Unterbringung von Geflüchteten in Berlin: Beengte Verhältnisse

Die Bedingungen sind nicht ideal, aber besser als ein Feldbett: Im Flughafen Tempelhof ist eine neue Großunterkunft für Geflüchtete eröffnet worden.

Das Bild zeigt die Container für Geflüchtete im Hangar 1 des Flughafen Tempelhofs.

In langen Reihen: Insgesamt 220 Container sind im Hangar 1 des Flughafens Tempelhof übergeben worden Foto: Rainer Rutz

BERLIN taz | Zwölf Quadratmeter mit zwei Doppelstockbetten, einem Tisch, zwei Stühlen und einem Viererspind: Es ist beengt und alles andere als wohnlich in den 220 Containern. In gerade mal elf Tagen wurden die Wohnboxen in langen Reihen in den Hangar 1 des ehemaligen Flughafens Tempelhof eingebaut. Am Freitagvormittag gingen sie als neue Großunterkunft für Geflüchtete in Betrieb.

„Das ist sicher besser als der Standard vor ein paar Jahren, aber eine Lösung auf Dauer ist das nicht“, sagt Tempelhof-Schönebergs Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) zur taz bei einem Rundgang durch die Halle.

Die Pressebesichtigung muss schnell über die Bühne gehen. Unmittelbar im Anschluss sollen 600 Geflüchtete einziehen. Ausschließlich allein reisende Männer, wie das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) betont. Ein Großteil von ihnen campierte in den vergangenen Tagen auf Feldbetten im Empfangsgebäude des Flughafens, gänzlich ohne Privatsphäre. Wie man es dreht und wendet: Demgegenüber sind die Container im Hangar 1 eine Verbesserung.

Zusammen mit den schon seit Dezember vergangenen Jahres als Flüchtlingsunterkunft genutzten Hangars 2 und 3 leben im Flughafengebäude selbst jetzt 1.400 Menschen. Hinzu kommen die überwiegend ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die in den seit Jahren bestehenden 850 Tempohomes vor den Hangars wohnen. Perspektivisch sollen weitere 200 Plätze in Containern auf einem Parkplatz am Tempelhofer Damm geschaffen werden.

Berlin ist faktisch am Limit

Klar sei, so Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) am Freitag bei der Eröffnung des Containerdorfs im Hangar 1: „In Berlin entstehen Großunterkünfte in einem Ausmaß, das es bundesweit nicht gibt.“ Aber anders sei die Lage aktuell nicht zu bewältigen. Kiziltepe verweist darauf, dass die Hauptstadt bei der Aufnahme von Geflüchteten faktisch an seine Grenzen gekommen sei.

Allein in der letzten Woche seien täglich etwa 200 Menschen in Berlin angekommen, doppelt so viel wie in der Vorwoche. Insgesamt hat die Stadt in diesem Jahr – ohne die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine – bereits rund 13.000 Asylsuchende aufgenommen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es bis Oktober rund 10.000.

Zugleich sind die bereits vorhandenen regulären Unterkünfte mit ihren etwas mehr als 30.000 Plätzen voll bis zum Anschlag. LAF-Sprecher Sascha Langenbach sagt zur taz: „Wir sind hier eigentlich bei null freien Plätzen.“ Wobei alle neu eröffneten Unterkünfte ebenfalls binnen kurzer Zeit bis auf den letzten Platz belegt sein dürften.

Schließlich ist auch das „Ankunftszentrum“ des LAF in Reinickendorf überfüllt, in dem Geflüchtete nur bis zu ihrer Registrierung untergebracht werden sollen. Ausgelegt ist das Gelände auf 1.100 Menschen, derzeit leben dort nach Angaben von Langenbach rund 2.300. Integrationssenatorin Kiziltepe spricht von einem „Rückstau bei der Registrierung“.

Erst vor wenigen Tagen beklagten Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Amtes in einem Brief die auch hygienisch unhaltbaren Zustände in Reinickendorf. „Genau genommen war das der zweite Brandbrief in den vergangenen Wochen“, sagt Sascha Langenbach. Die gut 550 Mit­ar­bei­te­r:in­nen des LAF arbeiteten zwar auf Hochtouren, so Langenbach. Aber auch das scheint in der angespannten Situation wenig zu helfen. Immerhin kämen im November und Dezember 27 neu eingestellte Mit­ar­bei­te­r:in­nen hinzu. Klingt nicht viel? „Das ist sensationell“, findet der LAF-Sprecher.

Kiziltepe kritisert Abschiebegesetz des Bundes

Cansel Kiziltepe fordert am Freitag erneut, dass der Bund mehr Geld für die Aufnahme und Versorgung Geflüchteter zur Verfügung stellen müsse. Zuletzt hätte allein der Betrieb der Notunterkunft Tegel etwa 40 Millionen Euro im Monat gekostet – eine enorme Belastung für das Land Berlin. „Aus meiner Sicht müssten wir nach der Corona-Notlage eine Flüchtlings-Notlage ausrufen und so die Schuldenbremse aussetzen“, sagt die Integrationssenatorin.

Die SPD-Politikerin macht dabei mit Blick auf den Bund auch deutlich, was sie von dem am Mittwoch vorgestellten Gesetzentwurf hält, mit dem Abschiebungen von Ausreisepflichtigen beschleunigt werden sollen: „Nichts. Das ist reine Symbolpolitik“, sagt Kiziltepe zur taz – und widerspricht damit auch Senatschef Kai Wegner (CDU), der das Abschiebegesetz als Ausdruck der „Humanität“ gefeiert hatte.

Kiziltepe sagt, es sei ein Irrglaube, dass das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Bundesregierung zu einer Entlastung vor Ort führe, da ohnehin etwa 70 Prozent der Asylsuchenden eine Bleibeperspektive hätten. Ganz zu schweigen davon, dass damit die gesellschaftlichen Debatten über Migration noch einmal verschärft würden: „Was auf Bundesebene gerade gesagt wird, das halte ich für hochproblematisch.“

Das ist letztlich auch auf SPD-Kanzler Olaf Scholz gemünzt – obwohl Kiziltepe es tunlichst vermeidet, den Namen des Parteifreundes auszusprechen. Scholz hatte am vergangenen Wochenende dem Spiegel gesagt: „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben.“

Auf Nachfrage sagt Kiziltepe nur so viel: Sie stehe in dieser Hinsicht voll und ganz hinter der Kritik ihres Staatssekretärs Aziz Bozkurt (SPD). Der hatte in einem am Montag veröffentlichten Gastbeitrag für die taz geschrieben: „Einem Olaf Scholz rutschen Worte nicht einfach so aus dem Mund. Aber strategisch sind solche Worte der Weg in die rechte Sackgasse.“

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