Solidarität mit Israel: „Euer Schmerz ist unser Schmerz“

Ein breites Bündnis demonstriert am Sonntag gegen Antisemitismus und gegen den Terror der Hamas. Angehörige der Geiseln fordern zum Handeln auf.

Zwei Frauen bei der Kundgebung am Brandenburger Tor. Eine Frau hält ein Kind im Arm, dahinter ist eine israelische Flagge zu sehen

Trauer und Wut am Sonntag bei der Solidaritätskundgebung für Israel Foto: AP Photo/Markus Schreiber

BERLIN taz | Wo ist Eitan Yahalomi? Wo ist David Shalev? Wo ist Ariel Bibas? Seit 15 Tagen sind sie nun verschwunden. Verschleppt von der Terrormiliz Hamas. Es gibt kein Lebenszeichen, keinen Hinweis, wo sie sind, von diesen drei Israelis, wie von rund 200 anderen. „Holt sie zurück nach Hause, jetzt!“, rufen die Angehörigen der Geiseln an diesem Sonntag am Brandenburger Tor. Die Zahlen haben Gesichter bekommen.

Hinter den Zahlen stehen Geschichten. Da ist die Schwester einer jungen Frau, die ihren Geburtstag feiert. Da ist der Familienvater, dessen Frau und Kinder zu Besuch in einem der Kibbuzim war, die am 7. Oktober von der Hamas überfallen wurden. Am Brandenburger Tor wollen sie um Hilfe bitten. 85 Jahre nach der Reichspogromnacht. „Ich stehe hier allein“, sagt eine der Angehörigen. „Du bist nicht allein“, ruft es ihr aus der Menge entgegen.

Ein breites Bündnis unter dem Motto „Gegen Terror, Hass und Antisemitismus – Solidarität für Israel“ hatte zu der Kundgebung aufgerufen. Teil des Bündnisses sind neben der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Nichtregierungsorganisation Campact Gewerkschaften, der Paritätische, Arbeitgeberverbände, die beiden großen christlichen Kirchen, alle demokratischen Parteien, der Zentralrat der Juden sowie die Alhambra-Gesellschaft als einziger muslimischer Verband. Enorme Sicherheitsvorkehrungen wurden aufgefahren, nach Angaben der Veranstalter sollen rund 25.000 Menschen zum Brandenburger Tor gekommen sein.

Es werden Israel-Flaggen geschwenkt, aber auch kurdische und iranische Flaggen sind zu sehen. „Schluss mit dem Terror gegen Juden“, heißt es auf einem Plakat. „Weg mit Hamas.“ Am Freitagabend wurde überraschend bekannt, dass bei der von zivilgesellschaftlichen Gruppen organisierten Solidaritätskundgebung für Israel auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen wird. „Tief eingebrannt wird der 7. Oktober in uns bleiben“, sagt der Bundespräsident am Sonntag.

Staatsaufgabe und Bürgerpflicht

Und: Seit dem sei nichts mehr, wie es zuvor war. Es erfülle ihn mit Scham, dass in Deutschland Molotowcocktails auf Synagogen geworfen werden, dass antisemitische Parolen auf den Straßen gerufen werden, dass jüdische Einrichtungen verschärft gesichert werden müssen. „Der Schutz jüdischen Lebens ist Staatsaufgabe, aber auch Bürgerpflicht“, sagt Steinmeier. Und zu den Angehörigen der Verschleppten: „Ihr seid nicht allein. Euer Schmerz ist unser Schmerz.“ Steinmeier vergisst auch nicht, auf das Leid der unschuldigen Zivilbevölkerung im Gazastreifen hinzuweisen. Es brauche humanitäre Korridore. „Das ist ein Gebot der Menschlichkeit.“

Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, fordert die Bevölkerung in Deutschland auf, nicht länger zu schweigen, sondern zu handeln gegen Antisemitismus und auch mit einer klaren Verurteilung der Terrormiliz Hamas. „Wer jetzt nicht verurteilt, das sind nicht unsere Freunde.“ Prosor prangert scharf an, dass von der Mehrheit der Moscheen und muslimischen Verbände keine eindeutige Haltung zu hören war. „Wo stehe ich?“, müsse sich jeder fragen. „Wir werden an Taten gemessen, nicht nur an Worten. Wir stehen zusammen, wir sind stark.“

Prosor macht auch unmissverständlich klar, dass die Infrastruktur der Hamas im Gazastreifen vollständig zerstört werden wird. Er ist ein Mann im Krieg, einer, der Kanzler Scholz nach Israel begleitete, beim Besuch der Außenministerin Baerbock dabei war. „Hamas ist eine Gefahr für uns alle.“ Die Sorge vor dem Flächenbrand in der Region sei auch eine Bedrohung für Deutschland. „Sonst kommt der Terror aus Gaza nach Deutschland.“

Die Nichtregierungsorganisation Campact zählt ebenso zu den Mitorganisatoren. „Wenn Haustüren mit dem Davidstern beschmiert werden, wenn Hamas-Anhänger das Massaker als Befreiungsschlag darstellen, dann braucht es jetzt die uneingeschränkte Solidarität mit Israel“, hatte Christoph Bautz von Campact bereits während der Organisation der Veranstaltung betont. „Nie wieder ist jetzt!“

Alhambra-Gesellschaft einziger muslimischer Verband

Am Sonntag äußerten sich Red­ne­r:in­nen aller demokratischen Parteien des Bundestags. Darunter CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour oder die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken. Für die Linke sprach Parteichef Martin Schirdewann, für die FDP Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist unter den Zuhörenden, Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD).

Muslimische Verbände waren bis auf die Alhambra-Gesellschaft nicht Teil des Bündnisses. Bei der Alhambra-Gesellschaft handelt es sich nach eigenen Angaben um einen Zusammenschluss von Muslim:innen, „die sich als originärer Teil der europäischen Geschichte und ihrer jeweiligen europäischen Heimatgesellschaft verstehen“. Ziel sei es, vor allem jungen Mus­li­m:in­nen „eine positive Selbstwahrnehmung auf der Grundlage des Völkerverständigungsgedankens“ zu vermitteln.

Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft findet am Sonntag klare Worte: „Wenn Muslime gegen Juden hetzen und auch hier bedrohen, dann müssen zuallererst wir Muslime aufstehen und einschreiten.“ Die Sicherheit von Juden in Deutschland sei auch ihre Aufgabe.

Der Koordinationsrat der Muslime hatte sich in einer gemeinsamen Erklärung bereits vor Tagen positioniert. „Die Entwicklungen zeigen, dass dringend Schritte zur Deeskalation unternommen werden müssen“, heißt es dort. Man verurteile den Terror gegen die Zivilbevölkerung in Israel durch die Hamas und rufe dazu auf, die Gewalt zu beenden und die Geiseln unverzüglich freizulassen. „Angesichts des Konflikts im Nahen Osten dürfen jüdische und muslimische Gotteshäuser und Einrichtungen in Deutschland nicht zur Projektionsfläche dieser gewalttätigen Auseinandersetzung werden.“ Gewalt und Hass hätten keinen Platz auf deutschem Boden.

Wie groß der Schmerz ist, wie schwer es sein wird, zusammenzustehen, wird an diesem Sonntag in Berlin klar. Auf der Bühne vor Tausenden Menschen stimmt die Schwester einer der Verschleppten ein Lied an, das alle auf der Welt kennen: „Happy ­Birthday“. Die Menge stimmt verhalten ein. Es ist nicht die Zeit, laut zu sein, sondern zutiefst irritiert zu sein über die Tatsache, dass unschuldige Menschen am 7. Oktober aus ihrer Normalität gerissen wurden.

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