Ungeklärter Polizeieinsatz: Verhängnisvolle Fehler

Der Kongolese Medard Mutombo starb nach einem Polizeieinsatz. Berlins Polizeibeauftragter untersuchte den Fall und fand vermeidbare Fehler.

Mutombo Mansamba bemüht sich um Aufklärung. Hier mit einem Bild von dem Bruder

Mutombo Mansamba bemüht sich um Aufklärung. Hier mit einem Bild von dem Bruder Foto: Salman Ahmed/Anadolu Agency/picture alliance

BERLIN taz | Ein psychisch kranker Mann kollabiert bei einem Polizeieinsatz in einen Wohnheim in Spandau. Bewusstlos wird er ins Krankenhaus gebracht, liegt sechs Wochen im Koma, dann stirbt er. Ein Jahr ist das inzwischen her, aber immer noch beschäftigt der Todesfall des 64-jährigen Kongolesen Kupa Ilunga Medard Mutombo Öffentlichkeit und Behörden.

Berlins Bürger- und Polizeibeauftragter Alexander Oerke hat den Fall Mutombo eigenständig untersucht und nun einen Zwischenbericht auf seiner Homepage veröffentlicht. Er habe keine strafrechtliche Bewertung vorgenommen, sagt Oerke im Gespräch mit der taz. Das sei Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Auf Basis von Aktenstudien und Zeugenbefragungen habe er sich aber dennoch ein Bild machen können, so Oerke. Sein Fazit: „Nicht nur die Polizei hat vieles falsch gemacht. Es gab eine Verkettung von vermeidbaren Fehlern.“

Medard Mutombo lebte seit vielen Jahren in dem Wohnheim des Diakonischen Werks in Spandau. Er hatte einen gesetzlichen Betreuer, weil er an einer psychotischen Störung litt. Am 14. September 2022 sollte er aufgrund eines Gerichtsbeschlusses vorläufig in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht werden. Weil davon auszugehen war, dass Mutombo nicht freiwillig mitgehen würde, hatte die Betreuungsbehörde beim Bezirksamt Spandau die Polizei um Vollzugshilfe gebeten. Der Einsatz endete in einer Katastrophe. Am 6. Oktober starb Mutombo in der Charité (taz berichtete).

Der 68-jährige Bruder Mutombo Mansamba bemüht sich seither um Aufklärung. In der Hoffnung, dass ihm eine bessere Pflege als im Kongo zuteil werden würde, hatte er den kranken Bruder 1995 nach Berlin geholt. Regelmäßig habe er Medard in dem Heim besucht, so Mansamaba zur taz. Aber niemand habe ihn informiert, dass der Bruder in die Psychiatrie kommen solle und dass die Polizei zur Unterstützung hinzugezogen werde.

Psychisch Kranke sind mitunter unberechenbar

Der Umgang mit psychisch Kranken stellt die Polizei vor große Herausforderungen. Menschen, die sich in einer seelischen Ausnahmesituation befinden, reagieren mitunter unberechenbar. Immer wieder sind psychisch Kranke im Zuge von Polizeieinsätzen ums Leben gekommen, meist weil die Beamten auf sie geschossen hatten. 2013 im Bezirk Mitte war das zum Beispiel so. Ein Polizist erschoss damals einen psychisch kranken Mann, der nackt im Neptunbrunnen mit einem Messer hantierte.

Er wisse um die Schwierigkeiten bei Einsätzen gegen psychisch kranke und unter Drogen stehende Menschen, so Oerke zur taz. Dass es immer wieder zu schweren Zwischenfällen komme, sei damit zu erklären, dass sich zumeist um spontane Einsätze auf der Straße handele, nicht planbar für die Beamten.

Der Fall Mutombo sei aber anders gelagert. „Es hätte im Vorfeld Zeit gegeben, den Einsatz gründlich vorzubereiten, was aber nicht geschah.“

Zentraler Kritikpunkt in Oerkes Bericht ist, dass die Polizei kein für derartige solche Einsätze spezialisiertes Personal in das Heim geschickt hatte. Stattdessen kamen drei Kontaktbereichsbeamte, die rechtlich keine Ahnung gehabt hätten.

Beschluss rechtswidrig

Zweiter zentraler Punkt: Der Unterbringungsbeschluss des Betreuungsgerichts war rechtswidrig. Vor Erlass des Beschlusses hätte das Gericht Mutombo persönlich anhören müssen, um sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Das war nicht passiert. Dieser Verfahrensmangel wiege derart schwer, dass dem Beschluss „insgesamt der Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet“, so Oerke unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Dritter Punkt: Die Kontaktbereichsbeamten hatten kein Recht gehabt, das Zimmer von Mutombo zu betreten. Nur mit Mutombos Einwilligung hätte das geschehen dürfen, oder wenn das Betreuungsgericht dies „ausdrücklich genehmigt“ hätte. Auch Gefahr im Verzug, die ein unverzügliches Vorgehen erlaubt hätte, habe nicht bestanden, ist Oerke überzeugt.

Bis zum Zeitpunkt des Eindringens in das Zimmer sei die Lage „ruhig und stabil“ gewesen, hat der Polizeibeauftragte in seinem Bericht festgestellt. „Herr Mutombo befand sich in seinem Zimmer, die anderen Personen standen im Flur.“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt, als Mutombo auf das Klopfen an seiner Tür nicht reagierte, so Oerke, „hätte der Einsatz beendet werden müssen.“

Tatsächlich sei es aber so gewesen, dass ein Sozialarbeiter des Heims die Tür mit einem Zweitschlüssel geöffnet habe. Die drei Kontaktbereichsbeamten hätten sich so Zutritt in das Zimmer verschafft. „Freundlich und ruhig“ hätten sie zunächst versucht, Mutombo zum Mitkommen zu bewegen. Der habe beim Anblick der Beamten jedoch „rotgesehen“.

Handfesseln angelegt

Eine Kommunikation sei ab da nicht mehr möglich gewesen. Mutombo habe sich nicht aus dem Zimmer ziehen lassen, habe sich gewehrt. Deshalb seien ihm Handfesseln angelegt worden. Mutombos habe sich an seinem Bettgestell festgehalten, die Polizisten getreten, bespuckt und gebissen.

Zehn weitere Polizeikräfte seien zur Unterstützung gerufen worden. Diese hätten den fixierten Betroffenen, der sich weiterhin massiv gewehrt habe, aus dem Zimmer getragen. Dann sei Mutombo „plötzlich weggetreten“.

Gesprochen hat der Polizeibeauftragte eigenen Angaben zufolge unter anderen mit dem gesetzlichen Betreuer, einem Mitarbeiter des Bezirksamts Spandau und einem Sozialarbeiter des Heims. Die drei seien bei dem Polizeieinsatz auf dem Flur zugegen gewesen, hätten das Zimmer durch einen Türspalt aber nur begrenzt einsehen können. Von Schlägen der Polizeibeamten habe ihm niemand berichtet, so Oerke.

Blut aus Mund und Nase gelaufen

Der gesetzliche Betreuer habe allerdings berichtet, gesehen zu haben, wie ein Polizeibeamter auf dem Kopf beziehungsweise im Halsbereich von Mutombo gekniet habe. Mutombo sei Blut aus Mund und Nase gelaufen, das mit einem Bettlaken weggewischt worden sei.

Die beteiligten Polizisten hätten sich, auch mit Blick auf das noch laufende Ermittlungsverfahren, ihm gegenüber nicht geäußert, so Oerke.

Ermittelt wird nach Angaben des Sprechers der Staatsanwaltschaft in dem Fall gegen unbekannt wegen Körperverletzung im Amt. Eigentlich war das Verfahren am 21. April 2023 bereits eingestellt worden. Der Bruder, Mutombo Mansamba, hatte dagegen erfolgreich Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft eingelegt. Die Wiederaufnahme der Ermittlungen erfolgte am 16. August 2023.

Der Fall sei menschlich sehr tragisch, sagt Oerke. Er hoffe, dass die Verantwortlichen aus den vielen Fehlern, die gemacht worden seien, Lehren ziehen. Die Polizei müsse künftig in vergleichbaren Fällen geeignete Kräfte mit Spezialkenntnissen einsetzen.

Anhaltspunkte dafür, dass Mutombo von den Polizisten körperlich misshandelt worden sei, habe er aber nicht gefunden, betont der Polizeibeauftragte gegenüber der taz. Auch aus der von dem gesetzlichen Betreuer geschilderten Szene könne er nicht ableiten, dass die Polizisten unrechtmäßig Gewalt angewendet hätten. Zudem sei der Betreuer der Einzige gewesen, der von einer solchen Szene gesprochen habe.

Kein Anhaltspunkt für rassistisch motivierte Behandlung

Oerke geht aber noch weiter in seiner Einschätzung des Falls: Auch für eine diskriminierende, rassistisch motivierte Behandlung Mutombos gebe es „überhaupt keine Anhaltspunkte“.

Entsprechende Vermutungen hatten die Opferberatungsstelle ReachOut und der Bruder des Toten bei zwei Pressekonferenzen geäußert. Sie stützen das auf die Schilderung des gesetzlichen Betreuers sowie eines Notarztes, der nach Mutombos Zusammenbruch von einem „lagebedingten Erstickungstod“ gesprochen haben soll.

Die Pressestelle der Polizei kommentierte den Bericht des Polizeibeauftragten auf Nachfrage der taz am Freitag so: Man nehme die darin enthaltenen Hinweise ernst und werde prüfen „ob und inwiefern“ für künftige vergleichbare Einsätze Optimierungsbedarf bestehe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.