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Bestattung von Muslimen und AlevitenGrab in Berlin statt in der Türkei

Im Wedding wurde ein muslimisches und alevitisches Grabfeld eröffnet. Die Nachfrage hat zuletzt zugenommen, berichten Bestattungsinstitute.

Feierliche Eröffnung der Gräberfelder am Freitag im Wedding Foto: Hülya Gürler

Berlin taz | Der Wedding ist für viele muslimische und alevitische Ber­li­ne­r*in­nen Heimat. In der Heimat am Grab eines geliebten Verstorbenen zu trauern sollte eigentlich selbstverständlch sein. Viel zu lange jedoch ist dieses Bedürfnis im Ortsteil ignoriert worden.

Das soll sich nun ändern. Bei der Eröffnung der muslimischen und alevitischen Grabfelder auf dem Weddinger Urnenfriedhof in der Seestraße drückte Mittes Bürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) vergangenen Freitag ihren Unmut über den bisherigen Mangel so aus: „Mir fiel es wie Schuppen aus den Augen, wie unglaublich es ist, dass wir erst im Jahr 2023 auch in diesem Bezirk so ein Grabfeld eröffnen.“ Es hätte viel früher passieren sollen, so Remlinger. In der Nähe des Wohnorts bestattet zu werden „darf keine Frage des Glaubens sein“, findet auch Mittes Umweltstadträtin Almut Neumann (Grüne).

2021 beschloss die Bezirksverwaltung unter Beteiligung der alevitischen und mehrerer muslimischer Gemeinden die Einrichtung der Grabfelder in kommunaler Trägerschaft. Die Flächen waren bisher mit Urnen belegt. 672 Grabstellen sieht das Bezirksamt bisher für Bestattungen nach muslimischem und 126 nach alevitischem Ritus vor. „Die Zahl der Flächen wird in den nächsten Jahren als Folge der abtauchenden Urnenbelegung nach und nach steigen“, sagte Neumann in ihrer Eröffnungsrede.

Bisher für Urnen vorgesehene Flächen mussten laut Neumann für Körperbestattungen umgestaltet werden. Auch habe – zumindest für die für Muslime vorgesehenen Gräber – „eine Vermessung stattgefunden mit Ausrichtung nach Mekka“, fügte die Bezirksstadträtin hinzu. Ver­tre­te­r*in­nen dreier muslimischer und der alevitischen Gemeinde hielten bei der Eröffnung mit rund 70 Teil­neh­me­r*in­nen jeweils eine Rede. Die muslimischen Ver­tre­te­r*in­nen rezitierten anschließend Verse aus dem Koran, ein alevitischer Geistlicher trug eine Devriye und einen Gülbenk (alevitisches Gebet) vor.

„Berlin ist unsere Heimat“

Unter den Red­ne­r*in­nen war auch Said Jurnal, der Imam der Ayasofya-Moschee. Die Nachfrage ist laut Jurnal enorm: „Viele Mitglieder unserer Gemeinde lassen sich lieber hier begraben statt wie bisher in der Türkei.“ Das sei eine logische Entwicklung. „Berlin ist schließlich auch unsere Heimat. Die nachkommenden Generationen werden dauerhaft hier bleiben“, fügt Jurnal hinzu.

Auch von muslimischen Bestattungsinstituten hören die Gemeindemitglieder vermehrt, dass lokale muslimische Bestattungen stark zugenommen haben. Sechs muslimische Grabfelder gibt es bisher in Berlin. Mit der Grabstätte in der Seestraße ist nun das siebte hinzugekommen. Die bestehenden Grabfelder konnten die Nachfrage mancherorts nicht mehr decken: „2018 eröffnete ein zweites muslimisches Grabfeld am Columbiadamm in Neukölln. Innerhalb kürzester Zeit war es vollständig belegt,“ so Jurnal.

Auch unter Ale­vi­t*in­nen wächst der Bedarf. „Der Tod ist nun mal ein Teil unseres Lebens“, sagt der Vorsitzende der alevitischen Gemeinde zu Berlin, Yüksel Özdemir. Es gebe gute Gründe für den Wedding als wohnortnahen Standort: „Wir wissen, dass nach Kreuzberg und Neukölln die meisten Ale­vi­t*in­nen in Wedding wohnen,“ so Özdemir. Schätzungen gehen für ganz Berlin von 70.000 Ale­vi­t*in­nen aus.

Nach dem ersten alevitischen Gräberfeld im St.-Thomas-Friedhof in Neukölln ist dies das zweite in Berlin. Die Gemeinde hat weitere Pläne: „Auch in anderen Bezirken streben wir die Einrichtung von Grabfeldern an“, verrät der Vorsitzende. Es fänden Gespräche auf mehreren Ebenen statt. In Spandau sind die Gespräche laut Özdemir „ziemlich fortgeschritten“.

Die alevitische Gemeinde ist seit Ende letzten Jahres in Berlin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Deshalb darf sie einen eigenen Friedhof ohne bezirkliche Bevormundung betreiben. Genau dieses Ziel verfolgt die Berliner Gemeinde: den Betrieb eines großen alevitischen Gräberfelds in eigener Trägerschaft außerhalb Berlins.

Die Vorgespräche liefen nicht immer konfliktfrei. Einige Teil­neh­me­r*in­nen fragten sich, warum es ein separates Grabfeld für Ale­vi­t*in­nen geben muss statt eines einzigen muslimischen für alle. Hinter solchen Überlegungen steckt die noch immer vorherrschende Haltung, das Alevitentum als Teil des Islams anzusehen und nicht als einen eigenständigen Glauben. Eine Auffassung, mit der Ale­vi­t*in­nen ständig konfrontiert werden.

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7 Kommentare

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  • In der Nähe des Wohnortes bestattet zu werden, war auch bisher keine Frage des Glaubens in dem Sinne, dass Muslime nicht auf einem städtischen oder christlichen Friedhof bestattet worden wären.

    Da strotzt die Umweltstadträtin nicht mit Sachkenntnis.

    Es gab nur kein spezielles Gräberfeld für Muslime oder Aleviten.

    Für viele Muslime ist es nicht vertretbar, auf einem Friedhof zusammen mit Nichtmuslimen bestattet zu werden.

    Eigene Gräberfelder sind da schon eine Kompromislösung.

    • @rero:

      Ob die Muslime ein Problem damit haben, auf einem Friedhof gemeinsam mit nNichtmuslimen bestattet zu werden, wage ich zu bezweifeln. Nach der furchtbaren Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg wollten die Türken die Gefallenen aller beteiligten Länder gemeinsam beerdigen, als Zeichen, dass im Tod alle gleich sind. Dies scheiterte an den Briten, die auf separate Bestattung bestanden.



      Ich denke, die Probleme ergeben sich eher aus dem deutschen Friedhofs- und Bestattungsrecht. Unsere Friedhöfe - zumindest die Reihengräber - sind geradewegs militärisch exakt in parallelen Linien angeordnet eine Ausrichtung des Grabes in Richtung Mekka daher oftmals schwierig. Der mittlerweile weitgehend abgeschaffte Sargzwang stellte ein weiteres Hindernis dar. Vor allem aber haben Muslime ein Problem damit, dass die Liegezeit auf deutschen Friedhöfen begrenzt ist, denn nach muslimischen Regeln muss ein Grab solange weiterbestehen, bis die letzten Reste des Körpers auf natürliche Weise vergangen sind. Das dauert in der Regel 30 Jahre oder sogar mehr.



      Ein eigenes Gräberfeld, auf dem die "deutschen" Regeln ausgesetzt und muslimischen Erfordernissen hin angepasst sind, ist kein Kompromiss, sondern praktische Lösung. Das erste Gräberfeld wurde in Hamburg übrigens bereits 1941 eingeweiht, es geht also scheinbar ganz einfach, wenn man nur will...

      • @Cerberus:

        Wenn Sie es bezweifeln, recherchieren Sie es doch einfach.

        Wenn ich will, dass das Grab länger besteht, nehme ich einfach eine Wahlstelle und verlängere sie.

      • @Cerberus:

        Die "Liegezeit" beträgt doch 25 oder 30 Jahre und es besteht auch die Möglichkeit, sie zu verlängern. Man muss das Grab dann nicht aufgeben.

    • Hülya Gürler , des Artikels,
      @rero:

      Man darf aber auch nicht vergessen, dass Muslime mit einer Ausrichtung gen Mekka bestattet werden wollen, wie im Artikel steht. Das ist in christlichen Grabanlagen nicht unbedingt gegeben.



      Viele bestehende Grabfelder für Muslime sind früher für Christen vorgesehen gewesen. Das darf man auch nicht aus dem Auge verlieren.



      Genauso lässt sich die Frage stellen: Würden sich Christen in den für Muslime vorgesehenen Grabfeldern begraben lassen?

      • @Hülya Gürler:

        Damit war also grundsätzlich die Bestattung in Wohnortnähe möglich.

        Die Friedhöfe haben sich nun etwas bewegt, um den besonderen Bedürfnissen von Muslimen nachzukommen.

        Würden sich Christen in den für Muslime vorgesehenen Grabfeldern begraben lassen?

        Ja, würden Sie. Auch Nichtchristen.

        Städtische Friedhöfe sind keine Christenveranstaltung.

        Da gehört es mit zu, dass dort Menschen unterschiedlicher Religion liegen.

        Im Tod sind alle gleich.



        Normale Christen kennen dieses Distinktionsbedürfnis nicht.

      • @Hülya Gürler:

        Ja, die erforderliche Ausrichtung nach Mekka ist eher der Grund, warum eine gemeinsame Bestattung mit Nichtmuslimen nicht geht.



        Daraus geht allerdings nicht hervor, dass Aleviten unbedingt ein eigenes Gräberfeld benötigen.