piwik no script img

Foto: Michele Lapini

Italien unter MeloniLinks in einem rechten Land

Seit einem Jahr wird Italien von Rechten regiert. Die linke Szene in Bologna bekommt das bisher wenig zu spüren. Migranten und Frauen dafür umso mehr.

Christian Jakob
Von Christian Jakob aus Bologna

E s ist ein zu warmer Abend im Oktober, das Zentrum Bolognas ist voller Touristen und Studierenden, die für das beginnende Semester angereist sind. Weltkulturerbe ist die prächtige Altstadt, über 40 Kilometer lang sind die Säulengänge vor den mittelalterlichen Gebäuden. Wer in Richtung Norden unter ihnen entlang flaniert, landet unweigerlich am Hauptbahnhof, einem sandfarbenen Bau jüngeren Datums. Dessen Vorgänger wurde am Morgen des 2. August 1980 zerstört. Ein Kommando der neofaschistischen Nuclei Armati Rivoluzionari hatte einen Koffer mit einer Zeitbombe im überfüllten Wartesaal des Bahnhofs abgestellt. Die Explosion war kilometerweit zu hören. Das Dach brach zusammen. 85 Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt.

Lange war von dem Attentat in der Öffentlichkeit kaum mehr die Rede. Bis vor acht Wochen. Da trat Marcello De Angelis zurück. Er war Sprecher der Region Latium, die von der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni regiert wird. Einst war De Angelis Mitglied der neofaschistischen Gruppe Terza Positione. Sie wird dem Umfeld der Bologna-Attentäter zugerechnet. De Angelis’ Schwager wurde wegen des Attentats verurteilt. Dass Rechtsextreme den Bahnhof sprengten, wurde in viele Jahre dauernden Prozessen festgestellt. De Angelis aber behauptete kürzlich: „Sie haben nichts damit zu tun. Richter und Institutionen wissen das. Und sie lügen.“

Der Vorfall zeigt, wie tiefgreifend sich die politische Landschaft in Italien verändert hat. Vor genau einem Jahr, am 22. Oktober 2022, wurde Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia Regierungschefin. Die Partei der einstigen faschistischen Bewegung hat seither die Macht im Land. Unvorstellbar schien das vielen noch vor kurzer Zeit. Wie haben sich das Leben, Alltag, die Bedingungen für soziale Kämpfe linker Ak­ti­vis­t:in­nen geändert?

Nicht erst durch den Anschlag wurde Bologna zu einem der Orte, an dem die Auseinandersetzung zwischen der Linken und der extremen Rechten in Italien sich in besonderer Weise verdichtet. Der in Italien berühmte Aufstand 1977 spielte sich hier ab, die weltberühmte Universität brachte viele Theoretiker hervor, die starken Einfluss auf die sozialen Bewegungen des Landes hatten. Und diese haben bis heute hier einen Schwerpunkt. Und auch ein Jahr nach Meloni hat die Stadt noch immer eine große linke Szene.

Premierministerin Giorgia Meloni am 12. Oktober in Rom Foto: Remo Casilli/reuters

Auf der Südseite der Innenstadt etwa haben Ak­ti­vis­t:in­nen am 6. Oktober das Istituto Santa Giuliana besetzt – ein leer stehendes, bis vor Kurzem von der Kirche betriebenes Internat, braun verklinkert, vier Stockwerke. Unten sind Unterrichts- oben Schlafräume. Zwei Kollektive stehen hinter der Besetzung: Das Teatro Polivalente Occupato und eine Gruppe namens Làbas. Seit Jahren gehen deren Ak­ti­vis­t:in­nen immer wieder in leer stehende Gebäude in der Stadt. Sie protestieren gegen die explodierenden Mieten, versuchen, temporären Wohnraum zu schaffen. Am dritten Abend der Besetzung hängt ein Transparent aus dem Fenster. „Wohnen ist ein Recht“, steht darauf. Drinnen sitzen junge Leute im Hof, rauchen, ein paar Flüchtlinge sind dabei.

„Allen fehlt Wohnraum, die Menschen werden verdrängt – Geflüchtete, Studierende, Arme. Den Protest dagegen wollen wir hier zusammenbringen,“ sagt eine junge Frau, die sich als Giulia vorstellt. Seit 2015 besetzt sie immer wieder Häuser in Bologna. Bis zum Sommer war in dem Gebäude eine Nonnenschule. Dann ging der Kirche das Geld aus. Das Gebäude wird nun verkauft. Der neue Eigner will ein kommerzielles Studentenwohnheim daraus machen. „Noch eins“, sagt Giulia. „Die Stadt ist schon voll davon.“ Die Kirche beantragte noch am Tag der Besetzung bei der Polizei die Räumung.

Giulia erzählt vom lokalen Flüchtlingsheim in der Via Mattei. Dort sind 800 Menschen untergebracht, es gibt aber nur 250 Plätze. Die meisten wohnen in überfüllten Zelten. Einer der Bewohner ist zu der besetzten Schule gekommen, sein Name ist Youcif, er stammt aus dem Sudan. Er zeigt ein Video aus dem Innern des Lagers. „60 bis 100 Menschen in einem Zelt“, sagt er. „Das hält man nicht aus. Und bald kommt der Herbst.“

Die Be­set­ze­r:in­nen würden am liebsten Geflüchtete und Studierende in dem Haus wohnen lassen. Doch sie werden nicht bleiben können. Im August erließ die Meloni-Regierung ein Dekret: Neue Besetzungen müssen innerhalb weniger Werktage geräumt werden. „Früher gab es hier Squats, die sich fünf Jahre oder länger halten konnten“, sagt Giulia. Zugute komme ihnen zwar, dass Bolognas Bürgermeister Matteo Lepore zur sozialdemokratischen PD gehört. „Aber er muss natürlich vollziehen, was die Regierung anordnet.“

An diesem Abend aber ist von der Polizei noch nichts zu sehen. Sie rückte erst am 17. Oktober an, als das Istituto Santa Giuliana geräumt wurde. Sind solche Besetzungen unter der neuen Regierung also gefährlicher als früher? „Wenn man keinen Widerstand leistet, gibt es keine Verhaftung“, sagt Giulia. „Sie stellen die Personalien fest, das war’s dann.“ Die direkte Repression gegen Ak­ti­vis­t:in­nen habe nicht zugenommen, sagt Giuilia. „Da sehe ich keine sehr starken Veränderungen bisher.“ Die Veränderungen seien eher schleichend.

Meloni gehe die Dinge cleverer an als ihr Konkurrent Matteo Salvini von der Lega. Die Kritik an ihr ist bisher verhalten

In den letzten Monaten habe die Regierung eine Welle von Dekreten erlassen. Unter anderem wurde das Haftalter herabgesetzt. Meloni habe „den Gedanken von Sicherheit und Repression stärker gemacht, auch gegenüber jungen Leuten“, sagt Giulia. Gleichzeitig sei nun sehr viel von traditionellen Familienrollen die Rede. Das sei nicht ohne Folgen geblieben. „Im Sommer nahm die Gewalt gegen Frauen zu, die Zahl der Femizide stieg. Wir sehen da einen klaren Zusammenhang.“

Meloni gehe die Dinge viel ruhiger an als ihr Konkurrent Matteo Salvini von der Lega. „Der war viel impulsiver, hat auf Propaganda und Theater gesetzt. Häfen zu, NGOs plattmachen“, sagt Giulia. „Meloni ist viel cleverer.“ Das einzige Thema, bei dem sie bisher angreifbar sei, seien die hohen Flüchtlingszahlen. Doch die Kritik an Meloni bleibt bisher verhalten. „Sie vermittelt den Leuten den Eindruck, dass sie tut, was sie kann und ihr Bestes gibt“, sagt Giuilia.

„Und sie kann die Schuld auf andere schieben – zum Beispiel auf den Präsidenten von Tunesien, weil der unkooperativ ist.“ Gleichzeitig spiele sie geschickt etwa ukrainische und afrikanische Flüchtlinge gegeneinander aus. „Sie gewinnt viel Unterstützung in der Bevölkerung, wenn sie sagt, dass manche Geflüchtete wichtiger sind als andere, dass Männer aus Afrika doch in ihren Ländern arbeiten können.“ So unterstützen viele, dass Meloni neue Internierungslager bauen wolle und bei der Migration auf Kriminalisierung und Militarisierung setzt.

Die jungen Leute in dem besetzten Internat fürchten, dass Meloni, anders als viele Regierungschefs vor ihr, noch eine Weile im Amt bleibt. „Sie hat eine starke, solide Strategie“, sagt Giulia. Auch, weil sie nicht gegen die EU arbeite. „Sie will die nicht verlassen, wie die Lega immer getönt hat. Sie will sie zu einer Union aus stärkeren Nationalstaaten umbauen.“ Die nächste Besetzung ist nur wenige Ecken weiter. Ein Grundstück der Universität, die Orientalistik-Fakultät, am Rande der Altstadt. Seit diesem Wochenende haben Studierende hier Zelte aufgestellt. Es ist dunkel, das Tor haben sie zugeschoben, im orangenen Licht der Straßenlaternen sitzen sie an einem Tisch im Hof, trinken Bier, spielen Spiele.

„Das ist kein symbolischer Protest“, sagt Anna, eine junge Frau aus der Nähe von Mailand, die im zweiten Jahr Politikwissenschaft studiert. „Wir können uns wirklich kein Zimmer leisten.“ Sie kochen in dem Studierendencafé in einer kleinen Baracke, waschen sich in der Uni-Toilette. Bis zu 800 Euro kostet in Bologna ein WG-Zimmer, in den kommerziellen Wohnheimen sind es schnell 1.000 Euro. „Meloni hat Sozialleistungen gekürzt und das trifft auch die Jugend“, sagt Anna. Und zwar umso schlimmer, weil es in Italien keinen Mindestlohn gebe. Einige der Studierenden erzählen, dass sie bei Lieferdiensten arbeiten und teils nur auf 2,50 Euro Lohn die Stunde kommen.

Subtile Repression der Regierung

Viele würden vom Haus der Eltern nach Bologna pendeln, weil die Zeitkarte im Regionalzug billiger sei als ein Zimmer. „Jeden Morgen, jede Nacht 3 Stunden im Zug“, sagt Anna. „Wer dann nicht mitkommt und nicht genug Credit Points nachweist, verliert seinen Studienplatz, muss den Studienkredit zurückzahlen und ist verschuldet.“ Die Rechten redeten gern von „Meritokratie“, sagt Anna. Davon also, dass jeder bekommen solle, was er verdient. „Aber wer drei Jobs braucht, um seine verschimmelte Studentenbude zu behalten, kann nicht viel lernen. Sie tun so, als ob es diese Unterschiede nicht geben würde.“

Die Repression der Regierung gegen Protestbewegungen sei „eher subtil“, meint sie dann. „Es ist eher eine Delegitimierung. Sie sagen: ‚Sie sind faul und wollen nicht arbeiten.‘ Oder: ‚Sie wollen aus schönen Häusern hässliche, verfallende Sozialzentren machen.‘“ Am 2. Oktober gab es in Turin Proteste von Schü­le­r:in­nen gegen einen Besuch Melonis. Die Polizei verprügelte die jungen Leute. „Da hat man gesehen, was die Antwort sein kann, wenn man gegen die Regierung ist.“ Angst hätten sie aber keine, sagt Anna.

Die Linie zwischen der heutigen Regierungspartei und dem historischen italienischen Faschismus ist sehr direkt. In der von 1943 bis 1945 bestehenden „Italienischen Sozialrepublik“, einem NS-Protektorat unter dem Faschistenführer Benito Mussolini, gab es eine Staatspartei: Die Republikanisch-Faschistische PFR. Deren Ex-Funktionäre gründeten 1947 das Movimento Sociale Italiano (MSI). Die wiederum ging 1995 in der Alleanza Nazionale (AN) auf, mit der Silvio Berlusconi ab 1995 mehrfach koalierte. Und Funktionäre der AN gründeten dann 2012 die Fratelli d’Italia – die heutige Regierungspartei.

Nicht weit entfernt von Bologna liegt Reggio Emilia. Hier lebt seit über 20 Jahren Matthias Durchfeld. Der Geschichtsarbeiter ist Direktor des Instituts Istoreco. Die in einem ehemaligen Klostergebäude untergebrachte Einrichtung hat über drei Kilometer Regalböden an Dokumenten über den Faschismus und den Partisanenkampf zusammengetragen. Ihre Aufgabe sehen sie vor allem darin, junge Menschen über die Vergangenheit aufzuklären. Melonis Wahl habe ihn und seine Mitarbeiter „ein wenig geschockt“, sagt Durchfeld. Eine Zunahme an Repression gegen die antifaschistische Gedenkarbeit gebe es bisher aber nicht, sagt Durchfeld. Und bisher sei auch der finanzielle Schaden der Meloni-Regierung für die Gedenkarbeit „relativ übersichtlich“, sagt Durchfeld.

Im Rahmen der Räumung am 17. Oktober kam es vor dem ehemaligen Internat zu Protesten Foto: Michele Lapini

Das Netzwerk der Geschichts-Institute wird auch vom Staat gefördert: Mit dem Bildungsministerium in Rom gibt es einen Vertrag. 30 Leh­re­r:in­nen sind aus dem Staatsdienst freistellt, um für die Institute zu arbeiten und dort Schulprojekte zu organisieren. Daran hat sich auch nach Melonis Amtsübernahme nichts geändert „Seit Jahrzehnten ist das nie infrage gestellt worden“, sagt Durchfeld.

Über ein regionales „Gesetz für die Erinnerung“ kommt indes die meiste Unterstützung von der sozialdemokratischen Regierung der Region Emilia Romagna. Und auch 42 Städte der Region zahlen heute Mitgliedsbeiträge an das Istoreco – darunter auch solche, die von rechten Bürgerlisten regiert werden. In der Vergangenheit hatten andere Institute aus dem Netzwerk „politisch motivierte Kündigungen“ ihrer Räume erhalten, sagt Durchfeld. An „zwei, drei“ solcher Fälle könne er sich erinnern, etwa im piemontesischen Biella. Doch das sei bereits vor Melonis Amtsübernahme geschehen. „Die Lega Nord wollte die Institute ja auch nicht.“

Politische Einflussnahme durch rechte Politiker gebe es heute durchaus, sagt Durchfeld. Und zwar vor allem beim Thema der Foibe. Dabei handelt es sich um wohl einige Tausend faschistische italienische Kämpfer, die ab 1943 von jugoslawischen Partisanen im Gebiet des heutigen Istriens getötet wurden. Die extreme Rechte in Italien bemüht sich nach Kräften, dass sie als Opfer anti­italienischer Gewalt betrachtet werden. „Da wird enorm Einfluss genommen“, sagt Durchfeld. Es gebe Regionalgesetze, Vorschriften zu Sprachregelungen, vor allem im Nordosten des Landes. An dem Versuch, die Tötung der Foibe als „Völkermord an Italienern“ zu bezeichnen, zeige sich das seit jeher bestehende Problem der „Veropferung der italienischen Geschichte und des Vertuschens der italienischen Täter“, sagt Durchfeld. „Das hat eine lange Tradition.“

Diese Form rechter Geschichtspolitik habe sich schon zu Zeiten Berlusconis abgezeichnet. „Den Gedenktag am 10. Februar versucht die extreme Rechte so zu besetzen, dass die deutschen Nationalsozialisten und jugoslawische Kommunisten die Italiener getötet haben – die Italiener sind demnach zwei Mal Opfer und nie Täter.“ Neu sei, dass die Regierung Melonis versuche, in diesem Sinne Einfluss auf Schulen zu nehmen. „Es gab Rundschreiben, dass alle den Foibe-Tag begehen müssen“, sagt Durchfeld. „Sie haben sogar Spruchbänder ans Kolosseum gehängt, was für die ermordeten Juden nie getan wurde.“

Der rechten Geschichtspolitik etwas entgegen zu setzen, versucht das VAG61, ein linkes Kulturzentrum in Bologna. 2003 hatten Ak­ti­vis­t:in­nen des lokalen Indymedia-Kollektivs ein Gebäude besetzt, später vermietete die sozialdemokratische Stadtregierung ihnen ein kleines Haus im Norden der Innenstadt.

Bologna habe eine „linke DNA“

Im ersten Stock ist heute ein linkes Bewegungsarchiv untergebracht. Die Seenotrettungs-NGO Mediterranea hat hier ein Büro, genau wie die ­Redaktio der ZIC notes. Nachmittags gibt es Hausaufgabenhilfe, abends Lesungen und Konzerte. Bologna habe bis heute eine „linke DNA“, sagt Andrea, der seit Jahrzehnten im Vag 61 aktiv ist. Sein Name ist ein anderer, er will nicht, dass er in der Zeitung erscheint und hat um ein genderneutrales Pseudonym gebeten. „Aber es ist eher Glut als eine Flamme. Alles ist etwas ruhiger, aber noch da.“

Das, so glaubt Andrea, dürfte auch damit zu tun haben, dass Meloni noch viel Geld zu verteilen hat. Kein Land bekommt mehr Geld aus dem 190 Milliarden Euro schweren EU-Covid-Wiederaufbaufonds. Die vielen neuen Projekte befrieden Unmut – aber werden durch die Kürze der Zeit in die falschen Hände geraten: Die Mafia werde dafür sorgen, dass sie ihren Anteil bekommt, sagt Andrea. „Die soziale Frage wird voll durchschlagen, wenn in einigen Jahren die EU-Milliarden aufgebraucht sind.“

Dass Meloni sich im Amt bisher anders verhielt, als viele befürchtet hatten – etwa die Solidarität mit der Ukraine und Israel oder der kooperative Kurs mit der EU –, sei vielleicht „eine italienische Sache“, sagt Andrea: „Hier macht keiner, was von ihm erwartet wird.“ Als Meloni gewählt wurde, dachte er nicht, dass es einen neuen Faschismus wie einst geben würde, „mit Partisanen oder so“. Das Hauptproblem hätten zunächst die Minderheiten: „Migranten und LGBTIQ. Gegen die gehen sie nun vor. Danach sind vielleicht andere dran.“

Allein in den Bereichen Feminismus und Migration hingegen hätten die Proteste zugenommen. Es sind die Bereiche, in denen die Regierung konkrete Änderungen verfolge – beim Abtreibungsrecht und bei den Abschiebungen. Doch diese Felder zu großen, kollektiven Protesten zusammenzubringen, sei schwierig. „Aber das ist ein allgemeines Problem der letzten Jahre.“ Immerhin: Rund 200.000 Menschen sind am 7. Oktober dem Aufruf von Gewerkschaften und NGOs zu Sozialprotesten in Rom gefolgt. „Das richtete sich aber nicht gegen die Regierung an sich, sondern gegen geplante Änderungen beim Arbeitsrecht.“

Die Leute gehen nicht mehr auf die Straße, weil sie keine positiven Veränderungen mehr sehen, sagt ein Aktivist

Die sozialen Bewegungen seien insgesamt etwas ruhiger als etwa zu Zeiten der Regierungen von Silvio Berlusconi, an denen ja ebenfalls Faschisten beteiligt waren. „Damals gab es keine sozialen Netzwerke, nur Protest auf der Straße“, sagt Andrea. „Heute suchen die Menschen andere Wege des Protests – oft im Netz.“ Rechte Demos gebe es hin und wieder, stärker geworden seien die nicht. „Es gibt hier nicht so viele sichtbare Faschisten.“ Einige Tausend würden kommen, wenn Rechtsextreme zum Gedenken an das Foibe-Massaker aufrufen würden. Zwei Häuser, die die faschistische Casa Pound-Bewegung in Bologna hatte, wurden geschlossen.

„Das war ein langer Kampf“, sagt Andrea. Der Aufstieg der Fratelli d’Italia zur Regierungspartei habe eine Sogwirkung entfaltet – weg von der Straße, rein in die Partei. Um zu sagen, wie es weiter gehe, sei es noch zu früh, sagt Andrea. „Das Wahlsystem können sie nicht ändern, dafür bräuchten sie größere Mehrheiten. Dass es Plätze wie das Vag61 und die vielen anderen linken Orte im Land noch gebe, zeige die Grenzen der Macht der Regierung. „Es ist nicht so einfach, solche Orte plattzumachen. Im Wahlkampf kündigt man das an und danach macht man vielleicht hier und da eine kleine Räumung, und dann kann man sagen, wir haben geliefert, es geht ja auch viel um Rhetorik.“

Es ist ein Paradox: Die Infrastruktur sozialer Projekte, von Graswurzelinitiativen ist in ganz Italien dicht – nicht nur in linken Zentren wie Bologna, auch in der Provinz gib es eine kaum zu überblickende Zahl etwa von Solidaritätsinitiativen. Doch das als Zeichen eigener Stärke wahrzunehmen, vermögen viele Ak­ti­vis­t:in­nen nicht.

Andrea versteht das. „Es bleibt eben nur, sich anzupassen“, sagt er. Für Solidarität von unten, für Beratungsstellen oder Besetzungen, dafür reiche die Kraft der Bewegungen. Es sei „evident, dass das etwa für die Migranten sehr wichtig ist“. Aber die Erosion der Grund- und Menschenrechte, die die extreme Rechte produziert, zu stoppen – das sei nicht möglich. „Wir können das nur ein Stück weit kompensieren.“ Doch weil sich an der grundlegenden politischen Lage nichts ändere, seien eben viele frustriert.“

Repression spiele dabei bislang nur bedingt eine Rolle. „Die gab es schon immer, das ist heute nicht anders als früher. Die Polizei war schon immer rechts, auch wenn die Regierung links war“, sagt Andrea. „Die verprügeln dich, egal wer regiert.“ Doch dass Menschen in Italien heute nicht auf die Straße gehen, weil sie Angst vor der Polizei haben – das sei nicht so. „Sie hält eher zu Hause, dass sie müde geworden sind, weil es keine positiven Veränderungen gibt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!