piwik no script img

Die Kunst der WocheKunst vs. Gender-Gap

Die neue Goldrausch-Ausstellung und eine Schau zu Care Work geben experimentell-politische Antworten auf sexistische Schieflagen in der Kunstwelt.

Shira Orion, „Heiße Liebe“, Videostill, 2021 Foto: Shira Orion

E ines der erfolgreichsten Kunstförderprogramme der Stadt wurde vor 34 Jahren auf private Initiative von Goldrausch e.V. ins Leben gerufen. Entsprechend der Philosophie der Initiatorinnen, die eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu fördern, ist das Goldrausch-Künstlerinnenprojekt eine eigenständige berufliche Weiterbildung. Inzwischen fördern der Europäische Sozialfonds ESF und die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung den einjährigen postgradualen Professionalisierungskurs für bildende Künstlerinnen mit Wohnsitz in Berlin.

Zu den rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Grundkenntnissen, die den bis zu 15 Teilnehmerinnen vermittelt werden, gehören das Erstellen einer Steuererklärung ebenso wie Kenntnisse im Zeitmanagement oder die Bewerbung um entsprechende Stipendien und Künstlerinnenresidenzen. Nicht die Her- sondern die Darstellung von Kunst steht im Mittelpunkt des Programms, das die Präsenz von Frauen im Kunstbetrieb stärken will. Sei es durch die ansprechende Gestaltung der Website oder der Bewerbungsmappe bzw. durch die Gestaltung der Gruppenausstellung samt Katalog als krönendem Abschluss des Professionalisierungsprojektes.

„on the edge of“ orakelt die aktuelle Ausstellung in der Galerie Weißer Elefant und tatsächlich kann man sich derzeit ja am Rande vieler Katastrophen sehen. Doch ganz so apokalyptisch ist der Titel nicht gemeint. Vielmehr wollen die 15 Künstlerinnen, die analoge Experimentalfilme, Video- und Soundinstallationen oder konzeptuelle Fotografie, Malerei, Tapisserie, Performance und Skulpturen zeigen, inhaltliche und mediale Grenzen der Kunstpraxis ausloten.

Lillian Morrisey allerdings thematisiert mit „Achilles drags Hector’s corpse across the battlefield“ – einer raffiniert bemalten und mit Kriegern und Kriegswerkzeug von der Antike bis heute bestickten Leinwand im Stil des Teppichs von Bayeux – Gewalt als Transformationsmedium eben doch der Politik. Die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zeigt auf ihrer Tapisserie zwar Kämpfer, aber ironischerweise kein Angriffsziel und keinen Kampf.

Die Grenzen der Kulturen ermittelt dann Ximena Ferrer Pizarro. Die 1994 in Lima, Peru, geborene Künstlerin malt mit Acryl schnell und in leuchtenden Farben und bezieht sich dabei auf die präkolumbianische Kunst ebenso wie auf den deutschen Expressionismus und den Kubismus. Gleichzeitig sind die grenzüberschreitenden Bezüge zum Medium der Telenovela überdeutlich – so wie ihre Kompositionen mit den in häuslicher Umgebung gezeigten, stets etwas plumpen, aber farbenfrohen Figuren Mikrogeschichten von Liebesverrat, Seitensprüngen, aber auch rassistischer Verachtung und Dummheit erzählen.

Natürlich ist es ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, eine Ausstellung mit gleich 15 durchgängig interessanten und komplexen Positionen zu besprechen. Da hilft da nur ein entschiedenes – wenn auch nicht wirklich begründbares – Weglassen. Lediglich Shira Orions 15minütiges Video „Sparato In Mezzo“ sei hier noch erwähnt. Es basiert recht frei auf einer Kurzgeschichte von Natalia Ginzburg, wobei sie nun in der Gegenwart der Stadt Haifa spielt, dem Geburtsort der 1993 geborenen Medienkünstlerin und Filmemacherin.

Der spannend anzusehende experimentelle Kurzfilm zeigt einen gescheiterten Versuch weiblicher Emanzipation, indem dokumentarische wie inszenierte Alltagszenen unterschiedlichster Art mit Zeichnungen, Fotografien und digital bearbeiteten Drucken montiert werden. Dazu kommen ein hölzernes Kamel und expressiv-narrative Grafiken, die teils im Eingang zum Hof hängen.

In der Endlosschleife

Alle Professionalisierung hilft freilich nicht gegen den Umstand, dass die Künstlerinnen die Kinder bekommen und nicht die Künstler. Die haben zwar Kinder, aber betreuen sie nicht. Sie machen Kunst. Deswegen vergibt der Kunstfonds Bonn sein „Stipendium für bildende Künst­le­r*in­nen mit Kindern unter 7 Jahren“ auch lieber an Künstler als an Künstlerinnen. Bei letzteren gelten Kinder nicht als ein Asset wie man heute sagt, sie sind keine positive, der Karriere förderliche Ressource. Die aktuelle Ausstellung im Projektraum der Alten Feuerwache Friedrichshain benennt den wunden Punkt der Künstlerinnenmütter im Titel: „We care. Do you?“.

Immer wieder sehen sich kunstschaffende Mütter mit dem Vorurteil konfrontiert, Sorge- und kreative Arbeit schlössen einander aus. Dieses Vorteil ganz pragmatisch abzubauen, dabei hilft nun der zeitgenössische Kunstbetrieb mit seinen wenig familienfreundlichen Strukturen – man denke nur an den Mangel von familienfreundlichen Förder- und Residenzprogrammen – überhaupt nicht. Das Thema Care und Kunstproduktion ist die große Leerstelle im Kunstdiskurs wie Ines Doleschal deutlich macht, indem sie Irena Jukić Pranjić, Magdalena Kallenberger, Rachel Kohn, Teresa Monfared & BeyondRe:Production, Alice Münch, Christina Stark, Ellen Louise Weise und sich selbst mit der von ihr konzipierten Schau diesen Diskurs- und Reflexionsraum eröffnet.

Jede der acht Künstlerinnen visualisiert auf ihre Weise die schwierige Situation. Rachel Kohn hängt ganz lapidar unterschiedliche Wischlappen und auch mal einen gehäkelten Topflappen an die Wand. Freilich als die für sie typische Keramikarbeit: die Putzlappen als skulpturales Poem. Christina Stark vergibt mit „solidary WE“ ein Atelierstipendium an eine Künstlerin mit Kind. Irena Jukić Pranjić zeigt weibliche Care-Arbeit als endlose Reproduktionsschleife im wunderbar idealtypisch gezeichneten Fake-Videospiel „Gamer Girl“. Die Protagonistin gewinnt das Spiel, in dem Moment, in dem das ganze Leben und die ganze Person von der Care-Arbeit verschlungen werden.

Den analytisch-kritischen Blick auf den Status quo hat auch Ines Doleschal in ihren Arbeiten, in denen sie sachlich foto-/grafische Bildkonstruktionen mit Statistiken, Forschungsresümees und Manifesten zu anregenden Denkbildern collagiert. „Kräftemessen“ nennt Magdalena Kallenberger das Foto, das sie und ihren kleinen Sohn spielerisch Ringen in einer dunkelgrauen Felsmasse zeigt. Auch die dreiteilige Fotoarbeit „Me and the Boy“, mit ihren Verrenkungen, um dem Jungen den Blick über einen hohen Bretterzaun zu ermöglichen, ist eine schöne Ohne-Worte-Geschichte mütterlicher Aufopferung.

In den darstellenden Künsten schließlich scheint die Situation etwas ermutigender zu sein, wie die Video-Interviews in „Beyond Re:Production“ von Teresa Monfared und Lotte Dohmen zeigen. „Komm mit mir ans Schauspiel Bremen“, sagt die Lehrerin zur Absolventin. „Du darfst so viele Kinder haben, wie du willst“. Die Offenheit mag daran liegen, dass hier Teamarbeit die Regel ist und nicht das einsame Künstlergenie in seinem Atelier – allenfalls umgeben von beflissenen zu Diensten stehenden Assistenten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!