ambivalent.

            Er kann den Krieg weiterführen aber man muss nur die Verlustzahlen weiter führen in die Zukunft in 2 Jahren wird nicht mehr viel von der Schwarzmeerflotte und der russischen Armee übrig bleiben, klar leidet die Ukraine. Aber wir kaufen uns günstig dauerhafte Sicherheit in dem wir Russland trocken bluten.